Ist es eigentlich noch eine Rezession, wenn alle davon ausgehen, dass sie kommen wird? Über 75% der Nordamerikaner, welche immerhin einen substanziellen Teil der globalen Finanzwelt mit Kapital versorgen, glauben daran, dass es eine Rezession geben wird. Immer mehr Analysten, Banker und Rating-Agenturen schließen sich dieser Meinung an. Der Internationale Währungsfonds (IMF) prognostiziert, dass ein Drittel der Weltwirtschaft in diesem Jahr in eine Rezession verfällt. Die USA, EU und China weisen schwankendes Wirtschaftswachstum auf. Es wirkt alles, wie ein offenes Geheimnis – und das sollte zum Nachdenken anregen.
Wenn sich Bill Gates, Jeff Bezos, Jamie Dimon und Elon Musk schon dazu äußern, dass es eine Rezession geben wird, dann fängt man schon an ins Grübeln zu kommen. Gerade die Aussagen von Jeff Bezos, dass man seinen Konsum etwas drosseln sollte, sind etwas fragwürdig, denn der gute Mann verkauft doch Konsumgüter. Dass er aber nicht gerade der Wohlfahrtstyp ist, weiß man ja aus etlichen Auseinandersetzungen mit Gewerkschaften oder von der Einführung der sogenannten Heulkabinen in Amazon-Lagern. Jedenfalls sind solche Aussagen mit Skepsis zu genießen.
In der Finanzgeschichte gab es kaum antizipierte Rezessionen und die, die es gab, waren recht milde im Umfang. Moderate Inflation, moderate Zinslevel, bisschen weniger Konsum, akzeptable Benzinpreise und eine mittelfristige Erholung, so sah das meist aus. Die wirklich fetten Brocken kamen, für die meisten Marktteilnehmer, unerwartet. Dotcom-Blase oder auch der Crash 2008 sind da nicht nur die neusten, sondern auch die prominentesten Beispiele. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt kein krasser Crash mehr oder wir haben echt aus der Vergangenheit gelernt und es wird ein kontrollierter Crash.
Für beide Optionen gibt es gute Gründe. Dass kein Crash mehr kommt, könnte man daran erkennen, dass der Konsum keinen strukturellen Einbruch erleidet. Das mag vor allem an den hohen Beschäftigungsgraden in der EU und den USA liegen, was zugleich auf eine gesunde Industrie deutet. Klar, Inflation und Zinsen machen das aktuelle Bild nicht unbedingt schöner, aber genauso schnell, wie die Zinsen im Rekordtempo angehoben wurden, ist auch eine schnelle Senkung denkbar. Auch die Energiepreise sinken wieder deutlich, werden halt nur leider nicht an die Verbraucher so weitergegeben. Unter den Problemen sind aber weiterhin die politischen Probleme und der Strukturwandel in der globalen Rohstoffversorgung. Kommt es hier nur zu einem leichten Ungleichgewicht, kann der Traum vom schnellen Bullenmarkt wieder aus sein.
Ein kontrollierter Crash ist insgesamt ein wenig besser vorstellbar und auch wünschenswerter. Was schonmal sehr positiv zu betrachten ist, sind die Strukturen der Basel-Verordnungen. Viele kritisierten ja, dass diese keine Bankenkrise aufhalten würden, aber siehe da: Die (meisten) Banken schreiben sogar schwarze Zahlen. Solange Banken noch funktional sind, sind größere Crashs ohnehin recht schwierig, da sie die ersten und am härtesten getroffenen Akteure in solchen Situationen sind – und oftmals auch die Verursacher. Dies ist diesmal nicht der Fall, was auf eine gewisse Sicherheit hindeutet, auch wenn es gerade in der Finanzwelt ruckelt.
Auf der anderen Seite aber stiegen die Finanzmärkte in den letzten Jahren so rapide an, dass es schwer zu glauben ist, dass sie nach nur einem Jahr der Rückgänge wieder für den nächsten Bullenmarkt bereit seien. Klar, eine mittelfristige Erholung ist nicht auszuschließen, aber womöglich müssen die Kurse noch eine weitere Detox-Kur machen, ehe es hier wieder nachhaltig nach Norden gehen kann. Wenn das so kommen sollte, was in vieler unserer Szenarien auch so aufgegriffen wird, dann müssen wir von einem Finanzwunder sprechen. Denn jahrelanges Wachstum aufrechtzuerhalten und eine kontrollierte Rezession zu managen ist die höchste Liga der Wirtschaftspolitik. Zumindest scheinen sich die ganz großen Akteure drauf einzurichten und das spricht schon Bände!
Für mehr interessante Inhalte besuchen Sie unseren HKCM Trading Room!