Seit Anfang 2021 musste ein Großteil der Automobilhersteller immer wieder die Produktionsbänder stilllegen. Der Grund: ein weltweiter Mangel an Halbleiterchips. Ohne diese geht in der Branche heute kaum mehr was. Sie stecken unter anderem in den Steuergeräten, die Antrieb sowie Fahr- und Bremsverhalten oder den Einsatz von Airbags regeln, in der elektronischen Sitzsteuerung, in der Innenbeleuchtung. Jetzt hat es erneut zwei brasilianischen Standorte der Mercedes-Benz (DE:MBGn) Group erwischt.
Aufgrund des anhaltenden Mangels an Halbleiterchips muss die Mercedes-Benz Group insgesamt 5600 Mitarbeiter aus zwei Werken in Brasilien zwangshalber in den kollektiven Urlaub schicken. Nach Informationen der Mercedes-Benz Group wurde vor Ort die Produktion von Busfahrgestellen, Lastwagen, Lastwagenkabinen und weiteren Autoteilen „an die derzeitige Situation angepasst“. Betroffen sind 5000 Mitarbeiter im Werk in Sao Bernardo do Campo sowie 600 Mitarbeiter im Werk in Juiz de Fora. Unterbrochen wird die Produktion in beiden Standorten vom 18. April bis zum 3. Mai. Im Werk in Juiz de Fora stehen somit das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit die Bänder still. So hatte das Unternehmen bereits im März diesen Jahres rund 1200 Mitarbeiter wegen Engpässen in der Lieferkette in einen bezahlten Tarifurlaub geschickt.
Die Gründe für den anhaltenden Engpass im Halbleiterchip-Bereich sind vielfältig: Zunächst schoss die Nachfrage im Zuge der Digitalisierung und der mit dieser einhergehenden Produktion von Mikroelektronik in den vergangenen Jahren durch die Decke. So stieg der weltweite Halbleiter-Bedarf der World Semiconductor Trade Statistics (WSTS) zufolge im Jahr 2021 um mehr als 25 Prozent, für das Jahr 2022 prognostiziert die WSTS einen weiteren Anstieg um mindestens 8,8 Prozent. Die Probleme sind aber teils auch hausgemacht: Denn als im Frühjahr 2020 aufgrund der Corona-Pandemie viele mit einem starken Einbruch der Nachfrage nach Autos rechneten, stornierten zahlreiche Chefeinkäufer der Automobilkonzerne ihre Aufträge bei den großen Chipherstellern wie TSMC in Taiwan. Bereits im zweiten Halbjahr 2020 stiegen die Autoverkäufe jedoch weltweit wieder stark an – und die Automobilhersteller hinken seitdem hinterher. Paul Hansen führt in seinem The Hansen Report On Automotive Electronics diesbezüglich auf: „Vorlaufzeiten von sechs bis neun Monaten sind typisch für komplexe Chips, weshalb es schwierig ist, auf Nachfrageschwankungen zu reagieren“.
Hinzu kam eine Reihe unglücklicher Ereignisse: So mussten Chipproduzenten wie NXP, Samsung (F:SAMEq) und Infineon (DE:IFXGn) im Februar 2021 den Betrieb in Austin, Texas komplett aussetzen. Grund hierfür waren heftige Schneestürme, im Zuge welcher die Stromversorgung in den Halbleiter-Fabriken ausgefallen war. In den sogenannten „fabs“ konnten die Produktionsanlagen nicht mehr kontrolliert heruntergefahren werden, wodurch diese beschädigt wurden. Ebenfalls zu Ausfällen kam es in Japan, wo Chipfabriken durch Großbrände und Naturkatastrophen teils stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat seinen Teil zum Chipmangel beigetragen. Dieser wollte den globalen Einfluss von chinesischen Hightech-Konzernen beschränken und verhängte zu diesem Zweck zahlreiche Sanktionen – unter anderem auch im Bereich der Chiptechnologie. Als Reaktion darauf kauften chinesische Unternehmen einen Großteil der noch verfügbaren Chips und der zur Produktion dieser benötigen Herstellungsanlagen auf.
Es bleibt abzuwarten, wie lange sich der Halbleiterchipmangel noch hinzieht. Die Unternehmensberatung Roland Berger und zahlreiche weitere Experten gehen jedenfalls nicht davon aus, dass dieses globale Problem bereits in den kommenden Jahren gelöst werden kann.
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