- von Markus Wacket und Tom Käckenhoff
Berlin (Reuters) - Das deutsche Klimaschutzziel 2020 und der Ausstieg aus der Braunkohlenutzung sind Konfliktpunkte in den Koalitionsgesprächen.
Die Debatten finden vor dem Hintergrund des Weltklimagipfels in Bonn statt, wo ebenfalls die Abkehr von fossilen Energieträgern im Fokus steht. Über Tempo und Folgen eines Verzichts auf die Verbrennung der klimaschädlichen Braunkohle diskutiert nicht nur die Politik, auch in Wirtschaft und Unternehmen gehen die Meinungen auseinander.
BEDEUTUNG DER KOHLE: Trotz des Ausbaus der Erneuerbaren Energien wird in Deutschland Strom noch zu rund 23 Prozent aus heimischer Braunkohle und zu 17 Prozent aus überwiegend Import-Steinkohle erzeugt. Seit Jahren gehen ältere Kohlekraftwerke vom Netz. Einmal aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch auf Druck der Politik, wobei dies bislang mit einem Ausgleich für die Unternehmen verbunden war. Dennoch sinkt der Treibhausgas-Ausstoß weniger stark als erwartet. Ein Grund ist, dass in den vergangenen Jahren wachsende Mengen an Kohlestrom nur für den Export produziert wurden, die Wirtschaft stärker wächst und wegen der Zuwanderung mehr Energie verbraucht wird. Das nationale Klimaziel 2020 wird so nach derzeitigem Stand deutlich verfehlt.
DIE VERSORGUNGSSICHERHEIT: Aus der FDP aber auch von Unternehmen wird immer wieder auf ein Risiko für die Versorgungssicherheit hingewiesen. Zumindest nördlich der Main-Linie und besonders in Ostdeutschland gibt es derzeit Überkapazitäten. Hier könnten nach Einschätzung von Experten aus dem Umwelt- und auch aus dem Wirtschaftsministerium zusätzliche Kraftwerke vom Netz gehen. Die Grünen habe in ihrem Wahlprogramm das Abschalten der 20 ältesten Meiler gefordert.
Nach 2022, wenn die letzten Atomkraftwerke auch in Süddeutschland vom Netz gehen, gibt es neue Herausforderungen. Die Nord-Süd-Stromleitungen sind bis dahin noch nicht ausgebaut. Südlich der Main-Linie könnten daher sogar neue Kraftwerke nötig sein, die allerdings auf Gas-Basis laufen könnten. Diese Anlagen stoßen deutlich weniger CO2 als Kohlekraftwerke aus.
Die Branche der Erneuerbaren Energien plädiert stattdessen für einen forcierten Ausbau von Wind- und Solarkraft. So würde auch Zeit zum Bau von Stromspeichern gewonnen. Auf diese Weise ließen sich die Klimaziele - und zudem die EU-Vorgaben zum Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen.
DIE KRAFTWERKSBETREIBER: Die beiden Kraftwerkbetreiber RWE (DE:RWEG) und Uniper sehen die Debatte skeptisch: Ein rascher Kohle-Ausstieg würde insbesondere die neuen Anlagen zu Investitionsruinen machen, argumentieren sie. Die Konzerne müssten umgehend hohe Abschreibungen vornehmen. Uniper will 2018 noch das Kohlekraftwerk Datteln 4 in Betrieb nehmen, das über eine Milliarde Euro gekostet hat. RWE will bis Mitte des Jahrhunderts Braunkohle fördern und Kraftwerke betreiben. "Ein deutscher Alleingang bei der Kohleverstromung wäre reine Symbolpolitik, die dem Klima nicht hilft", sagt RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz. Vielmehr solle der europäische Emissionshandel gestärkt werden, mit dem die Klimaschutzziele in der Stromversorgung ereicht würden.
Kraftwerke müssen Rechte für den CO2-Ausstoß erwerben. Die Preise dafür liegen derzeit aber so niedrig, dass Kritiker einen fehlenden Anreiz zum Klimaschutz bemängeln. Eine Reform des Handels ist schwer umzusetzen, da dafür in der EU eine Mehrheit benötigt wird.
DIE CHEMIEINDUSTRIE: Die Chemieindustrie mit Größen wie BASF (DE:BASFN) ist einer der größten Stromverbraucher. Der Verband VCI betont daher besonders die Notwendigkeit von Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Beides müsse eine Voraussetzung für energie- und klimapolitische Weichenstellungen sein. Deutschland habe schon jetzt mit die höchsten Energiepreise in Europa. Fortschritte beim Klimaschutz gewährleiste der europäische Emissionshandel, argumentiert auch dieser Verband. "Eine mittel- bis langfristige Reduzierung der CO2-Emissionen wird mit diesem System garantiert."
SIEMENS: Der Industriegigant Siemens (DE:SIEGn) dagegen fordert in einem Positionspapier einen "beschleunigten Kohleausstieg" und plädiert dafür, dass verlässliche Stromlieferungen extra vergütet werden. Dies würde etwa Gaskraftwerken helfen, wofür Siemens mit seinen Turbinen das Herzstück liefert. Gas-Kraftwerke produzieren zudem nur annähernd die Hälfte des CO2-Ausstoßes von Kohlemeilern. Profitieren würde Siemens bei einem beschleunigten Kohleausstieg wohl auch über seine Windrad-Sparte, die praktisch CO2-freien Strom liefert.
STAHLBRANCHE: Konzerne wie Thyssenkrupp (DE:TKAG) und Salzgitter (DE:SZGG) profitieren ebenfalls vom Ausbau der Windindustrie. Allerdings warnt die Branche auch vor zu harten Klimaschutzauflagen. Im Blick hat sie dabei weniger die Frage der Kohlekraftwerke. Vielmehr sorgt sie sich um strengere Auflagen bei der Vergabe von Verschmutzungsrechten durch die EU. Kokskohle ist zudem im Industrieprozess in vielen Werken noch unverzichtbar.