- von Irene Preisinger
München (Reuters) - Fast zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden der Abgasaffäre steht die Autobranche erneut im Kreuzfeuer.
Im Dieselskandal bei der VW-Tochter Audi rückten am Mittwoch Ermittler zu einer weiteren Razzia an, diesmal in Privatwohnungen von Mitarbeitern. Die Zahl der Beschuldigten stieg von sechs auf 13. Bei Bosch leitete die Staatsanwaltschaft ein viertes Ermittlungsverfahren ein; betroffen sind zwei Mitarbeiter des Autozulieferers in den USA. Im Skandal um Abgas-Tierversuche zog nach Volkswagen (DE:VOWG) auch Daimler (DE:DAIGn) personelle Konsequenzen. Angesichts fragwürdiger Tests an Affen und Menschen schlägt die öffentliche Empörung über die Autobranche hohe Wogen. Die Hersteller fürchten um ihr Image, das wegen Dieselschummeleien und Kartellvorwürfen ohnehin ramponiert ist.
Die Münchner Staatsanwaltschaft durchsuchte am Mittwoch bei Audi-Mitarbeitern in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Privaträume. Standorte des Autobauers waren nach Angaben eines Firmensprechers nicht betroffen. "Wir haben das selbst aus den Medien erfahren", sagte er. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte zuerst darüber berichtet. Die Ermittler waren im März 2017 in der Audi-Zentrale in Ingolstadt, am Standort Neckarsulm, bei der Konzernmutter VW und deren Anwaltskanzlei Jones Day zur Razzia angerückt. Wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft weiter sagte, sind unter den 13 Beschuldigten nach wie vor keine aktuellen oder früheren Vorstandsmitglieder. Der ehemalige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz, der in der Vergangenheit bei Audi und im VW-Konzern unterhalb des Vorstands die Motorenentwicklung geleitet hatte, sitzt weiter in Untersuchungshaft.
Wie die Staatsanwaltschaft Stuttgart mitteilte, leitete sie vor einer Woche ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Bosch-Mitarbeiter wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Betrug ein. Es bestehe der Anfangsverdacht, dass seit 2014 zwei mit Dieselmotoren ausgestattete Fahrzeugtypen der Marke Chrysler auf den US-Markt gebracht worden seien, bei denen die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wurde. Bosch betonte auch in diesem Fall die uneingeschränkte Kooperation mit den Behörden. Der schwäbische Konzern war als Lieferant von Steuergeräten und Software schon im Herbst 2015, als die Dieselaffäre bei VW ans Licht kam, ins Visier der Justiz geraten. Die Staatsanwaltschaft leitete jeweils Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit VW, Daimler und Audi ein. In den USA sieht sich Bosch zudem mit einer Klage konfrontiert, die sich vor allem gegen Ford richtet.
NACH VW STELLT AUCH DAIMLER MANAGER WEGEN TIERVERSUCHEN FREI
Im Desaster rund um Abgasversuche an Affen und Menschen zog nun auch Daimler personelle Konsequenzen. Der Stuttgarter Autobauer mit dem "Stern" schasste den Mitarbeiter, der den Konzern im Vorstand des verantwortlichen Forschungsvereins EUGT vertrat. "Die Freistellung erfolgt mit sofortiger Wirkung", teilte Daimler mit. Die schon eingeleiteten umfassenden Untersuchungen zu dem Fall sollten auch von einer externen Kanzlei unterstützt werden. Bei VW hatte der zuständige Cheflobbyist Thomas Steg deswegen seinen Hut nehmen müssen. BMW (DE:BMWG) teilte mit, der ehemalige Konzernvertreter im EUGT-Vorstand - ein Referent, kein hochrangiger Manager - wirke an der internen Untersuchung mit. "Er bleibt Mitarbeiter der BMW Group." Er sei "auf eigenen Wunsch von seinen aktuellen Aufgaben befreit", solange die Untersuchungen liefen.
Volkswagen, Daimler, BMW und Bosch hatten die Forschungsgruppe "European Group on Environment and Health in the Transport Sector" (EUGT) 2007 gegründet. Ziel war es, die Gesundheitsfolgen von Schadstoffen wie das von Dieselmotoren ausgestoßene Stickoxid zu erforschen. Der Lobbyverein wollte 2014 mit Versuchen an Affen offenbar nachweisen, dass Dieselabgase weit weniger gefährlich sind als von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgestellt. Er förderte auch ein Experiment, bei dem sich in Deutschland 25 Probanden an einem Institut der Uniklinik RWTH Aachen dem Reizgas Stickstoffoxid aussetzten. Nach Bekanntwerden der Versuche distanzierten sich die Hersteller davon.