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Hauen und Stechen im Grippe-Impfstoff-Chaos

Veröffentlicht am 26.10.2012, 17:36
BERLIN (dpa-AFX) - Ausgerechnet vor einer möglicherweise heftigen Grippewelle geht es in Deutschland bei der Impf-Vorsorge drunter und drüber. Erst gab es in einigen Regionen überhaupt keinen Impfstoff, jetzt mussten 750.000 Dosen wegen mysteriöser Ausflockungen vorsorglich vom Markt genommen werden. Involviert ist der Schweizer Pharmahersteller Novartis mit seinen Impfstoffen Begripal und Fluad.

Ob es einen Engpass geben wird, ist noch unklar. Die Kassenärzte warnen jedenfalls bereits davor, zumindest für Teile Deutschlands. Das Bundesgesundheitsministerium sorgt sich ebenfalls und hat ein Krisentreffen von Vertretern des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der Krankenkassen und der Pharmahersteller zu Gesprächen über die Impfstoffversorgung für die nächste Woche angekündigt.

Die Impfstoff-Produktion hinkt derzeit dem Stand der Vorjahre hinterher, weil die Weltgesundheitsorganisation WHO später als sonst die aktuellen Influenza-Virenstämme den Herstellern bekanntgab. Immerhin 16 Influenza-Impfstoffe sind offiziell in dieser Saison zugelassen. 'Speziell im Fall von Grippeimpfstoffen ist allerdings im Herbst keine Vorratshaltung möglich. Diese werden direkt nach der Fertigstellung, Abfüllung und behördlichen Zulassung ausgeliefert', heißt es beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA).

Warum es zu dem Missstand überhaupt kommen konnte, darüber hat ein Hauen und Stechen unter allen Beteiligten eingesetzt. Für die Pharma-Lobby, für Ärzte und Apotheker scheint die Ursache klar: Es sind die Vereinbarungen, bei denen die Kassen dem preisgünstigsten Anbieter den Zuschlag geben. Der VFA sagt dazu: 'Wir halten Exklusivverträge von Kassen mit genau einem Hersteller für die Versorgung mit Grippeimpfstoff für ungeeignet.'

Für den Hauptgeschäftsführer des konkurrierenden Pharma-Verbandes BPI, Hennig Fahrenkamp, sind die aktuellen Impfstoff-Probleme 'das Ergebnis einer verfehlten Kassenpolitik'. Den Pharmafirmen seien die Hände gebunden. 'Denn die Unternehmen, die bei der Ausschreibung nicht zum Zuge gekommen sind, müssen ihre Produktionen drosseln, da sie im anderen Fall Impfstoffe herstellen würden, die nicht zum Einsatz kämen.'

Die Apotheker sehen das genau so: 'Die von den Krankenkassen abgeschlossenen Rabattverträge mit jeweils nur einem Hersteller sind bei den sensiblen Grippe-Impfstoffen aus heilberuflicher Sicht nicht vertretbar', kritisierte die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Für den Vorsitzenden des Deutschen Apothekerverbandes, Fritz Becker 'konterkarieren die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen die berechtigten Interessen der Menschen auf eine ausreichende Versorgung. Das muss sofort gestoppt werden'.

Die Krankenkassen wollen die Vorwürfe natürlich nicht auf sich sitzen lassen, sie hätten durch die Vereinbarungen mit dem jeweils billigsten Anbieter die Impfstoff-Misere mitverschuldet und wollten auf Kosten der Patienten sparen. 'Es gibt nur dort Probleme, wo Novartis im Spiel ist', sagt ein Insider. Und fügt an: 'Die Kassen müssen sich an die gesetzlichen Vergaberichtlinien halten.' Die Vorwürfe von Ärzte- und Apothekerseite seien zu durchsichtig: 'Das sind rein ökonomische Interessen.'

'Wer genau hinschaut, erkennt, dass es sich hier um Probleme der Pharmaindustrie handelt und nicht um ein Problem der Krankenkassen', sagte der Sprecher des Kassen-Spitzenverbandes, Florian Lanz. Für den federführenden AOK-Bundesverband haben die regionalen Exklusivverträge letztlich dafür gesorgt, 'dass die Firma Novartis nur in zwei deutschen Regionen den Zuschlag für exklusive Belieferung mit Grippeimpfstoffen erhalten hat.' Damit sei das Problem immerhin eingegrenzt worden.

Spekulationen machen die Runde, dass Novartis der Lieferengpass in Verbindung mit dem Rückruf seiner Impfstoffe Begripal und Fluad gar nicht unwillkommen sein könnte. Denn ein Ersatzimpfstoff - Optaflu ebenfalls von Novartis - war wegen angeblich potenzieller Krebsgefahr ins Gerede gekommen. Was für den Absatz nicht gerade förderlich war. Gewarnt hatte der Chef des pharmakritischen Arznei-Telegramms, Wolfgang Becker-Brüser. Arztpraxen schickten Optaflu daraufhin zurück

- obwohl das zuständige Paul-Ehrlich-Institut Entwarnung gab./vs/DP/wiz

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