S&P Global hat kürzlich seine Gewinnschätzungen für 2026 veröffentlicht – und die sind, um es treffend zu sagen, geradezu exponentiell gestiegen. Angesichts des anhaltenden Enthusiasmus an der Wall Street dürfte das allerdings kaum jemanden überraschen.
Wie wir bereits letzte Woche festgestellt haben, bewegen sich mittlerweile alle Anlageklassen im Gleichschritt. Egal ob internationale Märkte, Schwellenländer, Gold oder Bitcoin – die Korrelationen tendieren inzwischen alle Richtung eins. Kein Wunder also, dass immer neue Erklärungsversuche herangezogen werden, um eine Marktbewegung zu rechtfertigen, die eigentlich wenig mit rationalen Bewertungen zu tun hat – vor allem dann, wenn zu viel Kapital auf zu wenige Anlagewerte trifft.
Vor diesem Hintergrund ist es ebenso wenig verwunderlich, dass Analysten ihre Gewinnprognosen nach oben korrigieren, um die hohen Bewertungen am Markt zu untermauern. Die folgende Grafik zeigt das langfristige Wachstum der Unternehmensgewinne. Auffällig ist die erwartete Rekordabweichung vom langfristigen exponentiellen Wachstumstrend – mit Earnings-Prognosen von 195 USD pro Aktie, deutlich über der historischen Peak-to-Peak-Wachstumsrate von 6 %.
Der Peak-to-Peak-Wachstumstrend spielt eine zentrale Rolle, schließlich spiegelt er die historische Wachstumsrate des nominalen BIP wider. Das ist nur logisch – immerhin stammen die Unternehmenseinnahmen, aus denen sich die Gewinne ableiten, direkt aus der wirtschaftlichen Aktivität.
Zwar gibt es Phasen, in denen die Unternehmensgewinne deutlich schneller wachsen als die Wirtschaft, etwa nach einer Rezession. Doch langfristig gleicht sich dieses Verhältnis wieder an, und das Ertragswachstum kehrt auf seinen historischen Trend zurück.
Betrachtet man die Daten auf einer logarithmischen Skala, zeigt sich die gleiche deutliche Abweichung vom langfristigen Wachstumstrend der Unternehmensgewinne. (Eine logarithmische Skala hilft, die Verzerrung durch große Zahlen zu glätten.)
Historisch gesehen haben die Erträge immer dann den 6 %-Wachstumstrend von Peak zu Peak überschritten, wenn die Wirtschaft nahe an ihren Wachstumspeaks war. Die für 2026 prognostizierten Gewinne von 289 USD pro Aktie liegen jedoch weit über dem langfristigen exponentiellen Wachstumstrend von 195 USD pro Aktie.
Eine solche Abweichung kann kurzfristig durchaus bestehen bleiben, doch in der Vergangenheit haben wirtschaftliche Einflüsse – sei es eine Rezession oder ein unerwartetes Ereignis – die Earnings stets wieder in Richtung ihres langfristigen Trends zurückgeführt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Da Unternehmensgewinne letztlich aus der wirtschaftlichen Aktivität resultieren, können sie nicht unbegrenzt schneller wachsen als die Gesamtwirtschaft.
Die folgende Grafik verdeutlicht, wie stark die aktuellen Gewinnschätzungen der Wall Street vom langfristigen exponentiellen Wachstumstrend abweichen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei um die größte Diskrepanz, die jemals verzeichnet wurde.
Da Veränderungen im Gewinnwachstums eng mit der Marktentwicklung verknüpft sind, sollten Anleger die Genauigkeit dieser Schätzungen kritisch hinterfragen.
Schätzungen
Wie bereits erwähnt, zeigen sich Analysten äußerst optimistisch, wenn es um das Gewinnwachstum bis 2026 geht. Die aktuellen Prognosen liegen jedoch weit über den langfristigen Trends – ein Hinweis darauf, dass die tatsächlichen Gewinne eher bei 220 USD pro Aktie statt der geschätzten 290 USD liegen könnten.
