Berlin (Reuters) - Nach der unrechtmäßigen Abschiebung des mutmaßlichen früheren Bin-Laden-Leibwächters Sami A. nach Tunesien sehen sich die Behörden dem Verdacht einer Missachtung von Gerichtsurteilen ausgesetzt.
"Entweder handelt es sich um ein absolut peinliches Chaos, oder es stinkt zum Himmel, weil die Innenbehörden ein Exempel statuieren wollten", sagte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck der "Süddeutschen Zeitung" vom Montag. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Stefan Liebich, sagte im Deutschlandfunk, Recht und Gesetz müssten auch für einen möglichen Gefährder gelten. Die Leitung des Innenministeriums war schon frühzeitig über den Termin für die Abschiebung informiert.
Sami A. war am Freitag per Charterflug von Düsseldorf in sein Heimatland abgeschoben worden. Am Donnerstagabend hatte jedoch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass der Mann nicht abgeschoben werden dürfe, weil ihm in Tunesien Folter drohe. Der Beschluss ging jedoch erst am Freitagmorgen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den anderen Behörden ein. Sami A. befand sich da schon längst auf dem Flug. Das Verwaltungsgericht hat die Abschiebung als "grob rechtswidrig" bezeichnet und die unverzügliche Rückholung des Mannes angeordnet. Das Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen und die Ausländerbehörde wollen dagegen jedoch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen. Zudem will Tunesien Sami A. nicht mehr herausgeben.
Das Verwaltungsgericht beklagt, es sei von den Behörden über den Abschiebungstermin im Unklaren gelassen worden. Es sieht sich von ihnen gar hinters Licht geführt. So hatte das Bamf laut einem Sprecher mitgeteilt, ein für Donnerstag geplanter Flug sei storniert worden. Seinem Gericht sei aber nicht mitgeteilt worden, dass es einen Termin für Freitag gegeben habe. Der Sprecher hatte betont, hätte das Gericht davon gewusst, hätte es früher eine Entscheidung getroffen, etwa in Form eines Zwischenbeschlusses.
"FOLTER IST FÜR UNS EINE ROTE LINIE"
Habeck sagte: "Im Rechtsstaat gelten geordnete Verfahren. Die Frage ist, warum die Innenbehörden mit dieser Ordnung gebrochen haben." Vor allem sei zu klären, ob Innenminister Horst Seehofer in Person versucht habe, Recht zu beugen und die Gerichtsentscheidung umgehen zu lassen. Seehofer war nach Angaben einer Sprecherin am Freitag nach der Übergabe von Sami A. an die tunesischen Behörden über die Rückführung unterrichtet worden. Der CSU-Chef hat in den vergangenen Monaten öffentlich mehrfach erklärt, er wolle sich persönlich um den Fall kümmern.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitierte eine Sprecherin des Ministeriums, wonach ihrem Ressort aufgrund von Informationen der Bundespolizei bekanntgewesen sei, "dass es Planungen für eine Rückführung am Freitag, dem 13. Juli 2018" gegeben habe. Über diese Planung sei im Bundesinnenministerium am Mittwoch, dem 11. Juli, die Hausleitung unterrichtet worden.
Der tunesische Anwalt von Sami A. verlangt eine sofortige Rückführung seines Mandanten nach Deutschland. Es gebe nichts, wofür Sami A. in Deutschland verurteilt worden sei, sagte Seif Eddine Makhlouf zu "Bild". Er werde jetzt dafür sorgen, dass Sami A. freikomme und dann deutsche Papiere erhalte. Die Anti-Terror-Behörde des tunesischen Justizministeriums wies Mutmaßungen zurück, der Mann könnte in Tunesien gefoltert werden. "Folter ist für uns eine rote Linie", sagte Sprecher Sofiane Sliti zu "Bild". Zudem betonte er, da Sami A. nur eine tunesische Staatsangehörigkeit habe, seien allein tunesische Behörden zuständig.
Der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci kritisierte, die Abschiebung von Gefährdern aus Deutschland sei "ein Chaos". Deshalb sollten derartige Abschiebungen zentralisiert werden. "Hier hat der Bundesinnenminister ein Feld, in dem er sich endlich in der Praxis beweisen kann", sagte Castellucci dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).