- von Andreas Rinke und Tom Körkemeier
Berlin (Reuters) - Die Union setzt mit der Nominierung von Wolfgang Schäuble zum Bundestagspräsidenten erste Segel nach Jamaika.
Mit dem Wechsel des 75-Jährigen aus dem Finanzministerium an die Spitze des Parlaments eröffnete sich Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch Spielräume für die Vergabe von Schlüsselressorts an mögliche künftige Koalitionspartner. Auch die FDP wertete die Personalentscheidung der Bundestagsfraktion von CDU und CSU als Zeichen Merkels für eine gemeinsame Koalition mit den Liberalen und den Grünen. Der Posten des Bundestagspräsidenten wird wegen des Einzugs der AfD in den Bundestag in der Union als besonders wichtig erachtet.
FDP-Vizeparteichef Wolfgang Kubicki sagte, mit der Schäuble-Nominierung stehe das Finanzministerium zur Disposition für eine Personalentscheidung im Fall eines Jamaika-Bündnisses. In CSU-Kreisen hieß es, wenn die FDP das Ministerium beanspruchen sollte, werde das nicht an der CSU scheitern. Die Grünen hielten sich zunächst damit zurück, sich ebenfalls hinter Schäubles Wechsel in das zweithöchste Staatsamt zu stellen.
Die Unions-Bundestagsfraktion nominierte den bisherigen Finanzminister mit dessen Zustimmung als Nachfolger für Norbert Lammert. "Wir freuen uns, dass sich Wolfgang Schäuble bereit erklärt hat, für das Amt zu kandidieren", teilte Fraktionschef Volker Kauder mit. Schäuble soll in der nächsten Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 17. Oktober formell als Kandidat beider Parteien bestimmt werden. Der neue Bundestag muss nach der Wahl am Sonntag laut Grundgesetz bis zum 24. Oktober erstmals zusammenkommen.
Mit dem Wechsel würde Schäuble die Führung des Finanzministeriums abgeben, das er seit 2009 leitet und in der er als deutsches Gesicht in der Finanz- und Eurokrise galt. Der CDU-Politiker ist laut Umfragen einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.
Das Vorschlagsrecht liegt bei der CDU/CSU als stärkster Fraktion im neuen Bundestag. Das Finanzministerium lehnte jeden Kommentar ab. Seit Tagen häuften sich die Vorschläge aus der Union, dass Schäuble die Nachfolge von Lammert antreten soll. Er ist seit 1972 Abgeordneter und damit der dienstälteste Parlamentarier im neuen Bundestag. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland reagierte zurückhaltend auf die Personalie: "Ich habe hier keine Kritik, aber auch keine Zustimmung zu äußern."
Mit dem AfD-Einzug befürchten viele Parlamentarier Provokationen durch die Rechtspopulisten. Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt in den Parlamentsgebäuden aus. Verletzt ein Abgeordneter die parlamentarische Ordnung, kann ihm der Präsident eine Rüge oder einen Ordnungsruf erteilen, das Wort entziehen oder ihn bis zu 30 Sitzungstage von den Verhandlungen ausschließen.
Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Christian Lindner erklärte, er habe Kauder die Unterstützung seiner Partei für Schäubles Kandidatur zugesichert. "Als herausragende Persönlichkeit verfügt Wolfgang Schäuble über eine natürliche Autorität, die an der Spitze des Deutschen Bundestages in diesen Zeiten von besonderer Bedeutung ist", sagte Linder zur Begründung. Die FDP stellt 80 Abgeordnete im neuen Bundestag.
Kubicki sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der Rückzug Schäubles aus dem Finanzministerium ermögliche eine Neuausrichtung der Finanzpolitik in Deutschland im Rahmen einer neuen Regierungskoalition. Auch aus Reihen der Union hieß es dem RND zufolge, die Entscheidung für Schäuble sei eine Vorentscheidung bei der Verteilung des Finanzministeriums. "Die FDP wird in diesem Fall zwingend das Finanzressort besetzen", zitierte das Netzwerk aus der Parteispitze. Das Ministerium in der Wilhelmstraße gilt nach dem Kanzleramt als die zweitmächtigste Schaltstelle der Bundesregierung, weil es bei praktisch allen Themen mitredet und ein Veto-Recht bei finanziellen Entscheidungen hat.
In der FDP gilt Kubicki seit längerem als ein möglicher Kandidat für das Amt des Finanzministers im Falle einer Jamaika-Koalition. Auch der Name von Lindner, der sich gerade erst zum Fraktionschef hatte wählen lassen, wird dafür genannt.
Der bisherige Unions-Koalitionspartner SPD signalisierte ebenfalls Zustimmung für den Wechsel Schäubles an die Parlamentsspitze. Grünen-Chefin Simone Peter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass Personalvorschläge ihrer Partei für das Bundestagspräsidium beraten würden, wenn sich die Fraktion konstituiert habe. "Für uns Grüne ist klar, dass der Bundestag angesichts des Wahlausgangs und des Rechtsrucks im Parlament eine starke Stimme für die Demokratie und den Rechtsstaat braucht."
Der Bundestagspräsident muss ebenso wie seine Stellvertreter vom Bundestag gewählt werden. Deshalb ist die Unterstützung anderer Fraktionen wichtig. Als noch offen gilt, ob die AfD einen Vizepräsidentenposten erhält - nach der bisherigen Geschäftsordnung hätte sie darauf einen Anspruch.