- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Wenn Chinas Ministerpräsident Li Keqiang mit 16 osteuropäischen Regierungen zusammentrifft, hat dies in den vergangenen Jahren kaum Aufmerksamkeit erregt.
Aber diesmal ist das anders: Denn in Budapest will allein Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban auf dem sogenannten "16 plus 1"-Gipfel elf bilaterale Verträge unterzeichnen. China lockt die Region insgesamt mit Investitionen und Entwicklungsprojekten von rund drei Milliarden Dollar. Und in Westeuropa wächst zugleich die Sorge vor Fliehkräften am östlichen Rand der EU. "Außerdem kommen mit den wirtschaftlichen Kontakten auch politische Abhängigkeiten", warnt Jan Gaspers, beim China-Thinktank Merics zuständig für die europäische China-Politik.
Zu der verstärkten Aufmerksamkeit für Chinas wachsende Präsenz in Osteuropa trägt auch bei, dass wie bei einem Puzzle langsam der Zusammenhang zwischen einzelnen chinesischen Aktivitäten sichtbar wird. Ein Beispiel ist der chinesische Kredit für die Modernisierung der Bahnverbindung zwischen Ungarn und der serbischen Hauptstadt Belgrad: Diese soll die bessere Anbindung an den griechischen Hafen Piräus ermöglichen. Und den baut China schon seit Jahren aus, um einen neuen EU-Hauptanlandepunkt für chinesische Waren zu schaffen.
SEIDENSTRASSEN-KONZEPT - MIT POLITISCHEN FOLGEN
Für die chinesische Führung sind die Projekte nur kleine Bausteine im Rahmen ihres riesigen Seidenstraßen-Konzepts, mit dem sie die ganze Welt mit Transportrouten für eigene Waren erschließen will. Dabei denkt Peking in regionalen Zusammenhängen - und nicht unbedingt in politischen Grenzziehungen etwa in Europa. So nehmen an den "16 plus 1"-Gipfeln eben nicht nur EU-Staaten, sondern auch Balkan-Länder teil, die keine EU-Mitglieder sind. Zwar sind die EU-Kommission und der Europäische Diplomatische Dienst EAD mittlerweile zu den offiziellen Treffen eingeladen, dennoch bleibt der Argwohn in etlichen EU-Hauptstädten wie Berlin.
"Wenn es uns nicht gelingt, eine eigene Strategie mit Blick auf China zu entwickeln, dann wird es China gelingen, Europa zu spalten", hatte etwa Außenminister Sigmar Gabriel Ende August mit Blick auf die Osteuropa-Konferenzen gewarnt - die in China "1 plus 16"-Treffen heißen. Spätestens seit der Brexit-Entscheidung glaubt die EU im Osten generell mit erheblichen Fliehkräften kämpfen zu müssen. Dort sind neben China auch Russland, die USA und die Türkei verstärkt aktiv.
Aber vor allem die wirtschafts- und finanzstarken Chinesen dienen sich immer stärker als Partner an - und lösen enorme Hoffnungen auf Investitionen aus. "Dabei kann man mittlerweile drei Staatengruppen unterscheiden", sagt Merics-Experte Gaspers. Polen und Balten seien bereits etwas ernüchtert, Ungarn, Tschechien und Slowenien aber noch voller Hoffnungen auf riesige Investitionen. Dazu kämen die Balkanstaaten, die die EU wiederum mit eigenen Aufbauhilfen in Richtung Beitritt ziehen will.
Doch mit der Hoffnung komme mehr Verständnis für Chinas Anliegen, meinen viele EU-Diplomaten und auch Merics-Experte Gaspers. So habe sich bei etlichen EU-Abstimmungen gezeigt, dass etwa Griechenland oder Ungarn plötzlich chinesische Positionen verträten. Im UN-Menschenrechtsrat konnte die EU erstmals keine einheitliche Position bei der Verurteilung von Vergehen in China einnehmen, weil sich Griechenland quer stellte. "China geht zudem dazu über, zunehmend nicht nur sein wirtschaftliches, sondern auch sein politisches Modell zu exportieren", beobachtet Gaspers. Schon im vergangenen Jahr hatte eine Merics-Studie festgestellt, dass China etwa mit Übernahmen auch von Firmen in Ost- und Südosteuropa durchaus politische Ziele verfolge und das Wohlwollen der jeweiligen Regierung suche.
EXPERTE: NUR GESAMTEUROPÄISCHER ANSATZ HILFT
Dies trifft die EU in einer heiklen Phase: Denn ausgerechnet der Gastgeber des diesjährigen "16 plus 1"-Treffens, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, zeigt nach Ansicht seiner Kritiker selbst autoritäre Tendenzen. Die Kluft könnte sich in der EU noch vergrößern: Denn Geld aus China wird in dem Maße attraktiver, in dem osteuropäische EU-Staaten wie Ungarn oder Polen angedroht wird, dass die Verletzung von Rechtsstaatsprinzipien mit der Kürzung von EU-Strukturhilfen bestraft werden könnte.
Nun mit China in einen Wettlauf um Investitionen einzutreten, hält Mercis-Experte Gaspers jedoch für den falschen Weg. Vielmehr sieht er die großen EU-Staaten gefordert. Denn zurecht verwiesen die kleinen osteuropäischen Länder zurecht darauf, dass etwa Deutschland ebenfalls privilegierte Beziehungen zu China unterhielten und Geschäfte in Milliardenhöhe machten. "Die großen EU-Staaten sollten deshalb überlegen, ob man die europäische Chinapolitik nicht auf eine wirklich gemeinsame Basis stellt", schlägt er vor. Ein anderes Mittel wäre mehr Transparenz bei Investitionsentscheidungen, weil dies zumindest politischen Missbrauch verhindern helfe.
(Mitarbeit: Sabine Siebold, redigiert von Alexander Ratz)