London/Brüssel (Reuters) - Als Alternative zu einem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union nach dem Brexit erwägt die britische Regierung einem Zeitungsbericht zufolge den Beitritt zum Nafta-Handelsvertrag.
Minister der Regierung würden die Möglichkeit prüfen, sich dem Abkommen der USA, Kanadas und Mexikos anzuschließen, berichtete der "Daily Telegraph" am Dienstag. Die Erwägung gelte für den Fall, dass die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit der EU scheitern sollten. Das britische Handelsministerium kommentierte den Bericht zunächst nicht.
Die Regierung in London peilt ein Freihandelsabkommen im Anschluss an den Brexit an, um Nachteile für die heimische Wirtschaft nach dem EU-Austritt 2019 zu begrenzen. EU-Ratspräsident Donald Tusk zufolge beschäftigt sich die Staatengemeinschaft nicht mit dem Szenario, dass keine Einigung mit Großbritannien gelingt.
Das Freihandelsabkommen Nafta wurde 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko geschlossen. Der Vertrag wird derzeit überarbeitet. US-Präsident Donald Trump hat mit dem Austritt aus der Vereinbarung gedroht, weil er darin Nachteile für sein Land sieht. Der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau berät mit Trump am Mittwoch in Washington über das Abkommen. In der Nähe der US-Hauptstadt soll zugleich die vierte Verhandlungsrunde zwischen den drei Nafta-Staaten beginnen. Sollte Großbritannien der Freihandelszone beitreten, müsste es sich nach 40-jähriger Orientierung an den EU-Regeln den nordamerikanischen Vorgaben für Dienstleistungen, Waren, Wettbewerbsregel und Datenschutz-Vorgaben unterwerfen.
Die britische Regierung steht unter Zeitdruck, da die EU über das in London angestrebte Freihandelsabkommen erst dann verhandeln will, wenn bei den Brexit-Scheidungsgesprächen ausreichend Fortschritte erzielt wurden. Tusk sagte in Brüssel, er hoffe darauf, dass bis Dezember genug Substanz in diesen Verhandlungen erzielt wird. Die britische Seite hatte dagegen darauf gesetzt, dass beim EU-Gipfel kommende Woche entsprechende Fortschritte festgestellt werden. Tusk sagte, die EU verhandele im guten Glauben. "Wir hören aus London, dass die britische Regierung ein 'No deal'-Szenario vorbereitet. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass die EU nicht an einem solchen Szenario arbeitet."
Mehrere Verhandlungsrunden in Brüssel haben bisher nur wenig greifbare Ergebnisse hervorgebracht. Die britische Premierministerin Theresa May erwartet einen Abschluss der Brexit-Gespräche erst kurz vor dem EU-Austritt ihres Landes im März 2019. Dem Vertrag müssen vor dem Inkrafttreten alle 28 beteiligten Staaten sowie das EU-Parlament zustimmen.
Trotz der unsicheren Lage will die Mehrheit der Briten einer Umfrage zufolge, dass May zumindest bis zum Abschluss der Austritts-Verhandlungen im Amt bleibt. 57 Prozent der Befragten sind dieser Ansicht, wie aus einer Erhebung des ORB-Instituts für den "Telegraph" hervorgeht. Nur jeder fünfte Befragte hielt demnach Außenminister Boris Johnson für besser geeignet. Das Institut befragte mehr als 2000 Wähler am vergangenen Wochenende.
An den Finanzmärkten stieg zugleich die Hoffnung auf eine gütliche Einigung mit der EU. So verteuerten sich britische Bankaktien, weil Analysten über einen "sanften Brexit" spekulierten.