(mehr Details)
KARLSRUHE (dpa-AFX) - Bei ihren Ermittlungen zu den mysteriösen Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 sind deutsche Ermittler einen wichtigen Schritt vorangekommen: Möglicherweise haben sie das Schiff aufgespürt, mit dem die Täter den Sprengstoff transportierten. Die Bundesanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, dass das verdächtige Schiff bereits im Januar durchsucht worden sei.
Die Auswertung der sichergestellten Spuren und Gegenstände dauere an, erklärte eine Sprecherin in Karlsruhe auf Anfrage. "Die Identität der Täter und deren Tatmotive sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Belastbare Aussagen hierzu, insbesondere zur Frage einer staatlichen Steuerung, können derzeit nicht getroffen werden."
Was genau gefunden wurde, teilte sie nicht mit. Nach Recherchen von ARD, SWR und "Zeit" sollen die Ermittler auf dem Tisch in der Kabine des Schiffes Sprengstoff-Spuren entdeckt haben. Die Medien hatten am Dienstagabend unter Berufung auf geheimdienstliche Hinweise berichtet, dass eine pro-ukrainische Gruppe für die Explosionen verantwortlich sein könnte. Beweise dafür, wer die Zerstörung der Pipelines in Auftrag gegeben habe, seien aber nicht gefunden worden.
Die Ukraine bestritt, mit dem Vorfall etwas zu tun zu haben. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnten vor voreiligen Schlüssen.
Pistorius sagte am Rande eines EU-Verteidigungsministertreffens in Schweden, nach Meinung von Experten könnte es sich auch um eine sogenannte False-Flag-Operation gehandelt haben. Das bedeutet, dass Täter absichtlich falsche Spuren legen, die auf andere Urheber hindeuten. Und: "Wir müssen deutlich unterscheiden, ob es eine ukrainische Gruppe war - also im ukrainischen Auftrag gewesen sein könnte - oder eine pro-ukrainische ohne Wissen der Regierung."
Ende September 2022 waren nach Explosionen nahe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm insgesamt vier Lecks an den beiden Pipelines entdeckt worden. Der deutsche Generalbundesanwalt hatte am 10. Oktober ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet - wegen des Verdachts des vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion sowie der verfassungsfeindlichen Sabotage. Damit beauftragt sind das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei.
Generalbundesanwalt Peter Frank hatte sich Anfang Februar zum Stand geäußert. Damals sagte er der "Welt am Sonntag", es gebe bislang keine Belege dafür, dass Russland dahinterstecke. Mit Hilfe zweier Forschungsschiffe seien Wasser- und Bodenproben sowie Reste der Pipelines entnommen worden, der Tatort sei auch umfassend dokumentiert worden. Das alles werde ausgewertet.
Wie sich jetzt herausstellt, waren die Ermittler damals schon auf das verdächtige Schiff gestoßen. Nach den neuen Angaben der Bundesanwaltschaft fand die Durchsuchung vom 18. bis 20. Januar "im Zusammenhang mit einer verdächtigen Schiffsanmietung" statt. Ein deutsches Unternehmen habe das Schiff vermietet, gegen dessen Mitarbeiter bestehe kein Tatverdacht. Im Rahmen der weiteren Ermittlungen werde sämtlichen Hinweisen nachgegangen. Weitere Auskünfte könnten derzeit nicht erteilt werden.
Nach den Recherchen der Journalisten soll die fragliche Jacht von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden sein, welche "offenbar zwei Ukrainern gehört". Das geheime Kommando habe aus sechs Leuten bestanden: dem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin. Deren Nationalität sei offenbar unklar. Die Täter hätten professionell gefälschte Reisepässe benutzt.
Weiter hieß es in den Medienberichten, die Gruppe sei am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen. Die Ausrüstung sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen transportiert worden. Den Ermittlern sei es gelungen, das Boot am folgenden Tag erneut in Wieck am Darß im Landkreis Vorpommern-Rügen und später an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm, zu lokalisieren. Im Anschluss an die Operation sei die Jacht ungereinigt zurückgegeben worden.
Die Journalistinnen und Journalisten haben nach eigenen Angaben mit Quellen in mehreren Ländern gesprochen. Weil die Explosionsstellen in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens liegen, führen diese Länder jeweils ihre eigenen Ermittlungen. Die schwedischen Sicherheitsbehörden hatten im November festgestellt, dass es sich um schwere Sabotage gehandelt habe - ohne jedoch einen Schuldigen zu benennen.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow sagte, es sei "eine Art Kompliment", dass ukrainischen Spezialkräften so ein Einsatz zugetraut werde. "Aber das ist nicht unser Tätigkeitsfeld." Die Story sei schräg, weil sie nichts "mit uns" zu tun habe. Noch am Abend hatte der Berater im Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, getwittert, sein Land habe damit nichts zu tun.
In Moskau wurden die Medienberichte mit Genugtuung und neuen Vorwürfen an den Westen aufgenommen. Solche Informationen würden von denjenigen gestreut, "die im Rechtsrahmen keine Untersuchungen führen wollen und versuchen, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken", schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums auf ihrem Telegram-Kanal.
Außenministerin Baerbock hatte vor der Stellungnahme aus Karlsruhe gesagt, zunächst müssten die Behörden ihre Ermittlungen zu Ende führen. Dies sei nötig, damit "wir dann von Seite der Regierung aufgrund dieser Erkenntnisse dann auch Beurteilungen treffen können und nicht voreilig aus Berichten heraus Schlüsse für uns ziehen".
Auch der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, verwies auf die Ermittlungen in Deutschland und Skandinavien. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, man wisse, dass es ein Angriff, eine Sabotage war. Es wäre falsch, vor Abschluss der Untersuchungen zu spekulieren, wer dahinterstecke.