Das liegt vor allem daran, dass Unternehmensgewinne direkt von der wirtschaftlichen Aktivität abhängen. Damit die aktuellen Ertragsschätzungen eintreten, müsste sich die Erwartung für das Wirtschaftswachstum deutlich verbessern. Angesichts der Belastungen durch Zölle, Kürzungen bei den Staatsausgaben und einem schwächeren Arbeitsmarkt erscheint ein solches Szenario jedoch eher unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Prognosen im Laufe der Zeit deutlich nach unten korrigiert werden.
Das Risiko für Anleger besteht darin, dass sie derzeit zu viel für Vermögenswerte zahlen – in der Annahme, dass die optimistischen Zukunftsprognosen tatsächlich eintreten und die hohe Bewertung dadurch gerechtfertigt wird. In der Vergangenheit haben die tatsächlichen Erträge jedoch oft nicht mit den ursprünglichen Schätzungen Schritt gehalten, die die Bewertungen in die Höhe trieben.
Angesichts der engen Verbindung zwischen Unternehmensgewinnen und Wirtschaftswachstum hat diese Überbewertung eine erhebliche Diskrepanz geschaffen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese allein durch ein stärkeres Wirtschaftswachstum ausgleichen lässt.
Die gleiche Diskrepanz zeigt sich in der jährlichen Veränderungsrate des S&P 500 im Vergleich zu den tatsächlich erzielten Unternehmensgewinnen. Wie in der folgenden Grafik zu sehen ist, sind die Aktienkurse stark gestiegen, während der Gewinn pro Aktie nicht in gleichem Maße nachgezogen hat. Diese Entwicklung hat in den letzten zwei Jahren zu einer deutlichen Expansion der Bewertungsmultiplikatoren geführt.
Um die hohen Bewertungen zu rechtfertigen, passen Analysten ihre Schätzungen entsprechend an und rücken sie näher an die aktuellen Marktpreise. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich das Kurswachstum deutlich verlangsamt, damit die Unternehmensgewinne die Bewertungen allmählich einholen können.
Ein entscheidender Faktor, der die Marktpreise trotz der anhaltenden Verfehlung der Analystenschätzungen bei den Unternehmensgewinnen gestützt hat, sind – wenig überraschend – Aktienrückkäufe.
Rückkäufe, wenn man sie am wenigsten braucht
Ich habe bereits mehrfach über Unternehmensrückkäufe geschrieben und darüber, warum sie keine klassische Kapitalrückführung an die Aktionäre darstellen, sondern in erster Linie Insidern zugutekommen.
Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass Rückkäufe die Aktienkurse nach oben treiben und die ausgewiesenen Gewinne stützen. Das liegt daran, dass sie die Anzahl der ausstehenden Aktien verringern und somit den Gewinn pro Aktie (EPS) künstlich erhöhen. In unseren früheren Analysen haben wir dazu Folgendes festgestellt:
„Der Einfluss von Rückkäufen reicht über die Kursentwicklung einzelner Unternehmen hinaus. Seit dem Jahr 2000 machen die Nettorückkäufe von Unternehmen 100 % der Nettokäufe von Vermögenswerten am Aktienmarkt aus – ein klares Zeichen dafür, dass die Beteiligung von Pensionskassen, Investmentfonds und Privatanlegern zurückgegangen ist.“
Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht das:
- Pensions- und Investmentfonds: –2,7 Bio. USD
- Private Haushalte und ausländische Investoren: +2,4 Bio. USD
- Aktiengesellschaften (Rückkäufe): +5,5 Bio. USD
- Nettozufluss: +5,2 Bio. USD
Anders ausgedrückt: Ohne die massiven Aktienrückkäufe wären die Kurse der Vermögenswerte heute rund 40 % niedriger. Die enge Korrelation zwischen Aktienrückkäufen und den Renditen am Aktienmarkt ist unübersehbar.
