FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Furcht vor zunehmenden Angebotsengpässen hat die Gaspreise in Europa auf einen viermonatigen Höchststand getrieben. Am Dienstag stieg der als richtungsweisend geltende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in den Niederlanden bis auf rund 175 Euro je Megawattstunde. Das ist der höchste Stand seit März. Gegenüber dem Vortag ergibt sich ein Preisanstieg um etwa acht Prozent.
Ausschlaggebend für die hohen Gaspreise bleibt das knappe Angebot an Erdgas. Russland hat seine Lieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 in den vergangenen Wochen um etwa 60 Prozent reduziert. Russland begründet dies mit technischen Problemen, der Westen sieht dagegen eine politische Reaktion auf die scharfen Sanktionen, die der Westen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine ergriffen hat.
Zurzeit herrscht große Sorge vor, dass Russland die regelmäßige Wartung von Nord Stream 1 nutzen könnte, um den Gashahn komplett abzudrehen. Die Wartung der Pipeline beginnt am 11. Juli und nimmt normalerweise knapp zwei Wochen in Anspruch.
Ein weiteres Angebotsproblem könnte sich im Norden Europas ergeben: In Norwegen droht ein Streik der Öl- und Gas-Arbeiter, zur Produktionsbremse zu werden. Zurzeit sind offenbar noch keine größeren Auswirkungen auf die Lieferungen ins europäische Ausland festzustellen. Sollte sich der Streik aber ausweiten oder länger andauern, dürfte sich das auch auf die Liefersituation auswirken.
Die Volkswirte vom Bankhaus HSBC (LON:HSBA) rechnen in einer Studie zwar nicht mit einem Totalausfall des russischen Erdgases. Sie gehen aber davon aus, dass Russland seine Lieferungen über Nord Stream 1 dauerhaft reduzieren werde. Da aus dem Gasmarkt nicht genügend Alternativen wie Flüssiggas (LNG) vorhanden sei, komme als Lösung nur eine Reduzierung der Nachfrage etwa über Rationierungen in Betracht, heißt es in einer Studie.
Die Ökonomen hoben zudem ihre Preisprognosen für europäisches Gas deutlich an. Die Gaseinnahmen Russlands dürften derweil nicht fallen, sondern sogar steigen, erwarten die HSBC-Volkswirte. Der Grund: Die geringeren Liefermengen würden durch die höheren Preise mehr als ausgeglichen.