Investing.com - Die Preise für Gas und Öl kennen nur noch eine Richtung: die nach oben. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sorgt für ein Armageddon am Gas- und Ölmarkt. Der Preis für niederländisches TTF-Gas ist seit Jahresbeginn um über 200 Prozent gestiegen, der für Brent-Rohöl um über 65 Prozent. Ein Ende der Aufwärtsspirale ist nicht in Sicht, nicht zuletzt weil der Westen nun laut über ein Einfuhrverbot für russisches Gas und Öl nachdenkt. Als Konsequenz droht eine Stagflation, die insbesondere die Verbraucher in Europa treffen könnte.
USA und Europa beraten über Importstopp für russisches Öl und Gas
US-Außenminister Antony Blinken zufolge führen Washington und seine Verbündeten derzeit Gespräche über einen Importstopp für russisches Öl und Gas. Die US-Regierung werde aber dafür sorgen, dass genügend Öl auf dem Weltmarkt vorhanden sei, falls solche Maßnahmen verhängt würden. Darüber hinaus erklärte Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi in einem Schreiben an ihre demokratischen Kollegen, dass die Kammer eine strenge Gesetzgebung prüfe, die die Einfuhr russischen Öls untersage - ein Schritt, der "Russland weiter von der Weltwirtschaft isolieren" würde.
Ebenfalls lauter werden die Forderungen in Deutschland für ein Öl- und Gas-Embargo aus Russland, wie dpa-AFX berichtete. So habe der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen einen Stopp der Energieimporte aus Russland gefordert. "Wir müssen alles, was in unserer Macht steht, tun, um die Ukrainer in ihrem Kampf gegen Putin und für die Freiheit zu unterstützen", zitierte die Nachrichtenagentur Röttgen aus einem Gastbeitrag im "Tagesspiegel". Er appellierte an die Bundesregierung, die Gas- und Ölimporte aus Russland "jetzt" zu stoppen. Es sei möglich, die ausbleibenden Gaslieferungen durch Gasvorräte bis zum nächsten Winter zu ersetzen."
Offen für einen Lieferstopp für Öl und Gas aus Russland ist auch der Europapolitiker Manfred Weber. "Wenn es zu einer weiteren Eskalation des Krieges kommt, müssen wir unabhängig werden von Russlands Energie. Gerade Öl und Kohle können wir mit anderen Partnern ersetzen", sagte der CSU-Vize dem "Münchner Merkur" (Montag).
Auch das auf Öleinfuhren angewiesene Japan diskutiert der Nachrichtenagentur Kyodo zufolge über einen möglichen Importstopp für Öl aus Russland. Das Blatt beruft sich dabei auf Informationen aus Regierungskreise.
"Schlimmer als der Ölschock der 1970er"
Wenn die Situation weiter eskaliert, könnte es "vor allem für Deutschland sogar noch sehr viel schlimmer kommen als beim Ölschock in den 70er Jahren. Unter Umständen ist gar nicht mehr genügend Gas verfügbar, egal zu welchem Preis. Dann stehen schwierige Entscheidungen an, ob deutsche Verbraucher oder Industriestandorte außen vor bleiben", schrieb die ANZ in einer Kundenmitteilung.
Europa und insbesondere Deutschland hängen extrem von russischem Gas ab, um die Häuser der Menschen zu heizen, die Industrie am Laufen zu halten und Strom zu erzeugen. 2020 machten russische Lieferungen mehr als die Hälfte der deutschen Erdgasimporte über Pipelines aus. Die EU importierte 2021 mehr als 40 Prozent ihres Gasverbrauchs aus Russland.
Ein Embargo hätte daher gravierende Folgen für die Inflation, die den Zentralbanken "keinerlei Spielraum für neue Wachstumsinitiativen lassen würde", was wiederum das Gespenst der Stagflation auftauchen lässt.
Das Wort "Stagflation" ist ein Kunstwort, das sich aus den Begriffen "Stagnation" und "Inflation" zusammensetzt und ebendiese Kombination zweier wirtschaftlicher Phänomene beschreibt: In der Stagflation geht ein sehr geringes oder rückläufiges Wirtschaftswachstum (Stagnation) mit steigenden Preisen (Inflation) einher.
