Investing.com - Obwohl an den Märkten die Erwartungshaltung besteht, dass die US-Notenbank auf ihrer FOMC-Sitzung nächste Woche das Tempo der Zinserhöhungen auf 50 Basispunkte reduziert, herrscht gleichzeitig Einigkeit darüber, dass sie den Leitzins im Jahr 2023 auf mindestens 5 % anheben wird.
Danach legen die Notenbanker höchst wahrscheinlich eine längere Zinspause ein. Ungeachtet dessen richtet sich die Geldpolitik der Fed weiterhin nach der Inflation, die trotz der jüngsten Abkühlung auf dem höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten verharrt.
Immerhin steht die Inflation unter dem Einfluss anderer Faktoren als nur der Leitzinsen, allen voran steigende Energiepreise und Probleme in der Lieferkette, und es gibt keine Garantie dafür, dass die von der Fed in diesem Jahr bislang vorgenommenen aggressiven Zinserhöhungen auch den erhofften Effekt haben werden.
Es ist daher durchaus denkbar, dass die Fed zu dem Schluss kommt, dass ein Leitzins von 5 % letztlich nicht ausreicht, um die Inflation auf ihren Zielwert zu bringen.
Ein solches Szenario zeichneten die Strategen von JPMorgan (NYSE:JPM) unter der Leitung von Nikolaos Panigirtzoglou in einer aktuellen Studie. Dabei wurde unterstellt, dass die Fed den Leitzins im zweiten Halbjahr 2023 schließlich auf 6,5 % anhebt - ein Szenario, dem die Bank eine Wahrscheinlichkeit von 28 % zuschreibt, während der Markt einem solchen Ausgang laut dem Fed-Rate-Tool von Investing.com bisher nur eine Wahrscheinlichkeit von 10 % beimisst.
Ein solches Szenario würde von vielen Kunden als Armageddon-Szenario angesehen, schrieb JPMorgan.
"Immerhin lag die Federal Funds Rate das letzte Mal im Jahr 2000 bei 6,5 % und diesem Leitzinsniveau folgten damals äußerst schwere Verluste für die Risikomärkte", merkte das JPM-Team an.
Armageddon-Szenario dürfte sich weniger stark auf die Märkte auswirken als man glaubt
Die Bank ist ihrerseits jedoch der Meinung, dass die Auswirkungen eines solchen Szenarios auf die Börsen weniger stark wären, als man annehmen könnte.
"Unserer Ansicht nach besteht zwar kein Zweifel daran, dass sich [ein Fed-Leitzins von 6,5 %] für die meisten Anlageklassen, einschließlich Aktien, Anleihen und Krediten, negativ auswirken würden, doch dürfte der mögliche Einbruch geringer ausfallen, als es ein Armageddon vermuten lassen würde", schrieben die Analysten.
Konkret gehen sie davon aus, dass der S&P 500 um 10 % fallen würde und die Renditen zehnjähriger Treasuries 50 Basispunkte zulegen könnten.
Das klänge zwar nicht gerade rosig, sei aber weit weniger besorgniserregend als die Einschätzung der meisten Kunden, mit denen die Bank gesprochen hat, die sich im Durchschnitt vor einem Absturz des S&P 500 auf unter 3.000 und einem Anstieg der 10-jährigen Renditen auf über 5 % fürchten.
"Eine weitere Erhöhung der Fed-Leitzinsen um 150 Basispunkte auf 6,5 % könnte sich für Aktien insgesamt als harmloser erweisen als befürchtet, auch wenn die Erwartungen einer harten Landung der Wirtschaft in diesem Risikoszenario eine weitere Underperformance der zyklischen Sektoren zur Folge hat", schrieb die Bank.
"Die Nachfrage nach Anleihen und Aktien hat sich 2022 bereits so stark abgeschwächt", erklärte Panigirtzoglou, was es "sehr viel unwahrscheinlicher macht, dass es 2023 zu einem ähnlich starken Nachfrageeinbruch kommt".
Das Szenario mit einem Leitzins von 6,5 % ist eines von vier Szenarien, die die Ökonomen von JPMorgan für das nächste Jahr aufgestellt haben. In den übrigen Szenarien gehen die Experten davon aus, dass 1) die Fed die Zinsen ab Mitte 2023 senkt, 2) die Zinsen inmitten einer leichten Rezession auf fast 5 % steigen oder dass 3) es der Zentralbank gelingt, die Inflation zu zügeln, ohne größeren wirtschaftlichen Schaden anzurichten.
von David Wagner