- von Guy Faulconbridge und William James
(Reuters) - Mit der Drohung eines längeren Verbleibs in der EU versucht die britische Regierung, die harten Brexit-Befürworter doch noch für ihren Ausstiegsvertrag zu gewinnen.
Kabinetts-Minister David Lidington sagte am Freitag, sollte der Vertrag auch bei der dritten Abstimmung am kommenden Mittwoch durchfallen, reiche eine kurze technische Verschiebung des Brexits nicht aus. "Man braucht mit Sicherheit dann eine bedeutend längere (Zeit), um im Parlament eine Mehrheit zu erreichen", sagte er im BBC-Radio. Ungewiss blieb, ob die EU-Partner einem Aufschub des Austrittsdatums 29. März zustimmen werden. Der irische Finanzminister Paschal Donohoe sagte, dafür sei eine klare Ansage nötig, was denn in dieser Zeit geschehen solle. Die deutsche Wirtschaft beklagte, die Abstimmungen in dieser Woche hätten statt Klarheit neue Unsicherheiten gebracht.
Das Unterhaus hatte am Donnerstag dafür gestimmt, den für den 29. März vorgesehenen Austritt um maximal drei Monate zu verschieben. Voraussetzung ist allerdings, dass die Abgeordneten am Mittwoch dem Brexit-Vertrag zustimmen, den sie bereits zweimal abgelehnt haben. Zwar war die Zahl der Gegner des Austrittsvertrags in der zweiten Abstimmung geringer als in der ersten gewesen. Allerdings müsste Premierministerin Theresa May mehrere Dutzend Brexit-Hardliner in ihrer Konservativen Partei und in der nordirischen DUP dazu bringen, dem bislang von ihnen vehement abgelehnten und bekämpften Abkommen zuzustimmen. Fiele der Vertrag indes erneut durch, käme es entweder zu einem harten Brexit, oder der Austritt müsste derart lange verschoben werden, dass das Vereinigte Königkreich an der Europawahl Ende Mai teilnehmen müsste.
"Ich hoffe, dass die Abgeordneten aller Parteien über das Wochenende in sich gehen und überlegen, wie es weitergehen kann", sagte Lidington, der faktisch als Stellvertreter Mays fungiert. Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte, der nordirischen DUP komme eine Schlüsselrolle zu. Sollten deren Abgeordnete, die Mays Minderheitsregierung stützen, umschwenken, würde das auch die euroskeptischen Brexit-Hardliner der Konservativen zum Einlenken bringen. Knackpunkt für alle Gegner von Mays Abkommen ist die Auffanglösung, mit der nach einem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden sollen. Zusicherungen der EU, dass diese Regelung mit dem Verbleib in der EU-Zollunion nur bis zum Abschluss eines Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU gelten soll, reichen ihnen nicht.
BUNDESREGIERUNG BEGRÜSST VOTUM GEGEN UNGEREGELTEN BREXIT
Die Bundesregierung begrüßte das Votum des Unterhauses gegen einen ungeregelten Austritt. Der nächste Vorschlag, wie es weitergehen solle, müsse aus Großbritannien kommen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Formell habe Großbritannien bei der EU noch keine Verschiebung des Austrittsdatums beantragt. Einer Verschiebung müssten beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommender Woche alle 27 verbleibenden Mitgliedstaaten zustimmen. Irlands Finanzminister Donohoe sagte, die EU-Staaten bräuchten Klarheit, weshalb die Frist verlängert werden sollte. Zudem dürfe die Gewährung eines Aufschubs nicht die wirtschaftlichen Risiken erhöhen, sagte er Bloomberg TV.
Mit den jüngsten Voten in London sind die Risiken nach Einschätzung der deutschen Wirtschaft nicht geringer geworden. "Die Unternehmen wissen jetzt überhaupt nicht mehr, auf was sie sich vorbereiten sollen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Neben der Unsicherheit, was überhaupt geschehen wird, kommt jetzt die Unsicherheit hinzu, wann es geschehen wird", fügte er hinzu.
BDI-Präsident Dieter Kempf sagte, die deutschen Unternehmen hofften weiter, dass es noch einen geordneten Brexit gebe. "Wir gucken irgendwie alle gemeinsam in den Abgrund im Moment, und zwar auf beiden Seiten des Kanals", sagte er im Deutschlandfunk. Das "Karussellfahren" müsse aufhören. Die deutschen Unternehmen seien aber auf alle Fälle gut vorbereitet. Der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA, Thilo Brodtmann, sagte, eine Verschiebung sollte es nur mit klarer Perspektive geben. "Der Maschinenbau ist mittlerweile für alle Fälle gerüstet."
BMW (DE:BMWG), das in Großbritannien Autos der Marken Mini und Rolls Royce sowie über 375.000 Motoren pro Jahr produziert, bereitet sich weiter auf einen ungeregelten Brexit vor. Als verantwortungsvoller Arbeitgeber müsse man sich für den schlimmsten Fall wappnen, sagte ein Unternehmenssprecher. BMW hat in Vorbereitung auf den Brexit Werksferien in seinen britischen Standorten vom Sommer auf April vorgezogen, um die ersten Wochen nachdem geplanten Austrittstermin zu überbrücken.