Börsen-Zeitung: Vor dem Lackmustest, Marktkommentar von Christopher
Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Mit der Ankündigung umfangreicher
Staatsanleihekäufe hat der Präsident der Europäischen Zentralbank
(EZB), Mario Draghi, den Aktienmärkten den wahrscheinlich stärksten
Impuls dieses Jahres beschert. Die Entwicklung der Indizes im
zurückliegenden Quartal zeigt deutlich, dass Draghi eine Zäsur
gesetzt hat. Manche Indizes erzielten das stärkste Quartalsresultat
seit Jahren. So haben der amerikanische S&P 500 und der Dax um 5,8%
bzw. 12,5% zugelegt, und wenig verwunderlich sind auch die Indizes
bedrängter Peripherieländer, darunter der spanische Ibex 35 mit einem
Gewinn von 8,5%, überproportional gestiegen. Selbst der von vielen
totgesagte griechische Aktienmarkt gibt wieder Lebenszeichen von
sich. Stolze 21% hat der Athex Composite im dritten Quartal gewonnen.
Das Ausmaß seiner Erholungsbewegung dürfte aber weniger einer
unverhofften Hellenen-Euphorie geschuldet sein, sondern vielmehr dem
doch arg gedrückten Kursniveau. Die Marktkapitalisierung betrug Ende
Juli nur noch rund 29 Mrd. US-Dollar, Ende Mai hatte er mit 25,8 Mrd.
Euro sogar einen niedrigeren Wert als der jordanische Aktienmarkt.
Risikofaktor Spanien
Mit dem Beginn des vierten Quartals bahnt sich eine neue Zäsur an
den Aktienmärkten an. Es wird sich nämlich bald herausstellen, ob die
'Draghi-Rally' nachhaltiger Natur und das erreichte Kursniveau, auf
dem der Markt derzeit stagniert, tragfähig ist oder sogar noch mehr
Spielraum nach oben besteht. Das von der Schuldenkrise ausgehende
Maximalrisiko, ein Auseinanderbrechen der Währungsunion, kann nun für
die nahe Zukunft ad acta gelegt werden. Allerdings bedeutet das
keineswegs, dass neuerliche Irritationen ausgeschlossen sind. Im
Gegenteil: Spanien läuft Gefahr, neue Verunsicherung in die Märkte zu
tragen.
Gespannt warten die Marktteilnehmer darauf, ob die spanische
Regierung einen Hilfsantrag stellt und damit unter den Rettungsschirm
schlüpft. Doch das könnte sich als Geduldsprobe erweisen. Denn die
Ankündigung der Anleihekäufe hat bereits den erwünschten Effekt, die
Anleihezinsen der Peripherieländer deutlich zu senken. Damit
reduziert sich aber auch für die spanische Regierung die Motivation,
den Hilfsantrag als eine der Voraussetzungen für Anleihekäufe zu
stellen und sich den damit verbundenen Spar- und Reformauflagen zu
unterwerfen. Somit wird es möglicherweise erst zu neuerlichen
Turbulenzen am Anleihemarkt kommen (müssen), bis der für die Märkte
beruhigende Hilfsantrag gestellt wird. Erschwerend kommt die alles
andere als ermutigende Entwicklung der Wirtschaft und der Finanzen
Spaniens hinzu. So befürchtet die UBS, dass die von der spanischen
Regierung für 2012 und 2013 veranschlagten Budgetdefizite um jeweils
mehr als einen Prozentpunkt zu niedrig angesetzt sind und schätzt sie
stattdessen auf 7,5% und 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Außerdem
erwartet die Bank für das nächste Jahr anstelle des offiziell
angesetzten BIP-Rückgangs von 0,5% eine Schrumpfung der
Wirtschaftsleistung um 1,7%.
Derzeit hat die von Draghi bewirkte Entschärfung der Schuldenkrise
den Effekt, dass der Spielraum für die Bewertung des Aktienmarktes
gestiegen ist. Dieser Spielraum ist nun jedoch zu einem guten Teil
ausgeschöpft. Das europaweite Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) hat bei 11
die in der Krise neu etablierte Obergrenze erreicht. Damit wird die
in der neuen Woche in den USA beginnende Quartalsberichtssaison, die
am Dienstag vom Aluminiumproduzenten Alcoa gestartet wird, zum
Lackmustest für den Aktienmarkt. Die Gewinn- und Umsatzwarnungen der
vergangenen Wochen deuten auf enttäuschende Zahlen hin. Laut der
Citigroup haben die Verlautbarungen von 120 Unternehmen ein
Verhältnis von negativen zu positiven Überraschungen von 4,3
aufgewiesen. Das ist der höchste Stand seit dem ersten Quartal 2009.
Die Bank glaubt, dass die Unternehmen zudem mit ihren Ausblicken die
Investoren enttäuschen werden, und befürchtet, dass das vom Konsens
für das kommende Jahr erwartete Wachstum der Gewinne je Aktie der S&P
500-Unternehmen mit 11% zu hoch ist. Ähnliches ließe sich sicherlich
für das vom Konsens für den Stoxx 600 erwartete Gewinnwachstum von
13% konstatieren.
