Investing.com -- Ehrlich gesagt war klar, dass es irgendwann so kommen musste.
Letzte Woche holte die Europäische Zentralbank (EZB) schließlich die Realität der weltweit steigenden Inflation im Gefolge der Pandemie ein und musste - wenn auch nur indirekt - zugeben, dass sie ihre Geldpolitik nun doch früher als erwünscht straffen muss.
In Reaktion auf die Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde am vergangenen Donnerstag sind die Anleiherenditen im Euroraum enorm gestiegen, und die kurzfristigen Zinsfutures weisen inzwischen darauf hin, dass der Diskontsatz der EZB, der seit 2019 bei minus 0,5 % und seit 2013 bei unter Null liegt, bis zum Jahresende um etwa 40 Basispunkte steigen könnte.
Dementsprechend ergriffen Bankaktien der Eurozone, die jahrelang durch die Negativzinspolitik der EZB belastet waren, die Flucht nach vorn. Der Stoxx 600 Bankenindex ist in diesem Jahr bisher um 13 % gestiegen. Bei den Einzelaktien liegen die Titel der Deutschen Bank (DE:DBKGn) und dem kleineren Frankfurter Rivalen Commerzbank (DE:CBKG) mit über 30 % auf dem höchsten Stand seit 2018.
Selten haben sich die Märkte so sehr auf der Grundlage dessen bewegt, was nicht gesagt wurde, und nicht auf der Grundlage dessen, was schlussendlich tatsächlich gesagt wurde. So reagierten die Händler darauf, dass Lagarde eine Bitte ablehnte, ihre im Dezember gemachten Äußerungen zu wiederholen, nämlich dass eine Zinserhöhung in diesem Jahr "sehr unwahrscheinlich" sei.
Stattdessen folgte die eher flapsige Bemerkung, dass: "Die Situation hat sich in der Tat geändert." Und damit am Ende niemandem der Kurswechsel entgeht, hob Lagarde die Bedeutung der nächsten Zentralbank-Sitzung im März hervor, auf der sie ihre Wirtschaftsprognosen für die nächsten zwei Jahre aktualisieren wird.
Wichtige geldpolitische Weichenstellungen stimmt die EZB stets mit ihren aktualisierten Projektionen ab. Die im März anstehenden Prognosen lassen erwarten, dass die Inflation in diesem und möglicherweise auch im nächsten Jahr über dem mittelfristigen Ziel der Notenbank von 2 % liegen wird. Das dürfte der EZB ausreichend Grund liefern, um die Geldpolitik zu straffen.
Wie die US-Notenbank Federal Reserve hält es auch die EZB für angebracht, zunächst ihre Wertpapierkäufe zu beenden, bevor sie die Leitzinsen erhöht. Während der Pandemie hat die EZB monatlich Anleihen im Wert von rund 80 Milliarden Euro gekauft. Diese Käufe sollen ab April auf 40 Milliarden und ab Juni auf 30 Milliarden Euro monatlich reduziert werden, bevor sie im September auf 20 Milliarden unbefristet beschränkt werden. Wenn aber, wie der aggressive niederländische Zentralbankchef Klaas Knot am Wochenende sagte, die erste Zinserhöhung im Oktober erfolgen soll, müssen die Wertpapierkäufe bis dahin vollständig eingestellt werden. Kein Wunder also, dass den Anleihemärkten Lagardes geänderte Rhetorik nicht gefiel.
Für viele dürfte es überraschend sein, dass die EZB so lange gewartet hat, um sich dem fast schon globalen Trend der Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation anzuschließen. Während die Schwellenländer und später dann auch die Federal Reserve bereits im letzten Jahr ihre Stimulusmaßnahmen aus der Pandemie-Ära zurückgefahren haben, stemmte sich die EZB entschlossen gegen den Trend, geprägt von der Erinnerung an ihre verfrühten Zinsanhebungen nach der großen Finanzkrise vor einem Jahrzehnt. Die damaligen Fehlentscheidungen lösten eine verheerende Vertrauenskrise in den Fortbestand des Euro und - für einige Mitglieder der Währungsunion - den Verlust eines Jahrzehnts an Wirtschaftswachstum aus.
Fairerweise muss man sagen, dass die EZB einige gute Argumente gegen ein blindes Mitlaufen in der Herde der Zentralbanken bei der Straffung der Geldpolitik parat hat. Obwohl der Arbeitsmarkt in der Eurozone heute in einigen Bereichen angespannt ist und die offizielle Arbeitslosenquote mit 7,0 % den niedrigsten Stand der Euro-Ära erreicht hat, ist er bei weitem nicht so eng wie der US-Arbeitsmarkt. Bei den Löhnen gibt es - bisher - kaum Hinweise darauf, dass die Arbeitnehmer die durch die Inflation entstandenen Einkommensverluste ausgleichen wollen.
Vor allem aber ist der größte Teil der Rekordinflation von 5,1 % in den vergangenen 12 Monaten auf die Energiepreise zurückzuführen, auf die die EZB ohnehin keinen Einfluss hat und die ebenso stark sinken wie steigen können.
Es gibt aber Grund zu der Annahme, dass es dieses Mal anders ist. Nicht die Ölpreise, sondern die Preise für Erdgas sind der Grund für den derzeitigen Preisanstieg. Die Pattsituation mit Russland in Bezug auf Nord Stream 2 dauert bereits länger an als von vielen erwartet, und die Gas- und Energiepreise auf Großhandelsebene haben sich in Bereichen eingependelt, die weit über ihren historischen Durchschnittswerten liegen.
Bislang haben die Regierungen in ganz Europa mit Heizkosten-Zuschüsse für Privathaushalte reagiert, in der Annahme, dass dieser Anstieg wie andere vor ihm vorübergeht und die Zuschüsse - wie so viele vor ihnen - in besseren Zeiten wieder abgeschafft werden können. Das mag sein, aber auf kurze Sicht werden die Milliarden, die durch das Konjunkturpaket "Next Generation EU" mobilisiert werden, für nicht umweltverträgliche Zuschüsse zum Verbrauch umweltschädlicher Brennstoffe ausgegeben. Wenn das kein Grund ist, um die sowieso schon "umweltbewusste" EZB in einen Falken zu verwandeln, dann fällt es schwer, sich auszumalen, was sonst der Grund sein könnte.