APA ots news: 'Die Presse am Sonntag' - Leitartikel: Die Ratingagenturen und die Beschwichtiger, von Christian Ultsch
Ausgabe vom 15.1.2012
Wien (APA-ots) - Es hilft nicht viel, den Überbringer der Nachricht zu
prügeln. Frankreich hat nicht nur die höchste Bonitätsnote verloren,
sondern auch Einfluss in der EU. Das Gewicht verschiebt sich Richtung
Berlin.
Nach der Zeugnisverteilung waren die Beschwichtiger, Trostspender und
empörten Realitätsverweigerer am Wort. Die schlechteren Noten seien
ungerechtfertigt, verlautete in waldorfpädagogischem Einklang aus den
Staatskanzleien zwischen Wien, Paris und Rom. In der harten
Beurteilung seien weder die allenthalben eingeleiteten Reformen
gebührend gewürdigt worden noch die jüngste Entspannung an den
Anleihenmärkten.
Die Schuld suchten die Regierenden erwartungsgemäß nicht bei sich
selbst und den von ihnen aufgetürmten Schulden, sondern bei den
anderen, in erster Linie beim Überbringer der unerquicklichen
Nachricht. Ewald Nowotny, der Gouverneur der Oesterreichischen
Nationalbank, unterstellte der US-Ratingagentur Standard & Poor's
kaum verhohlen politische Absichten. Er führte den Seitenhieb nicht
aus. Doch es schwang die beliebte Vorstellung mit, dass da draußen
jenseits des Atlantiks eine böse Macht sei, die sich gegen Europa
verschworen habe.
'Es sind nicht die Ratingagenturen, die Frankreichs Politik
diktieren', gab der französische Finanzminister Baroin trotzig zu
Protokoll. Das kann man sich ausgiebig einreden. Aber natürlich
müssen Staaten politisch darauf reagieren, wenn sie für ihre Schulden
höhere Zinsen zahlen. Und dazu waren Frankreich und auch Österreich
gezwungen, bevor ihnen Standard & Poor's das dritte A nahm. De facto
waren sie im Vergleich zu Deutschland schon vor dem Downgrading
heruntergestuft. Diese Wirklichkeit hat nun einer der drei
Ratingriesen in Großbuchstaben gegossen. Die anderen zwei, Moody's
und Fitch, sehen noch nicht so schwarz und führen Österreich und
Frankreich noch als Triple-A-Länder; auch das kann sich rasch ändern.
Welche finanziellen Folgen der - teilweise - Bonitätsverlust hat,
wird sich bei den nächsten Auktionen von Staatsanleihen zeigen.
Frankreich könnte sich dabei zum Totengräber der Eurozone entwickeln.
Denn Paris ist nach Berlin wichtigster Bürge für den
Euro-Rettungsschirm. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn nach
Frankreich ausgerechnet jener Fonds heruntergestuft würde, mit dem
die EU den Euro vor dem Absaufen bewahren will. Zu verhindern wird
das möglicherweise nur sein, wenn Deutschland, Europas letzter
Triple-A-Gigant, Geld zuschießt.
Berlin wird dafür einen Preis verlangen. Schon jetzt schwingt die
deutsche Kanzlerin Merkel in der Eurokrise den Dirigentenstab.
Frankreichs Präsident Sarkozy durfte zuletzt nur noch ihre Noten
umblättern und hin und wieder die große Pauke schlagen. Ihn könnte
der Verlust des Top-Ratings bei der Präsidentenwahl im Frühling
entscheidend schwächen. Wobei ein Sieg der ausgabefreudigen
Sozialisten vermutlich schnell zu einem weiteren Downgrading führen
würde.
In Europa verschiebt sich jedenfalls das Gewicht zugunsten
Deutschlands, das wirtschaftlich vor Kraft strotzt. Doch das könnte
letztlich irrelevant sein, weil Europa als Folge der Eurokrise im
globalen Maßstab insgesamt an Bedeutung verliert. Ob dafür auch
Ratingagenturen verantwortlich sind?
