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Zinssenkung um 50 Basispunkte: Warum die Anleiherenditen trotzdem steigen

Veröffentlicht am 05.10.2024, 12:36
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Am 18. September 2024 beherrschte eine Meldung die Schlagzeilen: Die Fed hatte den Leitzins um 50 Basispunkte gesenkt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass ein Händler, der eine Art „Kristallkugel“ besitzt, bereits Tage vor der Fed-Entscheidung Anleihen gekauft hätte, um von den erwarteten Kursgewinnen zu profitieren. Doch in diesem Fall erwies sich die Kristallkugel als trügerisch.

Entgegen den Erwartungen stiegen die Anleiherenditen nach der Zinssenkung, obwohl viele Experten aus dem Rentenmarkt dies zunächst als positives Ereignis interpretierten. Wer sich durch die Medienlandschaft liest, wird verschiedene Erklärungen für den Ausverkauf finden. Einige machen die Inflationserwartungen, angeheizt durch die Fed, dafür verantwortlich, andere verweisen auf Chinas massives Konjunkturpaket. Aus unserer Sicht ist die Erklärung jedoch viel simpler: Es kommt stets auf den Kontext an.

Dieser Artikel entstand, nachdem wir überrascht gefragt wurden, ob wir jemals eine derart negative Reaktion des Anleihemarktes auf eine Zinssenkung erlebt hätten.

Technische Daten - hier der Kontext

Am 18. September, als die Federal Reserve die Zinssätze um 50 Basispunkte senkte, reagierten die Märkte kaum. Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe stieg leicht von 3,68 % auf 3,69 % zum Handelsschluss. Fünf Tage später setzte sich dieser Trend fort und die Rendite stieg um weitere 12 Basispunkte auf 3,81 %.

Eine Kristallkugel, die einem Händler die bevorstehende Zinssenkung der Fed vorhergesagt hätte, wäre ein wertvolles Werkzeug. Doch ohne den richtigen Kontext hätte selbst die präziseste Vorhersage nicht unbedingt zu Gewinnen geführt. Im Handel ist der Kontext entscheidend, da er die Marktbedingungen und vorherrschenden Trends beschreibt. Kurzfristig bietet die technische Analyse wertvolle Hinweise, um diesen Kontext zu erfassen.

Im Fall der Zinssenkung der Fed war es entscheidend zu wissen, dass die Märkte bereits seit Monaten mit einer solchen Entscheidung auf der September-Sitzung gerechnet hatten. In den Tagen vor der Ankündigung stiegen die Erwartungen auf eine Senkung um 50 Basispunkte deutlich, ausgelöst durch einen Rückgang der Rendite der 10-jährigen Staatsanleihe um 1 % seit April. Ebenso relevant war, dass Anleihen auf technischer Basis stark überkauft waren.

Dieses Potenzial für eine negative Reaktion auf eine grundsätzlich positive Nachricht der Fed hatten wir im Blick. Bereits am 17. September, dem Tag vor der Sitzung, verfassten wir in unserem Tageskommentar eine entsprechende Einschätzung zur Lage auf dem Anleihemarkt:

"Gestern berichteten wir über die starke Erholung der Märkte von den jüngsten Tiefstständen. Vor der mit Spannung erwarteten Sitzung der US-Notenbank und der erwarteten Zinssenkung hat sich auch der Anleihemarkt deutlich erholt. Staatsanleihen, dargestellt durch den TLT, sind weit von ihrer 50-Tage-Durchschnittslinie entfernt und zeigen auf mehreren Ebenen überkaufte Bedingungen. Langfristig bleiben wir optimistisch für Anleihen, insbesondere bei einer sich abschwächenden Konjunktur. Allerdings halten wir die derzeitigen überkauften Zustände und den starken Enthusiasmus am Anleihemarkt der letzten Monate für übertrieben.

Mit Blick auf die bevorstehende Fed-Sitzung deutet die aktuelle Situation darauf hin, dass selbst bei einer erwarteten Zinssenkung ein Szenario von 'Buy the rumor, sell the fact' für Anleihen eintreten könnte. Natürlich kann ein überkaufter Markt länger bestehen bleiben, als viele erwarten, weshalb Vorsicht geboten ist."

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Kontext im Handel oft wertvoller ist als die Vorhersage selbst. Eine Kristallkugel ohne den richtigen Markt-Kontext wäre letztlich weniger nützlich.

Die Kristallkugel-Challenge

Der in der Einleitung erwähnte Artikel basiert auf Daten, die die Autoren im Rahmen der "Kristallkugel-Challenge" erhoben haben. Diese Herausforderung wurde mit 118 jungen Erwachsenen durchgeführt, die eine finanzielle Ausbildung besitzen.

Bevor Sie sich die Zusammenfassung des Artikels ansehen, laden wir Sie ein, auf die unten stehende Kristallkugel zu klicken. Nehmen Sie an der Challenge teil und testen Sie selbst, wie hilfreich – oder auch nicht – eine Kristallkugel, die morgige Schlagzeilen vorhersagt, tatsächlich für die Prognose kurzfristiger Kursänderungen ist.

