Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
obwohl der Juni gerade erst begonnen hat, schauen wir schon auf den großen Verfallstag in diesem Monat, der bereitsam Freitag der kommenden Woche stattfindet – wie immer bei großen Verfallstagen mit knapp zwei Wochen Vorlauf.
Schon wieder: Großer Verfallstag mit „Fed-Falle“
Der Grund für diesen frühen Termin ist die „Kalender-Arithmetik“: Da die Monatsverfallstage in der Regel auf den 3. Freitag im Monat fallen, kann ein Verfallstag frühestens am 15. eines Monats sein (wenn bereits der Monatserste ein Freitag ist). In diesem Monat fiel der erste Freitag auf den 2. Juni, so dass der Verfallstag auf den zweitfrühesten Termin, den 16. des Monats fällt.
Trotz dieses frühen Termins droht wieder einmal die „Fed-Falle“ zum großen Verfallstag, denn die Fed hat ihr nächstes Meeting erneut unmittelbar vor dem Verfallstag (13./14.06.) angesetzt. Vermutlich denken sich die Fed-Verantwortlichen nichts dabei, aber die Sitzungstermine fallen sehr häufig in die Verfallstagswoche. Das gilt vor allem für die vier großen Verfallstage im März, Juni, September und Dezember (siehe Börse-Intern vom 12.09.2022).
Vor allem, wenn Überraschungen durch die Fed-Entscheidung zu erwarten sind, wird die Verfallstagsprognose erschwert. Und das könnte auch diesmal so sein. Schließlich sind die Anleger derzeit so unentschlossen wie selten, was den weiteren Zinspfad der Fed betrifft. Darauf hatte Sven Weisenhaus schon am vergangenen Donnerstag hingewiesen. Dazu der Blick auf die Markterwartungen:
Quelle: CME Fed Watch Tool
Wechselhafte Leitzinserwartungen
Noch Anfang Mai maßen die Börsianer einem unveränderten Leitzins eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 90 % zu (grüne Säule). Dann schlug die Stimmung um, und noch in der Vorwoche betrug die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung fast 65 % (rote Säulen). Inzwischen drehte die Marktmeinung ein weiteres Mal, so dass nun wieder mit fast 80%-iger Wahrscheinlichkeit mit einem gleichbleibenden Leitzins gerechnet wird.
Die Gründe für diese Wechselhaftigkeit lassen wir hier beiseite. Aber dieses Hin und Her ist Ausdruck von Unsicherheit bzw. das Eingeständnis des Marktes, dass es sowohl so als auch anders kommen könnte.
Entsprechend groß ist das Überraschungspotenzial für die Märkte.Wenn es bei dieser Erwartung unveränderter Zinsen bleibt, ist das Überraschungspotenzial eher negativ, denn eine Zinserhöhung wäre dann eine negative Überraschung.
Diese (und andere Faktoren) sollten Sie also bis zum Verfallstag im Hinterkopf behalten, denn – wie hier schon öfter betont – ist die Verfallstagspositionierung nur ein Einfluss auf die Börse. Die Fed-Sitzung (oder ein anderes Ereignis) kann also die folgende Verfallstagsanalyse über den Haufen werfen.
Die Positionierung zum großen Juni-Verfallstag
Aber schauen wir zunächst auf das aktuelle Verfallstagsdiagramm:
Quelle: eigene Darstellung mit Daten von EUREX
Beginnen wir diesmal „von unten“ mit der MaxPain-Kurve (unterer Diagrammteil). Das Minimum dieser Kurve und damit der theoretisch optimale Preis für die Stillhalter liegt bei 15.500 Punkten. Oben, im eigentlich Verfallstagsdiagramm sehen wir, dass bei 15.500/600 Punkten größere Call- (blaue Balken) und Put-Positionen (rote Balken) liegen. Diese Positionen – und insbesondere die Calls, solange der DAX „von oben“ kommt – dürften den Kurs anziehen, wenn er in ihre Nähe kommt.
Aus Sicht der Stillhalter ist das der grüne Bereich (im Diagramm auch so schattiert), da sie dort in oder nahe ihrer Komfortzone liegen.