Rückfragehinweis:
Die Presse am Sonntag
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
www.diepresse.com
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/447/aom
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OTS0042 2012-01-14/17:45
Ausgabe vom 15.1.2012
Wien (APA-ots) - Es hilft nicht viel, den Überbringer der Nachricht zu
prügeln. Frankreich hat nicht nur die höchste Bonitätsnote verloren,
sondern auch Einfluss in der EU. Das Gewicht verschiebt sich Richtung
Berlin.
Nach der Zeugnisverteilung waren die Beschwichtiger, Trostspender und
empörten Realitätsverweigerer am Wort. Die schlechteren Noten seien
ungerechtfertigt, verlautete in waldorfpädagogischem Einklang aus den
Staatskanzleien zwischen Wien, Paris und Rom. In der harten
Beurteilung seien weder die allenthalben eingeleiteten Reformen
gebührend gewürdigt worden noch die jüngste Entspannung an den
Anleihenmärkten.
Die Schuld suchten die Regierenden erwartungsgemäß nicht bei sich
selbst und den von ihnen aufgetürmten Schulden, sondern bei den
anderen, in erster Linie beim Überbringer der unerquicklichen
Nachricht. Ewald Nowotny, der Gouverneur der Oesterreichischen
Nationalbank, unterstellte der US-Ratingagentur Standard & Poor's
kaum verhohlen politische Absichten. Er führte den Seitenhieb nicht
aus. Doch es schwang die beliebte Vorstellung mit, dass da draußen
jenseits des Atlantiks eine böse Macht sei, die sich gegen Europa
verschworen habe.
'Es sind nicht die Ratingagenturen, die Frankreichs Politik
diktieren', gab der französische Finanzminister Baroin trotzig zu
Protokoll. Das kann man sich ausgiebig einreden. Aber natürlich
müssen Staaten politisch darauf reagieren, wenn sie für ihre Schulden
höhere Zinsen zahlen. Und dazu waren Frankreich und auch Österreich
gezwungen, bevor ihnen Standard & Poor's das dritte A nahm. De facto
waren sie im Vergleich zu Deutschland schon vor dem Downgrading
heruntergestuft. Diese Wirklichkeit hat nun einer der drei
Ratingriesen in Großbuchstaben gegossen. Die anderen zwei, Moody's
und Fitch, sehen noch nicht so schwarz und führen Österreich und
Frankreich noch als Triple-A-Länder; auch das kann sich rasch ändern.
Welche finanziellen Folgen der - teilweise - Bonitätsverlust hat,
wird sich bei den nächsten Auktionen von Staatsanleihen zeigen.
Frankreich könnte sich dabei zum Totengräber der Eurozone entwickeln.
Denn Paris ist nach Berlin wichtigster Bürge für den
Euro-Rettungsschirm. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn nach
Frankreich ausgerechnet jener Fonds heruntergestuft würde, mit dem
die EU den Euro vor dem Absaufen bewahren will. Zu verhindern wird
das möglicherweise nur sein, wenn Deutschland, Europas letzter
Triple-A-Gigant, Geld zuschießt.
Berlin wird dafür einen Preis verlangen. Schon jetzt schwingt die
deutsche Kanzlerin Merkel in der Eurokrise den Dirigentenstab.
Frankreichs Präsident Sarkozy durfte zuletzt nur noch ihre Noten
umblättern und hin und wieder die große Pauke schlagen. Ihn könnte
der Verlust des Top-Ratings bei der Präsidentenwahl im Frühling
entscheidend schwächen. Wobei ein Sieg der ausgabefreudigen
Sozialisten vermutlich schnell zu einem weiteren Downgrading führen
würde.
In Europa verschiebt sich jedenfalls das Gewicht zugunsten
Deutschlands, das wirtschaftlich vor Kraft strotzt. Doch das könnte
letztlich irrelevant sein, weil Europa als Folge der Eurokrise im
globalen Maßstab insgesamt an Bedeutung verliert. Ob dafür auch
Ratingagenturen verantwortlich sind?
Rückfragehinweis:
Die Presse am Sonntag
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
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OTS0042 2012-01-14/17:45