Investing.com – In jüngster Zeit wurde Putin vieles nachgesagt, das Spektrum reichte von geistiger Verwirrtheit bis hin zum Größenwahn. Eines ist er jedoch mit Sicherheit nicht – dumm.
Gestern kündigte er entgegen sämtlicher vertraglicher Vereinbarungen an, dass Energielieferungen in Länder, die Russland nicht freundlich gesinnt sind, künftig in Rubel zu begleichen sind.
Mit dieser Forderung schlägt er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zum einen zeigt Putin dem Westen, dass er nicht gewillt ist, sich an bereits unterzeichnete Verträge zu halten und zum anderen forciert er damit eine Stabilisierung des russischen Rubels.
Man könnte zwar meinen, dass der Rubel bereits das Schlimmste hinter sich hat, denn er notiert gegenüber dem Dollar wieder unter 100, aber der Schein trügt, wie der Institute of International Finance Chefökonom Robin Brooks zu bedenken gibt.
„Die jüngsten Meldungen, dass Russlands Exporteure ihre Exporterlöse an die CBR verkaufen müssen, und die gestrige Nachricht, dass ausländische Gasimporteure in Rubel zu zahlen haben, verlagern einen größeren Teil der ausländischen Vermögenswerte auf die russische Zentralbank. Mit anderen Worten: Die Devisenzuflüsse werden durch die CBR gesteuert.Somit wird ein größerer Teil der russischen Exporterlöse in harter Währung gezwungen, über die CBR abgewickelt zu werden, anstatt über den Markt zu fließen. Das bedeutet, dass der Wechselkurs USD/RUB kein Marktpreis mehr ist, sondern aufgrund der Intervention der Zentralbank immer mehr manipuliert wird."
Während Energielieferungen bisher in Dollar und Euro bezahlt werden konnten, werden die Devisen nun zuvor bei der russischen Zentralbank zu einem von Putin festgelegten Kurs in Rubel umgetauscht werden müssen.
Mit diesem Schachzug zeigt er erneut, wer die Zügel in der Hand hat. Diesen Joker konnte er nur deshalb erfolgreich ausspielen, weil sich Europa unter der Federführung von Deutschland dazu entschlossen hat, ein Energie-Embargo gegen Russland auszuschließen. Die damit signalisierte Schwäche nutzt der russische Machthaber inzwischen, um die Auswirkungen der Sanktionen des Westens zu seinen Gunsten abzumildern.
Europa könnte dies nur abwenden, indem Energielieferungen aus Russland sofort gestoppt werden. Die führenden politischen Köpfe sind jedoch noch nicht bereit, dieser Art von Stärke unter Beweis zu stellen. Die Furcht vor dem Verlust des eigenen Wohlstands ist größer als die logischen Konsequenzen, welche in Anbetracht der aktuellen geopolitischen Lage gezogen werden müssten.
Wie abhängig ist Putin vom Westen?
Immer wieder ist zu lesen, dass Putin auf die Gelder aus den Energieexporten nach Europa angewiesen ist. Er war sich aber von Anfang an bewusst, dass Europa diese Abhängigkeit im Zuge seiner Invasion in der Ukraine schnellstmöglich beenden werden wird.
Daher knüpfte er noch vor seiner „militärischen Spezialoperation“ ein enges Band mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Beide verkündeten am 4. Februar offiziell, dass sie gemeinsam in eine neue Ära aufbrechen werden. Es war die Rede von einer „grenzenlosen“ Partnerschaft, und zwar in jedem erdenklichen Bereich.
Wie tiefgreifend das Ganze gehen soll, zeigt die Tatsache, dass 500 Seiten Papier nötig waren, um sämtliche ausgehandelten Punkte festzuhalten. Ein solches Vertragswerk wird auch nicht innerhalb weniger Wochen und Monate ausgehandelt. Ein Indiz dafür, dass beide Parteien einen langfristigen Plan verfolgen.
Dabei scheinen auch die mittelfristig rückläufigen Lieferungen von Öl, Gas und Kohle in die EU eine Rolle zu spielen. Bereits im Februar verdoppelten sich nach aktuellen Daten des chinesischen Zolls die LNG-Lieferungen von Russland nach China.
Die traurige Wahrheit ist offensichtlich, dass Europa auf die Gunst Russlands mehr angewiesen ist, als Russland auf die Energieexporte Richtung Westen.
Es war von Anfang an ein Kampf mit unlauteren Mitteln. Während die eine Seite alles von langer Hand plante, ist die andere zum Zusehen verdammt. Putin hat sich seine Macht gesichert und wenn die russische Bevölkerung unter seinen territorialen Ansprüchen leidet, tangiert ihn das wohl nicht wirklich.
Doch in den westlichen Demokratien werden Entscheidungen nur mit Blick auf den Ausgang der nächsten Wahl getroffen.
Völlig unabhängig davon, wie der Ukraine-Krieg ausgeht, unser Leben wird sich grundlegend ändern. Im besten Falle sind es nur die Öl- und Gasheizungen, von denen wir uns verabschieden müssen, wie die Koalition heute beschlossen hat.