Diese grüne Zone erstreckt sich bis 16.000 Punkte, wo die nächste große Call-Position liegt, um die vermutlich schon der Kampf begonnen hat (da der DAX aktuell in diesem Kursbereich notiert). Dazwischen liegt eine neutrale Zone (grauer Bereich in der grünen Zone), wo nur wenige Positionen liegen, also der Einfluss der Stillhalter eher gering ist.
Ab 16.000 Punkten laufen weitere Calls ins Geld; hier wird es für die Stillhalter also immer kritischer. Diese kritische Zone (gelb) geht bis 16.500, wo eine weitere große Call-Position liegt und die „Put-freie“ Zone (rot) beginnt. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass der DAX es bis zum Verfallstag dorthin schafft.
Unsicherheit bestätigt
Dafür spricht auch die Charttechnik, denn der DAX bewegt sich weiterhin in seiner Unsicherheits-Trompete (grau im folgenden Chart) und läuft darin aktuell wieder nach unten.
Den gestrigen Handel begann der DAX zwar mit einer Aufwärtskurslücke, aber genau an der Oberkante des grauen Rechtecks setzten Verkäufe ein, die den Kurs vor allem ab dem Nachmittag immer weiter nach unten drückten. Damit wurde die Unsicherheit ein weiteres Mal bestätigt.
Formal bewegt sich der DAX zwar noch im Aufwärtstrend und auch die allgemeine Tendenz ist weiterhin aufwärtsgerichtet (höhere Hochs und Tiefs). Aber der DAX könnte innerhalb seiner aktuellen relevanten Aufwärtslinien bis auf 15.500 Punkte oder sogar darunter fallen, ohne dass sich an diesem Bild etwas grundsätzlich ändern würde. Das verschafft den Stillhaltern viel Spielraum zum Handeln.
Das „ideale“ Kursziel zum Verfallstag, mit dem alle leben könnten
Ein Kursziel, dass sich zum einen charttechnisch anbietet, zum anderen auch für die Stillhalter akzeptabel sein dürfte, ist die blaue Linie bei 15.659 Punkten (siehe hellblauer Prognosepfeil). Dort endete auch der Rückfall Ende Mai, sodass sich auch die Bullen auf diesem Niveau noch nichts vergeben. Die Bären könnten dort immerhin einen weiteren kleinen Achtungserfolg verbuchen.
Niedrigere Kurse würden auf eine Schwäche der Bullen hindeuten, obwohl das Bild prinzipiell zumindest so lange bullish bliebe, wie der Kurs innerhalb des grauen Dreiecks läuft.
Kurse oberhalb von 16.000 Punkten zum Verfallstag sind zwar möglich, aber ein neues, nachhaltiges Allzeithoch ist in den kommenden Tagen eher unwahrscheinlich. Zumal auch die 16.000-Punkte-Marke selbst als massiver Widerstand wirkt, wie der Chart oben zeigt: Seit April konnte diese wichtige runde Marke nur kurzzeitig überwunden werden…
Ein Überraschungsszenario
Ein weiterer Anstieg des DAX ist zudem nur möglich, wenn die Stärke der US-Indizes anhält. Doch genau das ist fraglich, denn in den USA könnte es nach der Einigung im Schuldenstreit ein „Sell the good news“ geben. Das ist recht wahrscheinlich, weil die US-Märkte zuvor den Schuldenstreit weitgehend ignorierten. Sie preisten damit die Einigung lange vorher ein. Entsprechend viele Trader dürften darauf gesetzt haben und nun versucht sein, ihre Gewinne mitzunehmen. Zumal mit der Fed-Sitzung in der kommenden Woche wieder ein Unsicherheitsfaktor in Sicht kommt.
Alles zusammengenommen – Fed-Meeting, latente Verkaufsbereitschaft in den USA, Kursdeckel bei 16.000 Punkten plus eine gewisse Euphorie, z.B. im Nasdaq 100 – daher würde ich mich nicht wundern, wenn der DAX zum Verfallstermin sogar unter der „Idealmarke“ von 15.500 landet. Nennen Sie es mein „Überraschungsszenario“.
Aber wie gesagt, angesichts der Fed-Sitzung unmittelbar vor dem großen Verfallstag sollten Sie bei Ihrem Verfallstags-Trading besondere Vorsicht walten lassen. Ich wünsche Ihnen in jedem Fall viel Erfolg!
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert