von Robert Zach
Investing.com - Mit anziehender Risikoaversion erholt sich der US-Dollar von seinen Mehrjahrestiefs, notiert auf Jahresbasis aber weiter klar im Minus. Die jüngste Gegenreaktion des Greenbacks war von der Tatsache begleitet, dass die Federal Reserve (Fed) zunächst keine weiteren Impulse gibt und lieber abwartet, die extrem hohen Short-Quoten von Spekulanten, die Furcht vor einer zweiten Corona-Welle in Europa sowie sich auf extrem niedrigen Niveau stabilisierende Realzinsen.
Seit Monatsanfang hat der US-Dollar-Index, der eine Kennzahl ist, die den Wert des US-Dollars gegenüber einem ausgewählten Währungskorb aus sechs Währungen (EUR, JPY, GBP, CAD, SEK, CHF) vergleicht, um rund 2,3 Prozent zugelegt. Auf Jahresbasis beläuft sich das Minus jedoch weiterhin auf etwas mehr als 2 Prozent.
Gleichwohl setzen einige Marktteilnehmer auf eine mittelfristige Bodenbildung beim US-Dollar. Der Grund: die Weltreservewährung hat nicht nur seine Glättung der letzten 50 Tage (aktuell bei 93,42) übersprungen, sondern hat auch die Nackenlinie einer nicht idealtypischen inversen Schulter-Kopf-Schulter-Formation bei 93,98 bis 93,87 geknackt. Aus der unteren Umkehr ergibt sich ein kalkulatorisches Kursziel im Bereich von 96,00. Interessanterweise fällt dieses Kursniveau exakt mit der Widerstandszone aus der Glättung der letzten 100 Tage (aktuell bei 95,69) und den markanten Tiefs aus den Jahren 2020 und 2019 (95,93 bis 96,07) zusammen. Dieser Bereich wäre prädestiniert für den Start einer neuen Verkaufswelle Richtung Jahrestiefs bei 91,72. Schließlich rechtfertigen die fundamentalen Rahmenbedingungen, die den US-Dollar derzeit umgeben, keine stark steigenden Kursnotierungen.
"Eine Kombination aus historisch gesehen extrem negativen Realzinsen und dem größten Zwillingsdefizit zu Friedenszeiten macht den Dollar anfällig für einen weiteren Schwächeanfall", schrieben die Deutsche-Bank-Analysten in einer Studie.
Sie machten insbesondere zwei Ereignisrisiken für eine erneute Beschleunigung des Dollar-Verfalls aus:
Ein Sieg der nach der Parteifarbe der Demokraten benannten "blauen Welle" könnte "zu einem großen fiskalischen Stimulus führen, der das US-Handelsdefizit (aufgrund von Steuersenkungen für Geringverdiener) ausweiten und gleichzeitig Kapitalzuflüsse (wegen Steuererhöhungen auf Kapital) erschweren würde", sagte George Saravelos, Makrostratege der Deutschen Bank (DE:DBKGn).
Zusammen mit einer "Neuausrichtung der Außenpolitik, der zu einem stärker multilateralen und berechenbareren Ansatz führt, birgt dies das Potenzial, den US-Dollar durch den Wegfall einer beträchtlichen 'Trump-Prämie' zu schwächen“, fügte er hinzu. Zudem könne eine Ankündigung eines wirksamen Corona-Impfstoffs das globale Wachstum ankurbeln, die Realzinsen noch tiefer ins Negative drücken, die Risikobereitschaft der Investoren fördern, und damit die Dollar-Schwäche weiter befeuern. "Insgesamt spricht also vieles für einen schwächeren Dollar zum Jahresende", außer eine zweite tödliche Corona-Welle kommt ins Rollen und/oder ein neuer schwerer Handelskrieg bricht aus, sagte er.
Das größte deutsche Finanzinstitut erwartet, dass das globale Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,9 Prozent zurückgeht, nachdem sie im Mai noch minus 5,9 Prozent vorhergesagt hatte. Für 2021 hob die Deutsche Bank ihre Wachstumsprognose von 5,3 Prozent auf 5,6 Prozent an.
In einem solchen Umfeld, das geprägt von Dollar-Schwäche ist, könne der EUR/USD die psychologisch bedeutende Marke von 1,20 Dollar knacken, meinte Saravelos. Dies sei aber vielmehr das Ergebnis der Dollar-Schwäche als der Euro-Stärke, denn die EZB werde von Zugewinnen der Gemeinschaftswährung nicht sonderlich begeistert sein. Das machte EZB-Chefin Christine Lagarde zuletzt auch klar, als sie sagte, man werde den Euro-Anstieg sehr genau beobachten.
Der Asset Manager PGIM Fixed Income äußerte sich ähnlich pessimistisch zu den USD-Aussichten wie die Deutsche Bank. Man betrachte "den Rückgang des US-Dollars als eine frühe Phase eines möglichen längerfristigen, allmählichen Verfalls der Währung", hieß es in einer Notiz.
Dies sei die Folge "einer Umkehrung verschiedener Faktoren", die den Dollar zuvor seit 2011 gestützt haben. "Tatsächlich ist der Renditevorteil der USA gegenüber anderen entwickelten Zinsmärkten im Wesentlichen verflogen", fügten sie hinzu.
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