Das ist besonders wichtig, weil viele Anleger glauben, dass Unternehmen Aktienrückkäufe tätigen, wenn ihre Aktien unterbewertet sind. In Wirklichkeit passiert jedoch meist genau das Gegenteil: Unternehmen sind typischerweise dann Nettokäufer, wenn die Aktienkurse bereits gestiegen sind – und stoppen ihre Rückkäufe, sobald die Kurse fallen.
Anders gesagt: Unternehmen kaufen ihre eigenen Aktien bevorzugt dann zurück, wenn sie am teuersten sind und somit den geringsten Mehrwert schaffen. Der Grund dafür liegt darin, dass Rückkäufe nicht in erster Linie den Aktionären zugutekommen, sondern vor allem den Unternehmen selbst. Sie priorisieren:
- Kurzfristige Kurssteigerungen gegenüber langfristigen Investitionen.
- Rückkäufe als Signal, wenn es entweder an attraktiven Reinvestitionsmöglichkeiten fehlt oder bewusst darauf verzichtet wird.
- Den Vorteil für Insider und Führungskräfte, deren Vergütung oft an die Aktienkursentwicklung gekoppelt ist.
Wie bereits erwähnt, kaufen Unternehmen ihre eigenen Aktien in der Regel nicht zu Zeiten, in denen es das größte Wachstumspotenzial gibt. Dadurch wird Kapital gebunden, das stattdessen für produktive Investitionen in die Zukunft genutzt werden könnte.
Trotzdem wird erwartet, dass das Volumen der Aktienrückkäufe im Jahr 2025 die Marke von 1 Billion USD überschreitet – und bis 2026 voraussichtlich weiter ansteigt. Das setzt allerdings voraus, dass es nicht zu einem Ereignis kommt, das das Wirtschaftswachstum stark ausbremst oder eine Neubewertung der Märkte auslöst.
Solange diese Rückkäufe andauern, dürften sie weiterhin für eine stabile Nachfrage nach Aktien sorgen. Das könnte dazu beitragen, die bevorstehenden negativen Anpassungen der derzeit übermäßig optimistischen Ertragsprognosen der Analysten zumindest teilweise auszugleichen.
Fazit
Die optimistischen Prognosen der Wall-Street-Analysten weichen fast immer von der Realität ab. Wie bereits erwähnt, wachsen Unternehmensgewinne in der Regel in engem Zusammenhang mit ihrem langfristigen Trend, während makroökonomische Faktoren wie geld- und fiskalpolitische Maßnahmen oder rezessive Phasen vorübergehende Abweichungen verursachen. Auch diesmal dürfte es nicht anders sein.
Angesichts des derzeitigen Marktenthusiasmus, historisch hoher Bewertungen und der starken Abhängigkeit von Rückkäufen zur Kursstabilisierung sollten Anleger ihre Portfolios absichern. Hier sind einige Überlegungen:
- Den Anleihemarkt als Absicherung nutzen, um die Auswirkungen von Marktschwankungen abzufedern.
- Liquidität erhöhen, falls unklar ist, wo aktuell investiert werden sollte. Ein höherer Cash-Anteil kann in volatilen Phasen Flexibilität bieten.
- Fokus auf fundamental starke Unternehmen, die eine solide Dividendenhistorie aufweisen.
- Aktienrückkäufe und Wirtschaftsindikatoren genau beobachten, da Rückkäufe in der Vergangenheit entscheidend zur Marktstabilität beigetragen haben.
Sollten Unternehmen aufgrund wirtschaftlicher Schwäche oder politischer Veränderungen weniger Rückkäufe durchführen, könnte die Marktvolatilität zunehmen. Ebenso können makroökonomische Indikatoren wie Beschäftigungszahlen, Inflationstrends und das BIP-Wachstum wertvolle Frühwarnsignale für eine Marktveränderung liefern.
Mit gezielten Anpassungen im Portfolio können Anleger das Risiko eines unerwarteten Anstiegs der Marktvolatilität besser steuern und langfristig stabilere Renditen erzielen.