FRANKFURT (dpa-AFX) - Das laufende Jahr bleibt weltwirtschaftlich schwach, im kommenden Jahr geht es aber wieder bergauf. Das ist die tendenzielle Vorhersage des Chefvolkswirts der Berenberg Bank. "In der zweiten Jahreshälfte dürften die USA eine Rezession durchlaufen, wenn auch eine eher milde", sagte Holger Schmieding am Dienstag in Frankfurt vor Journalisten. Er sprach von einer "Mini-Rezession" mit einem nur sehr moderaten Rückgang der Wirtschaftsleistung. "Ab dem Frühjahr kommen die Vereinigten Staaten aus der Rezession, der Sommer und Herbst werden aber schwieriger."
Ähnlich bewertet Schmieding die Aussichten für Deutschland und den Euroraum, wobei für den gesamten Währungsraum im laufenden Jahr mit einem leichten Wirtschaftswachstum zu rechnen sei. Im kommenden Jahr erwartet der Ökonom wieder ein deutlicheres Wachstum von 1,2 Prozent - auch, weil dann der US-Abschwung auslaufe und für Unterstützung sorge. Für die deutsche Wirtschaft gibt sich Schmieding etwas zurückhaltender: Im laufenden Jahr sieht er eine "rote Null" beim Wachstum, also eine vermutlich leicht schrumpfende Wirtschaftsleistung. Im Jahr 2024 dürfte die größte Volkswirtschaft der Eurozone zu einem Wachstum von 1,3 Prozent zurückkehren.
Grundsätzlich lassen die großen wirtschaftlichen Schocks der vergangenen Jahre wie coronabedingte Lieferengpässe oder Gaskrise wegen des Ukraine-Kriegs laut Schmieding nach. Allerdings lasten die kräftigen Zinsanhebungen der Notenbanken auf dem Wachstum. Hinzu komme, dass China als globale Wachstumslokomotive in diesem Jahr ausfalle. "China ist mit Blick auf Konjunkturpakete vorsichtiger geworden. Es wird nur so viel geliefert, um den sozialen Frieden im Land zu wahren." Zudem leide die Volksrepublik unter einer Vielzahl von Langfrist-Problemen.
"Normalere Zeiten mit normalen Zinsen und normaler Inflation" sind aus Sicht Schmiedings zwar erst längerfristig zu erwarten. Allerdings würden in der Eurozone die Einkommen schon ab diesem Sommer schneller steigen als die Preise, so dass die reale Kaufkraft der Arbeitnehmer zunehme. Und auch mit Blick auf die hohe Teuerung sei Besserung in Sicht: "Mitte 2024 wird sich die Inflation im Währungsraum bei etwa 2,5 Prozent einpendeln." Aktuell liegt sie mit 6,1 Prozent wesentlich höher.
Die Geldpolitik der großen Notenbanken steuere auf den Zinsgipfel zu - wobei der Ökonom das Risiko sieht, dass die Zentralbanken eher zu viel als zu wenig gegen die Inflation unternehmen. "Im Euroraum ist der Inflationsbuckel überstanden, und die Konjunktur hat sich spürbar eingetrübt." Entsprechend rät Schmieding der Europäischen Zentralbank (EZB) zu geldpolitischer Zurückhaltung: "Einen Einlagensatz von vier Prozent plus empfände ich als zu weitgehend." Aktuell beträgt dieser für Banken so wichtige Leitzins 3,5 Prozent. Die Berenberg Bank rechnet mit einer weiteren Anhebung auf 3,75 Prozent, wo ihn die EZB vermutlich längere Zeit belassen werde.
Die US-Notenbank Fed dürfte aus Sicht Schmiedings bereits Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres mit Zinssenkungen beginnen und diese in den kommenden Jahren fortführen. "Die Fed hätte viel früher auf die hohe Inflation reagieren müssen, daher musste sie die Zinsen auch so stark anheben." In etwas mehr als einem Jahr haben die US-Währungshüter ihre Leitzinsen um fünf Prozentpunkte angehoben - so rasch wie selten zuvor. Schmieding sieht den Zinsgipfel in den USA bei 5,5 Prozent, er erwartet also noch eine Zinsstraffung um 0,25 Punkte. Von diesem Niveau aus werde die Fed ihre Leitzinsen auf etwa vier Prozent (Ende 2024) und 3,25 Prozent (Ende 2025) reduzieren.