SINTRA (dpa-AFX) - Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat abermals Bereitschaft signalisiert, die Geldpolitik weiter zu lockern. Zwar erwarte die Notenbank, dass sich die gegenwärtig schwache Inflation wieder schrittweise ihrem Zielwert von knapp zwei Prozent annähern werde, sagte Draghi auf einer von der EZB abgehaltenen Konferenz im portugiesischen Sintra. Dennoch liege es in der Verantwortung der Notenbank, alarmiert und vorbereitet zu sein. Angesichts der langen Wirkungsverzögerungen geldpolitischer Schritte könnten "vorbeugende Maßnahmen" gerechtfertigt sein, sagte Draghi.
Wegen des gegenwärtig schwachen Preisauftriebs und zusehends nach unten deutender Inflationserwartungen wird damit gerechnet, dass die EZB ihre Geldpolitik weiter lockert. Zahlreiche Notenbankvertreter hatten in den vergangenen Tagen klare Hinweise gegeben, dass dies bereits auf der nächsten Zinssitzung Anfang Juni geschehen könnte. Beobachter rechnen mit einer weiteren Senkung des Leitzinses, der bereits jetzt auf einem Rekordtief von 0,25 Prozent liegt. Darüber hinaus könnte die Notenbank den Zins, den Banken für Einlagen bei ihr erhalten, in den negativen Bereich senken. Auch weitere unkonventionelle Schritte wie langfristige Geldspritzen für die Banken oder der Kauf von Kreditverbriefungen gelten als möglich.
Zur möglichen Reaktion der Notenbank bekräftigte Draghi seine vielbeachteten Äußerungen von Ende April. Seinerzeit hatte er in Amsterdam erklärt, wie die EZB auf verschiedene Probleme reagieren könnte. Gegen Einflüsse, die wie der starke Euro zu einer "ungerechtfertigten" Straffung der monetären Bedingungen führen könnten, würde die Notenbank konventionell, also etwa mit Zinssenkungen vorgehen, erklärte Draghi. Breitangelegte Anleihekäufe kämen dagegen erst in Betracht, falls sich Inflation und Inflationserwartungen zu lange vom Ziel der Notenbank entfernen würden.
Als dritten Grund für geldpolitische Schritte umschrieb Draghi anhaltende Engpässe bei der Kreditvergabe. Zwar räumte der EZB-Chef ein, dass eine schwache Kreditnachfrage in frühen Phasen konjunktureller Erholung nicht ungewöhnlich sei. Auf der anderen Seite hänge die Erholung letztlich aber auch von einer anziehenden Darlehensnachfrage ab. Sollte die Kreditnachfrage früher anziehen als das Kreditangebot, könnte die EZB diesen Zeitraum überbrücken. Draghi verwies auf die Möglichkeit weiterer Geldspritzen für die Geschäftsbanken oder den Ankauf von Kreditverbriefungen (ABS).