- von Irene Preisinger
München/Düsseldorf (Reuters) - Nach dem Abbruch der Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie rollt in der wichtigsten deutschen Industriebranche eine Welle von 24-Stunden-Streiks an.
"Ab Mitte der Woche gehen die Beschäftigten aus rund 70 Betrieben in NRW in den ganztägigen Warnstreik", kündigte der Chef des mächtigen Landesverbandes von Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler, am Montag an. Betroffen ist unter anderem der Autobauer Ford in Köln. Jürgen Wechsler, IG-Metall-Bezirksleiter in Bayern, kündigte für den Freistaat ganztägige Warnstreiks in 40 Betrieben an - von Autobauern über Zulieferer bis zum Anlagenbau. Wo genau gestreikt wird, lässt die Gewerkschaft weitgehend offen. Die Arbeitgeber kritisierten die Pläne scharf und drohten erneut mit Klagen. Sie sehen zudem die IG Metall in der Pflicht, für Schäden aufzukommen.
"Es entstehen Riesenschäden, weil alle Firmen in den langen Lieferketten betroffen sind", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Gesamtmetall, Oliver Zander. "Deshalb sind 24-Stunden-Streiks verantwortungslos und gefährden Arbeitsplätze." Die Arbeitsniederlegungen seien "völlig unnötig und rechtswidrig, weil der geforderte Teillohnausgleich diskriminierend und rechtswidrig ist". Die IG Metall fordert für die knapp 3,9 Millionen Beschäftigten der Branche ein individuelles Recht auf eine 28-Stunden-Woche und sechs Prozent mehr Lohn.
Am Samstag waren die Verhandlungen im Pilotbezirk Baden-Württemberg abgebrochen worden. Den größten Streit gab es über zwei Bonus-Urlaubstage für Teilzeitbeschäftigte, die wegen familiärer Verpflichtungen kürzer treten, und Schichtarbeiter, die verkürzen wollen. Nach dem Abbruch der Verhandlungen kündigte die Gewerkschaft ganztägige Warnstreiks in bundesweit mehr als 250 großen und kleinen Betrieben an. Viele Firmen könnte dies empfindlich treffen, nachdem in den vergangenen Wochen mehr als 900.000 Beschäftigte in ganz Deutschland stundenweise die Arbeit niedergelegt hatten. Vor allem die Autoindustrie könnten 24-Stunden-Streiks hart treffen. Dort erwarten Experten die höchsten Umsatzausfälle.
"DIE GEDULD IST ZU ENDE"
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erläuterte, viele Firmen hätten mittlerweile kaum noch Vorprodukte auf Lager, sondern hingen von pünktlichen Zulieferungen ab. "Streiks bei einzelnen Zulieferern wirken sich deshalb heute viel stärker auf andere Unternehmen aus." Die Bänder stünden dann schneller still. Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnete vor, wenn 50.000 Beschäftigte - im Schnitt 200 pro Betrieb - einen Tag lang streikten, verlören die betroffenen Betriebe insgesamt 62 Millionen Euro pro Tag. Würden gezielt größere Betriebe bestreikt, steige der Umsatzausfall stark an. Der Gewerkschafter Wechsler sagte: "Die Geduld ist zu Ende. Die Arbeitgeber haben sich selbst zuzuschreiben, was auf die zukommt."
Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Zander betonte hingegen, die IG Metall müsse für Schäden der Streiks aufkommen. Ökonomen zufolge könnten die Unternehmen mit den Folgen der Streikwelle diesmal länger zu kämpfen haben. "Die Betriebe sitzen auf einem enormen Auftragsbestand, gleichzeitig ist die Auslastung sehr hoch", sagte der Deutschland-Chefvolkswirt der Bank UniCredit (MI:CRDI), Andreas Rees. "Arbeitsausfälle können deshalb nicht so schnell und zügig wettgemacht werden, wie das normalerweise der Fall ist."
TÜR ZU VERHANDLUNGEN BLEIBT OFFEN
Wie der bayerische IG-Metall-Chef Wechsler sagte, in dessen Bezirk etwa BMW (DE:BMWG), Audi und Siemens (DE:SIEGn) ihren Sitz haben, sollen die 24-Stunden-Streiks auf die Tage von Mittwoch bis Freitag verteilt werden. Sie könnten bis zum Samstagmorgen dauern. "Die IG Metall wird die Verhandlungen erst nach den ganztägigen Warnstreiks und nur dann wieder aufnehmen, wenn die Arbeitgeber sich auf unsere Forderungen zubewegen." Das sei frühestens am Samstag der Fall. Wechsler warnte die Arbeitgeber davor, gegen die Warnstreiks zu klagen. "Das würde das Verhältnis zusätzlich stark belasten." Die Arbeitgeber hatten entsprechende Klagen angedroht, sie aber bislang nicht eingereicht. Sie bekräftigten, dass sie eine Lösung am Verhandlungstisch anstrebten.