Börsen-Zeitung: Sondiereritis, Kommentar zur Regierungsbildung von
Angela Wefers
Frankfurt (ots) - Es grassiert ein sonderbares Leiden in Berlin in
diesem Herbst: die Sondiereritis. CDU, CSU, SPD und Grüne sind davon
gleichermaßen befallen. Das Virus führt aber in der deutschen
Parteienlandschaft zu erstaunlicher Bewegung, die vor der
Bundestagswahl am 23. September und auch kurz danach noch undenkbar
schien. Waren die politischen Lager zuvor klar in Schwarz-Gelb und
Rot-Grün bzw. Rot-Rot-Grün gespalten, reden inzwischen alle mit der
Union und CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Nur die Linke sitzt bis auf
Weiteres im Wartezimmer.
SPD und Grüne haben inzwischen freiwillig die Quarantäne
verlassen, in die sie sich kurz nach der Wahl begeben hatten - aus
lauter Angst, schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit der von Merkel
geführten Union drohe Ansteckungsgefahr. Schließlich - so die
Diagnose - habe Merkel in der schwarz-gelben Koalition rücksichtslos
ihre Belange durchgedrückt und sei für den Niedergang der FDP
verantwortlich.
Auch die SPD ging aus der Koalition mit der Union in der Wahl 2009
deutlich geschwächt hervor. Auf Abstand bleiben, lautete deshalb die
Therapie der Sozialdemokraten, selbst wenn das nur leicht verbesserte
SPD-Wahlergebnis 2013 nicht die These stützt, wer mit Merkel
koaliere, werde unweigerlich von der schleichenden
Stimmenschwindsucht erfasst.
Die Grünen gingen jedenfalls am gestrigen Nachmittag frohgemut in
die zweite Sondierungsrunde. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt,
die vor der ersten Begegnung mit den Unionstruppen überaus skeptisch
war, gab sich 'neugierig' und 'natürlich offen für mögliche
Überraschungen'. Die SPD kam aus der langen Nachtsitzung und zweiten
Sondierungsrunde vom Montag zwar ohne greifbare Ergebnisse heraus.
Dass Parteichef Sigmar Gabriel in der internen SPD-Telefonrunde keine
inhaltliche Annäherung verkündete, muss indes kein schlechtes Zeichen
sein. Der Politstratege tut gut daran, Gesicht zu wahren. Wie sähe es
aus, wenn die Union den Grünen ein Angebot zu Koalitionsverhandlungen
machte und die SPD hätte zuvor Annäherung verkündet? Immerhin ist
eine dritte schwarz-rote Sondierungsrunde ins Auge gefasst.
Sowohl SPD als auch Grüne haben den Start von
Koalitionsverhandlungen an das positive Votum ihrer Basis geknüpft.
Nach den Parteitagen am Wochenende sollte Klarheit sein. Die
belastende Sondiereritis ist keine verschenkte Zeit. Sie erlaubt, in
Koalitionsverhandlungen zügig voranzukommen, da die Claims abgesteckt
sind.
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www.boersen-zeitung.de
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Frankfurt (ots) - Es grassiert ein sonderbares Leiden in Berlin in
diesem Herbst: die Sondiereritis. CDU, CSU, SPD und Grüne sind davon
gleichermaßen befallen. Das Virus führt aber in der deutschen
Parteienlandschaft zu erstaunlicher Bewegung, die vor der
Bundestagswahl am 23. September und auch kurz danach noch undenkbar
schien. Waren die politischen Lager zuvor klar in Schwarz-Gelb und
Rot-Grün bzw. Rot-Rot-Grün gespalten, reden inzwischen alle mit der
Union und CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Nur die Linke sitzt bis auf
Weiteres im Wartezimmer.
SPD und Grüne haben inzwischen freiwillig die Quarantäne
verlassen, in die sie sich kurz nach der Wahl begeben hatten - aus
lauter Angst, schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit der von Merkel
geführten Union drohe Ansteckungsgefahr. Schließlich - so die
Diagnose - habe Merkel in der schwarz-gelben Koalition rücksichtslos
ihre Belange durchgedrückt und sei für den Niedergang der FDP
verantwortlich.
Auch die SPD ging aus der Koalition mit der Union in der Wahl 2009
deutlich geschwächt hervor. Auf Abstand bleiben, lautete deshalb die
Therapie der Sozialdemokraten, selbst wenn das nur leicht verbesserte
SPD-Wahlergebnis 2013 nicht die These stützt, wer mit Merkel
koaliere, werde unweigerlich von der schleichenden
Stimmenschwindsucht erfasst.
Die Grünen gingen jedenfalls am gestrigen Nachmittag frohgemut in
die zweite Sondierungsrunde. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt,
die vor der ersten Begegnung mit den Unionstruppen überaus skeptisch
war, gab sich 'neugierig' und 'natürlich offen für mögliche
Überraschungen'. Die SPD kam aus der langen Nachtsitzung und zweiten
Sondierungsrunde vom Montag zwar ohne greifbare Ergebnisse heraus.
Dass Parteichef Sigmar Gabriel in der internen SPD-Telefonrunde keine
inhaltliche Annäherung verkündete, muss indes kein schlechtes Zeichen
sein. Der Politstratege tut gut daran, Gesicht zu wahren. Wie sähe es
aus, wenn die Union den Grünen ein Angebot zu Koalitionsverhandlungen
machte und die SPD hätte zuvor Annäherung verkündet? Immerhin ist
eine dritte schwarz-rote Sondierungsrunde ins Auge gefasst.
Sowohl SPD als auch Grüne haben den Start von
Koalitionsverhandlungen an das positive Votum ihrer Basis geknüpft.
Nach den Parteitagen am Wochenende sollte Klarheit sein. Die
belastende Sondiereritis ist keine verschenkte Zeit. Sie erlaubt, in
Koalitionsverhandlungen zügig voranzukommen, da die Claims abgesteckt
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