Kristallkugel

Warum eine Kristallkugel nicht ausreicht, um reich zu werden

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass selbst der beste Informationsvorsprung nicht automatisch zu Erfolg führt. Aus dem Whitepaper geht hervor:

"Hatte Taleb Recht mit seiner Vermutung, dass 'wenn man einem Investor die Nachrichten des nächsten Tages 24 Stunden im Voraus mitteilt, er in weniger als einem Jahr pleite sein würde'? In unserem Experiment haben wir dies zwar nicht exakt überprüft – den Spielern standen nur 15 Tage lang Titelseiten zur Verfügung, und es ging um überschaubare Einsätze von 100 Dollar im Spiel – doch im Großen und Ganzen bestätigte sich Talebs Annahme.

Die 118 jungen Finanzfachleute, die an dem Experiment teilnahmen, erzielten lediglich eine geringe positive Rendite, die statistisch nicht vom Zufall abwich. Ihre Ergebnisse glichen im Wesentlichen einem Münzwurf. Die Autoren des Experiments führen die schwachen Ergebnisse auf zwei Hauptfaktoren zurück."

Erstens gelang es den Teilnehmern nicht, die Entwicklung von Aktien und Anleihen richtig einzuschätzen, obwohl sie die Schlagzeilen 36 Stunden im Voraus kannten.

Zweitens argumentieren die Autoren, dass die Spieler ihre Einsatzgrößen nicht angemessen gewählt haben. Einige Händler agierten offenbar auf Basis von Schlagzeilen, die keinen wirklichen Einfluss auf die Märkte hatten. In solchen Fällen war die Entscheidung eher eine 50:50-Chance.

Ein besonders wichtiger Punkt, den die Autoren hervorheben, ist die "Ticketgröße". Die Handelspositionen hätten klein sein müssen oder es hätten gar keine Trades stattfinden sollen, wenn die Händler wenig Vertrauen in ihre Einschätzungen hatten. Umgekehrt hätten sie größere Positionen eingehen sollen, wenn ihr Vertrauen in die Richtigkeit ihrer Vermutungen hoch war.

Erfahrung ist wichtig

Der Artikel zitiert einen Tweet von Lloyd Blankfein, dem ehemaligen Vorsitzenden von Goldman Sachs (NYSE:GS). Zwar bezieht sich sein Tweet auf das Marktgeschehen im Zusammenhang mit dem Verbraucherpreisindex an einem bestimmten Tag, doch würden wir wetten, dass er zustimmen würde: Es ist oft nicht von Vorteil, Neuigkeiten vor allen anderen zu kennen.

Tweet von Lloyd Blankfein

Nach Tests mit jüngeren Finanzexperten wollten die Autoren herausfinden, wie erfahrene Händler abschneiden. Sie "luden fünf erfahrene und erfolgreiche Makrohändler" ein, um an einem weiteren Test teilzunehmen. Interessanterweise zeigte sich auch hier, dass das Vorwissen über Schlagzeilen nicht von überragendem Nutzen ist. Die Händler lagen in 63 % der Fälle richtig, erzielten aber dennoch beeindruckende durchschnittliche Renditen von 130 %.

"Diese Händler schlossen alle mit einem Gewinn ab. Im Schnitt konnten sie ihr Anfangskapital um 130 % steigern, wobei der Median bei 60 % lag. Alle Teilnehmer handelten selektiv und variierten stark in der Größe ihrer Trades. Etwa ein Drittel der Handelsgelegenheiten nutzten sie nicht, setzten jedoch an Tagen, an denen sie sich der Auswirkungen der Nachrichten auf Aktien- oder Anleihemärkte sicher waren, mit hohen Einsätzen."

Beim Investieren bleibt das Raten ein fragwürdiges Unterfangen. Es ist jedoch entscheidend, dass man im richtigen Kontext investiert und seine Trades oder Investitionen basierend auf dem eigenen Vertrauen in die Situation angemessen dimensioniert.

Die Studie zeigt indirekt, wie wichtig Kontext ist. Wie wir eingangs erwähnt haben, kann die technische Analyse entscheidende Hinweise auf jüngste Trends, deren Stärke und mögliche Veränderungen in der Marktdynamik liefern. Darüber hinaus können Volumen- und Handelsanalysen "Pain-Points" im Markt und Preisniveaus aufzeigen, bei denen Anleger verstärkt zum Kauf oder Verkauf neigen.

Ebenso ist die makroökonomische Analyse und das Verständnis der aktuellen Liquiditätssituation unerlässlich, um den Kontext für fundierte Marktentscheidungen zu schaffen. Gerade angesichts der Bedeutung der tatsächlichen und wahrgenommenen Liquidität ist ein umfassendes Verständnis der aktuellen und wahrscheinlichen zukünftigen geldpolitischen Ausrichtung der Fed entscheidend.

Mit dem richtigen Kontext kann eine Schlagzeile, die Sie vielleicht nur für einen Moment im Voraus kennen, plötzlich einen erheblichen Wert haben.

Fazit

Eine Kristallkugel wäre zweifellos eine wertvolle Ergänzung für unsere Marktanalysen. Mit einem besseren Verständnis der zukünftigen Markt-, Wirtschafts- und politischen Bedingungen sowie anderer relevanter Ereignisse könnten wir die Performance unserer Investments signifikant verbessern.

Doch diese Erfolge würden sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinweg manifestieren und nicht nur auf die unmittelbaren Renditen nach den prognostizierten Ereignissen beschränken. Kurzfristige Reaktionen ohne den entsprechenden Kontext können risikoreich sein und das Vermögen gefährden.

Darüber hinaus erweisen sich Annahmen, die auf spezifische Nachrichten basieren, häufig als falsch. Ein altes Börsensprichwort fasst dies treffend zusammen: "Buy the rumor, sell the news".

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