In der aktuellen Konstellation ist das Ausmaß an
Ergebnisenttäuschungen, das die Aktienmärkte verkraften können, ohne
dass eine substanzielle Korrektur einsetzt, begrenzt. Werden die
Ergebniserwartungen der Marktteilnehmer sehr deutlich unterboten,
müssen die Notierungen an den europäischen Aktienmärkten nach unten
folgen - oder aber das KGV müsste den bei 11 liegenden Deckel
sprengen.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Mit der Ankündigung umfangreicher
Staatsanleihekäufe hat der Präsident der Europäischen Zentralbank
(EZB), Mario Draghi, den Aktienmärkten den wahrscheinlich stärksten
Impuls dieses Jahres beschert. Die Entwicklung der Indizes im
zurückliegenden Quartal zeigt deutlich, dass Draghi eine Zäsur
gesetzt hat. Manche Indizes erzielten das stärkste Quartalsresultat
seit Jahren. So haben der amerikanische S&P 500 und der Dax um 5,8%
bzw. 12,5% zugelegt, und wenig verwunderlich sind auch die Indizes
bedrängter Peripherieländer, darunter der spanische Ibex 35 mit einem
Gewinn von 8,5%, überproportional gestiegen. Selbst der von vielen
totgesagte griechische Aktienmarkt gibt wieder Lebenszeichen von
sich. Stolze 21% hat der Athex Composite im dritten Quartal gewonnen.
Das Ausmaß seiner Erholungsbewegung dürfte aber weniger einer
unverhofften Hellenen-Euphorie geschuldet sein, sondern vielmehr dem
doch arg gedrückten Kursniveau. Die Marktkapitalisierung betrug Ende
Juli nur noch rund 29 Mrd. US-Dollar, Ende Mai hatte er mit 25,8 Mrd.
Euro sogar einen niedrigeren Wert als der jordanische Aktienmarkt.
Risikofaktor Spanien
Mit dem Beginn des vierten Quartals bahnt sich eine neue Zäsur an
den Aktienmärkten an. Es wird sich nämlich bald herausstellen, ob die
'Draghi-Rally' nachhaltiger Natur und das erreichte Kursniveau, auf
dem der Markt derzeit stagniert, tragfähig ist oder sogar noch mehr
Spielraum nach oben besteht. Das von der Schuldenkrise ausgehende
Maximalrisiko, ein Auseinanderbrechen der Währungsunion, kann nun für
die nahe Zukunft ad acta gelegt werden. Allerdings bedeutet das
keineswegs, dass neuerliche Irritationen ausgeschlossen sind. Im
Gegenteil: Spanien läuft Gefahr, neue Verunsicherung in die Märkte zu
tragen.
Gespannt warten die Marktteilnehmer darauf, ob die spanische
Regierung einen Hilfsantrag stellt und damit unter den Rettungsschirm
schlüpft. Doch das könnte sich als Geduldsprobe erweisen. Denn die
Ankündigung der Anleihekäufe hat bereits den erwünschten Effekt, die
Anleihezinsen der Peripherieländer deutlich zu senken. Damit
reduziert sich aber auch für die spanische Regierung die Motivation,
den Hilfsantrag als eine der Voraussetzungen für Anleihekäufe zu
stellen und sich den damit verbundenen Spar- und Reformauflagen zu
unterwerfen. Somit wird es möglicherweise erst zu neuerlichen
Turbulenzen am Anleihemarkt kommen (müssen), bis der für die Märkte
beruhigende Hilfsantrag gestellt wird. Erschwerend kommt die alles
andere als ermutigende Entwicklung der Wirtschaft und der Finanzen
Spaniens hinzu. So befürchtet die UBS, dass die von der spanischen
Regierung für 2012 und 2013 veranschlagten Budgetdefizite um jeweils
mehr als einen Prozentpunkt zu niedrig angesetzt sind und schätzt sie
stattdessen auf 7,5% und 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Außerdem
erwartet die Bank für das nächste Jahr anstelle des offiziell
angesetzten BIP-Rückgangs von 0,5% eine Schrumpfung der
Wirtschaftsleistung um 1,7%.
Derzeit hat die von Draghi bewirkte Entschärfung der Schuldenkrise
den Effekt, dass der Spielraum für die Bewertung des Aktienmarktes
gestiegen ist. Dieser Spielraum ist nun jedoch zu einem guten Teil
ausgeschöpft. Das europaweite Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) hat bei 11
die in der Krise neu etablierte Obergrenze erreicht. Damit wird die
in der neuen Woche in den USA beginnende Quartalsberichtssaison, die
am Dienstag vom Aluminiumproduzenten Alcoa gestartet wird, zum
Lackmustest für den Aktienmarkt. Die Gewinn- und Umsatzwarnungen der
vergangenen Wochen deuten auf enttäuschende Zahlen hin. Laut der
Citigroup haben die Verlautbarungen von 120 Unternehmen ein
Verhältnis von negativen zu positiven Überraschungen von 4,3
aufgewiesen. Das ist der höchste Stand seit dem ersten Quartal 2009.
Die Bank glaubt, dass die Unternehmen zudem mit ihren Ausblicken die
Investoren enttäuschen werden, und befürchtet, dass das vom Konsens
für das kommende Jahr erwartete Wachstum der Gewinne je Aktie der S&P
500-Unternehmen mit 11% zu hoch ist. Ähnliches ließe sich sicherlich
für das vom Konsens für den Stoxx 600 erwartete Gewinnwachstum von
13% konstatieren.
In der aktuellen Konstellation ist das Ausmaß an
Ergebnisenttäuschungen, das die Aktienmärkte verkraften können, ohne
dass eine substanzielle Korrektur einsetzt, begrenzt. Werden die
Ergebniserwartungen der Marktteilnehmer sehr deutlich unterboten,
müssen die Notierungen an den europäischen Aktienmärkten nach unten
folgen - oder aber das KGV müsste den bei 11 liegenden Deckel
sprengen.
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