Sanktionen gegen russische Pipeline-Exporte würden zu einem Nettoverlust an verfügbarem Gas auf dem Weltmarkt führen und die Preise für alle Verbraucher weiter in die Höhe schnellen lassen.
Nicht nur die Gas-, sondern auch die Strompreise in Europa würden durch die Decke gehen und so die ohnehin schon höchste Inflation seit 2008 weiter anheizen, was wiederum das Risiko einer tiefen Rezession erhöhen würde.
Sanktionen gegen russisches Öl- und Gas würden also Verbraucher und Unternehmen in Europa, die bereits jetzt mit hohen Stromrechnungen und sinkenden Reallöhnen zu kämpfen haben, mit immensen Zusatzkosten belasten.
"Höhere Gaspreise werden die Gesamtinflation im nächsten Jahr länger als erwartet hochhalten und dabei die Realeinkommen der Haushalte dämpfen", schrieb Capital Economics-Analyst Andrew Kenningham in einer Notiz. Auch wenn es sich dabei wahrscheinlich um ein vorübergehendes Phänomen handeln werde, sagte er, "dürfte es den allgemeinen Aufwärtsdruck auf die Preise und vielleicht auch auf die Inflationserwartungen im Euroraum noch weiter verschärfen, was für die EZB-Notenbanker im nächsten Jahr ein immer größeres Problem darstellen dürfte".
Heute Morgen setzte der Dutch TTF Natural Gas Future seinen Rekordanstieg ungebremst fort. Mit 345 Euro erreichte er ein neues Allzeithoch. Gegen 10:02 Uhr MEZ notierte der Future zur Lieferung im April 60 Prozent im Plus bei 308,00 Euro.
"Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland dürfte sich weiterhin erheblich auf die europäischen Märkte auswirken", meint das US-Gasberatungsunternehmen Gelber & Associates in einer Kundenmitteilung. "Und obwohl sich die Preise bereits auf einem extrem hohen Niveau befinden, besteht trotz des nahenden Endes der Hauptnachfragezeit nach Gas weiterhin ein Aufwärtsrisiko für den Markt".
Einhergehend mit dem steigenden Gaspreis erhöhen sich auch die Kosten für die Herstellung von Mineraldünger, wie agrarheute erst kürzlich berichtete. Hohe Düngemittelpreise könnten den inflationären Druck auf die Lebensmittelpreise noch weiter verstärken und die Sorge um die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln zu einem Zeitpunkt verschärfen, zu dem die Corona-Pandemie und der Klimawandel den Zugang zu Lebensmitteln bereits erschwert haben.
OPEC+ gießt zusätzlich Öl ins Feuer
Unterdessen goss die OPEC+ auf ihrer monatlichen Sitzung weiter Öl ins Feuer, indem sie die Risiken für die Ölversorgung infolge des Ukraine-Krieges herunterspielte. Die extrem kurz gehaltene Sitzung endete damit, dass der Ölverbund beschloss, die schrittweise Erhöhung der Fördermengen trotz der himmelhohen Ölpreise fortzusetzen.
Die beiden Ölsorten Brent und WTI erreichten zum Wochenauftakt Preisniveaus, die zuletzt 2008 beobachtet wurden.
Insofern sind auch in dieser Woche alle Augen weiter auf den Ukraine-Krieg und die Reaktion des Westens gerichtet, und darauf, was sie für die Rohstoffversorgung bedeuten. Die Verhandlungen über ein Atomabkommen mit dem Iran wurden zwar letzte Woche fortgesetzt, doch selbst wenn die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden und das Land seine Öl-Exporte erhöht, würde dies den Verlust russischer Lieferungen nur partiell ausgleichen.
Den meisten Szenarien nach zu urteilen bleiben die Öl- und Gaspreise in Europa während des gesamten Frühjahrs und Sommers auf sehr hohem Niveau - und sie könnten sogar auf noch extremere Notierungen klettern, wenn es tatsächlich zu einem Einfuhrstopp für russisches Öl und Gas kommt.