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Veröffentlicht am 15.10.2013, 20:51
Börsen-Zeitung: Sondiereritis, Kommentar zur Regierungsbildung von

Angela Wefers

Frankfurt (ots) - Es grassiert ein sonderbares Leiden in Berlin in

diesem Herbst: die Sondiereritis. CDU, CSU, SPD und Grüne sind davon

gleichermaßen befallen. Das Virus führt aber in der deutschen

Parteienlandschaft zu erstaunlicher Bewegung, die vor der

Bundestagswahl am 23. September und auch kurz danach noch undenkbar

schien. Waren die politischen Lager zuvor klar in Schwarz-Gelb und

Rot-Grün bzw. Rot-Rot-Grün gespalten, reden inzwischen alle mit der

Union und CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Nur die Linke sitzt bis auf

Weiteres im Wartezimmer.

SPD und Grüne haben inzwischen freiwillig die Quarantäne

verlassen, in die sie sich kurz nach der Wahl begeben hatten - aus

lauter Angst, schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit der von Merkel

geführten Union drohe Ansteckungsgefahr. Schließlich - so die

Diagnose - habe Merkel in der schwarz-gelben Koalition rücksichtslos

ihre Belange durchgedrückt und sei für den Niedergang der FDP

verantwortlich.

Auch die SPD ging aus der Koalition mit der Union in der Wahl 2009

deutlich geschwächt hervor. Auf Abstand bleiben, lautete deshalb die

Therapie der Sozialdemokraten, selbst wenn das nur leicht verbesserte

SPD-Wahlergebnis 2013 nicht die These stützt, wer mit Merkel

koaliere, werde unweigerlich von der schleichenden

Stimmenschwindsucht erfasst.

Die Grünen gingen jedenfalls am gestrigen Nachmittag frohgemut in

die zweite Sondierungsrunde. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt,

die vor der ersten Begegnung mit den Unionstruppen überaus skeptisch

war, gab sich 'neugierig' und 'natürlich offen für mögliche

Überraschungen'. Die SPD kam aus der langen Nachtsitzung und zweiten

Sondierungsrunde vom Montag zwar ohne greifbare Ergebnisse heraus.

Dass Parteichef Sigmar Gabriel in der internen SPD-Telefonrunde keine

inhaltliche Annäherung verkündete, muss indes kein schlechtes Zeichen

sein. Der Politstratege tut gut daran, Gesicht zu wahren. Wie sähe es

aus, wenn die Union den Grünen ein Angebot zu Koalitionsverhandlungen

machte und die SPD hätte zuvor Annäherung verkündet? Immerhin ist

eine dritte schwarz-rote Sondierungsrunde ins Auge gefasst.

Sowohl SPD als auch Grüne haben den Start von

Koalitionsverhandlungen an das positive Votum ihrer Basis geknüpft.

Nach den Parteitagen am Wochenende sollte Klarheit sein. Die

belastende Sondiereritis ist keine verschenkte Zeit. Sie erlaubt, in

Koalitionsverhandlungen zügig voranzukommen, da die Claims abgesteckt

sind.

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