In den vergangenen Wochen und Monaten häuften sich die Meldungen, dass unterschiedliche Arzneimittel in Deutschland nicht mehr vorrätig seien. Hierbei handelt sich vor allen Dingen um Fiebersäfte, Schmerzmittel und Antibiotika, aber auch Krebsmedikamente oder Mittel gegen Diabetes und Bluthochdruck sind zuletzt knapp. Auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) finden sich inzwischen deutlich über 300 Medikamente. Da hier jedoch lediglich verschreibungspflichtige Produkte berücksichtigt werden, ist es wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der nicht ausreichend vorhandenen Präparate nochmals deutlich höher ist. Experten gehen sogar davon aus, dass weit über 1000 Arzneimittel derzeit nicht oder lediglich in einem unzureichenden Rahmen verfügbar sind.
Deutschland und das „Pharma-Dilemma“
Den hiesigen Engpass lediglich mit den weltweit vorherrschenden Lieferkettenproblemen zu erklären, wäre deutlich zu kurz gegriffen. Zwar existieren diese Lieferkettenengpässe, wieso diese aber Deutschland so immens treffen, steht auf einem anderen Blatt. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, muss man jedoch etwas weiter ausholen: In Deutschland werden im Rahmen der Vergabepraxis von Arzneimitteln Beträge für Medikamente festgelegt, die von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden müssen. Wenn der Verkaufspreis höher als der festgelegte Betrag ist, müssen Patienten die entstandene Differenz entweder selbst bezahlen, oder auf ein gleichwertiges, aber günstigeres Präparat zurückgreifen. Daraus resultiert, dass Medikamente vermehrt dort gekauft werden, wo sie am kostengünstigsten produziert und abgegeben werden. Und dies ist eben in erster Linie in China und in Indien der Fall. Unternehmen, die diese Medikamente hierzulande produzieren, sind entsprechend dazu gezwungen, ihr diesbezügliches Angebot einzuschränken oder die Herstellung gar komplett einzustellen. Das Ergebnis ist eine massive Abhängigkeit. Und zwar eine primär hausgemachte. Eine ähnliche Vorgehensweise verfolgen viele andere EU-Länder – und auch Großbritannien.
„Europa macht einige wirklich große Fehler“
Und somit wären wir auch beim Leverkusener Pharma-Riesen Bayer. In einem Interview mit der Financial Times ließ Stefan Oelrich, seinerseits Chef der Pharma-Sparte, verlauten, dass man plane, den „kommerziellen Fußabdruck und die Ressourcen für den kommerziellen Fußabdruck weit weg von Europa“ zu verlagern und somit Europa „zu einem gewissen Grad (zu) depriorisieren“. Begründet wird dies seitens des Unternehmens unter anderem eben genau mit den oben beschriebenen Entwicklungen – Stichwort: Vergabepraxis – und den deshalb fehlenden Umsätzen. Viele europäische Regierungen, so Oelrich, würden den Pharma-Konzernen so das Leben „auf der kommerziellen Seite“ extrem schwer machen. Zukünftig wolle man sich im Hause Bayer deshalb deutlich stärker auf die Märkte in den USA und in China fokussieren. Während die ostasiatische Volksrepublik Innovationen deutlich positiver gegenüberstehe – Europa bezeichnet Oelrich übrigens als „innovationsunfreundlich“ – ermöglichen es Bayer die deutlich höheren Medikamentenpreise in Nordamerika, die im Zuge der massiven Inflationsraten deutlich gestiegenen Kosten auszugleichen.
Im Jahr 2021 generierte Bayer Pharma-Umsätze in Höhe von etwa 44€ Milliarden. 41% dieser Erträge erzielte das Unternehmen hierbei in Europa, Nahost und Afrika, wohingegen sich nordamerikanische Abnehmer für 23% verantwortlich zeichneten. Die Region Asien-Pazifik sorgte für etwa 32% des Umsatzes. Diese Zahlen dürften sich – für den Fall, dass Bayer seine Pläne auch wirklich so umsetzt, wie nun kommuniziert – in den kommenden Jahren wohl etwas verschieben. Ein potenzieller Pharma-Rückzug der Bayer AG aus Deutschland und Europa sollte den vorherrschenden Medikamentenengpass wohl nochmals deutlich verschärfen.
Darüber hinaus könnten natürlich auch Produktionsprozesse in die USA respektive nach Asien verlagert werden, was potenziell auch Teile der Belegschaft in den acht deutschen Bayer-Werken über kurz oder lang ihre Jobs kosten könnte. Die Bayer AG reiht sich somit ein in eine illustre Runde aus großen deutschen Unternehmen, die dem Standort Deutschland die Attraktivität absprechen – sei es nun aufgrund der weltweit ihresgleichen suchenden Energiekosten, der massiven Bürokratie oder der immensen Anzahl komplexer Regularien, denen man hierzulande gerecht werden muss. Wir hatten in diesem Zusammenhang hier im Trading Room zuletzt unter anderem über den Unternehmer Nikolas Stihl und den BayWa-Chef Klaus Josef Lutz berichtet. Auch der BASF-Chef Martin Brudermüller äußerste sich jüngst äußerst kritisch und führte in diesem Rahmen aus, dass Europa unter anderem aufgrund einer massiven Überregulation zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit verliere.
Als fester Bestandteil des deutschen Leitindex wird die Bayer-Aktie (ETR:BAYGN) von uns im Rahmen unseres DAX40-Aktienpakets in einem zweiwöchigen Turnus analysiert. Das nächste Mal erhalten die Abonnenten dieses Pakets am kommenden Montag, den 23. Januar, ein ausführliches Update zu diesem Wertpapier. Ein kleiner Sneak Peek: Wir verorten die Aktie primär weiterhin in einer recht komplexen Korrekturbewegung, welche mittelfristig neue Tiefs mit sich bringen sollte.
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