Frankfurt/Berlin (Reuters) - In der Politik und bei den Aufsichtsbehörden wächst im Zuge der Brexit-Entscheidung der Widerstand gegen die Fusionspläne von Deutscher Börse und London Stock Exchange (LON:LSE).
Felix Hufeld, der Präsident der deutschen Finanzaufsicht BaFin, forderte am Dienstag als bisher ranghöchster Amtsträger, die geplante Mega-Börse nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU nicht wie geplant in London anzusiedeln. "Es ist schwer vorstellbar, dass der wichtigste Börsenplatz im Euro-Raum von einem Standort außerhalb der EU gesteuert wird", sagte er in Frankfurt. "Da wird man sicher nachjustieren müssen." Auch SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider forderte die Unternehmen zum Umdenken auf. "Der künftige Sitz der fusionierten Börse muss der Aufsicht und Regulierung der EU unterliegen."
Beide Konzerne wollen trotz zunehmender Kritik an dem rund 25 Milliarden Euro schweren Zusammenschluss festhalten. Die LSE-Eigner sollten wie geplant am Montag (4. Juli) auf einer außerordentlichen Hauptversammlung grünes Licht für die Börsen-Hochzeit geben, erklärte die Londoner Börse. Die Aktionäre von Deutschlands größtem Börsenbetreiber haben Zeit bis zum 12. Juli, um das Fusionsangebot anzunehmen. Angesichts der Synergien, die beide Unternehmen versprochen haben, sei eine Zustimmung wahrscheinlich, sagte einer der größten 20 Investoren der Deutschen Börse der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Fusion ist für die Aktionäre auch nach einem Brexit sehr attraktiv." Ob die Behörden anschließend grünes Licht geben, sei dagegen schwer vorherzusehen. "Börsen sind nun mal politische Konstrukte."
Ein Referendums-Komitee beider Konzerne soll sich in den kommenden Wochen mit Reaktionen auf den Austritt Großbritanniens befassen. Auch die Entscheidung für London als "alleinigem Sitz" des fusionierten Konzerns werde dabei überprüft, hat Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber angekündigt. Die große Frage sei nun, ob London bereit sei, sich in der Frage des Hauptsitzes zu bewegen, sagte eine mit der Fusion vertraute Person - die Deutsche Börse stellt mit Carsten Kengeter schließlich schon den Vorstandschef. Eine Verlagerung der Holding-Gesellschaft nach Frankfurt oder die Schaffung von zwei Firmensitzen könnte dem Insider zufolge beschlossen werden, wenn die Aufsichtsräte beider Unternehmen grünes Licht geben. Umgesetzt würden die Änderungen dann aber erst nach dem Abschluss der Fusion 2017.
KRITIK IN BERLIN WIRD LAUTER
Neben der EU-Kommission muss auch die hessische Börsenaufsicht dem Zusammenschluss zustimmen. Die Bedenken der Wiesbadener gegen den Firmensitz London haben sich Insidern zufolge nach der Brexit-Entscheidung verstärkt. Die Behörde, die im hessischen Wirtschaftsministerium angesiedelt ist, will sich vor ihrer Entscheidung Finanzkreisen zufolge auch mit der Bundesregierung austauschen. In Berlin ist die Kritik an der Fusion in den vergangenen Tagen lauter geworden. "Einen Sitz in London kann es für das gemeinschaftliche Unternehmen nach dem Brexit nicht mehr geben", sagte etwa Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs.
BaFin-Präsident Hufeld kann den Zusammenschluss nicht mehr blockieren, er wird nach eigenen Angaben aber als Experte zu Rate gezogen. "Es gibt eine Reihe von Themen, wo wir beteiligt sind." Die BaFin untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums. "Die Aufsichtbehörden prüfen weiter", sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Die Deutsche Börse wollte sich dazu nicht äußern.
Nach dem Brexit müssten auch andere Geschäfte von London in die EU verlagert werden, erklärte Hufeld, etwa im Handel. Deutsche-Bank-Chef John Cryan hat bereits vor dem Referendum angekündigt, das Institut werde bei einem Brexit den Handel mit Staatsanleihen von Euro-Ländern aus London abziehen. "Wir handeln schließlich auch keine italienischen Staatsanleihen in Tokio." Institute, die große IT-Zentren in Großbritannien haben, müssen aus Sicht von Experten auch diese verlagern - denn der Datenaustausch mit Drittstaaten ist oft kompliziert und streng reguliert.