Da Gold keine laufende Rendite abwirft, sind Zinsen grundsätzlich sein größter Feind. Doch wegen der Zins-Abrüstung wurde lange Jahre die Friedenspfeife geraucht. Zuletzt jedoch wurde das Kriegsbeil wieder ausgegraben. Da die Inflation ihre hässliche Fratze zeigt, rüstet der Zins-Feind erneut auf. Tatsächlich scheint die Zinswende stattzufinden. Doch neben Zinsanlagen suchen auch weitere Anlageklassen den Streit mit Gold. Erlebt Gold wie Napoleon sein Waterloo?
Es kann der Gold-Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Zins-Nachbar nicht gefällt
Die Zinsarmut führte Gold herrlichen Zeiten entgegen. Vor einem Jahr lagen die Tiefs der Renditen für 10-jährige Staatspapiere in den USA und Deutschland bei 0,5 bzw. minus 0,84 Prozent. Mittlerweile jedoch sind die Zinsmärkte wieder auf Krawall gebürstet. In Amerika haben sie sich verdreifacht und in Deutschland liegen sie bei nur noch ca. minus 0,3 Prozent. Folglich hat Gold sein Allzeithoch aus 2020 mit ca. 2.050 Dollar je Unze längst verlassen und liegt aktuell um die 1.700.
Auch die weiteren Aussichten deuten nicht auf neuen Zins-Pazifismus hin. Ab Frühsommer wird der Aufschwung weltweit zunehmen. Dabei werden weitere Fiskalpakete – wie jetzt in den USA – die Erholung absichern. Und die abnehmende Öffnungs-Prüderie lässt eine gewaltig aufgestaute Kaufkraft auf ein Angebot treffen, das dann über Pleiten vielfach dünner als jede Tütensuppe sein wird. Und höhere Rohstoffpreise kommen im Vorjahresvergleich auch noch hinzu.
Grafik 1: Rohstoffpreise 2021 im Vergleich zu 2020
Diese Konjunkturoffensive wird die Inflation ähnlich nach oben schießen lassen wie Spargel im Frühjahr. So werden an den Finanzmärkten wieder die bekannten Verlaufsmuster durchgespielt. Der ewigen Happy Hour der Notenbanken mit zinsunterdrückender Liquiditätsschwemme droht die jähe Sperrstunde. Und die Anleger wollen ja auch für den Inflationsverlust entschädigt werden. Wenn der Zins-Feind wieder zuschlägt, scheint Gold den Rückzug antreten zu müssen.
Übrigens führt der zunehmende Zinsvorsprung Amerikas vor Europa zu einer Dollar-Befestigung. Und in Anlehnung an eine Hustenbonbon-Werbung gilt die Regel: Ist der Dollar zu stark, ist der Goldpreis zu schwach.
Grafik 2: Renditedifferenz 10-jähriger Staatsanleihen USA minus Deutschland und Euro/US-Dollar-Wechselkurs
Gold liegt auch im Clinch mit anderen Anlageformen
Die Zinsangst setzt zwar hoch bewerteten Branchen wie High-Tech zu. Doch bieten konjunkturabhängige und Defensivaktien mit Dividendenphantasie gute Alternativen. Gold zahlt auch keine Dividende. Und für die Corona-Verlierer gilt: Auferstanden aus Ruinen. Nicht zu vergessen sind Titel der Clean Energy, die vom amerikanischen Ober-Grünen Biden die höheren Öko-Weihen erhalten.
Und dann gibt es da noch die Kryptowährungen. Da auch sie nicht beliebig vermehrbar wie Geld zur Deckung der Schulden-Welt sind, ist Gold nicht mehr der einzige Stabilitäts-Hecht im Finanz-Teich. Auch sind Kryptos als virtuelle Anlageform „transportfreundlicher“ als physisches Gold. Tatsächlich lief der Bitcoin zuletzt wie geschnitten Brot, während Gold in den Auslagen verkümmerte. Auch in puncto kommerzieller Nutzung scheint der Bitcoin aus der Schmuddelecke zu entkommen.
Neben Gold gibt es ja auch noch Silber, Platin oder Palladium. Diese sind nicht nur Edel-, sondern auch Industriemetalle, die vom Konjunkturaufschwung profitieren.
Daneben sind sie unverzichtbar beim Aufbau des 5G-Netzes und der Transformation der Volkswirtschaften Richtung Klimaneutralität.
Angesichts dieser Übermacht an Argumenten scheint das Schicksal von Gold besiegelt zu sein, oder?
Gold erlebt kein Zins-Waterloo
Auf den zweiten Blick sollte die Wehrkraft von Gold nicht unterschätzt werden. Das altbekannte Muster, dass nach steigender Inflation anschließend deutliche Zins- und Renditeerhöhungen folgen, lassen die Notenbanken nicht zu. Wenn US-Notenbankchef Jerome Powell verkündet, dass es mehr als drei Jahre braucht, bis das Inflationsziel erreicht wird, weiß jeder Anleger, dass die Fed die Zins-Pferde nicht scheu machen wird. In das gleiche Horn pustet Christine Lagarde bei der EZB. Auch sie schaut über den kurzfristigen Inflationsberg hinweg, der nach Ablauf der konjunkturellen Nachholeffekte wieder zum Mittelgebirge wird.
Und dann haben wir noch das „kleine“ Problem der apokalyptischen Überschuldung. Notenbanker müssten unter geistiger Umnachtung leiden, wenn sie mit klaren Zins- und Renditeerhöhungen den finalen Schulden-Crash auslösten.
Grafik 3: Staatsverschuldung der G7 und 10-jährige Durchschnittsrendite (USA, Deutschland, Japan)
Nein, zur Rettung der finanzwirtschaftlichen Vaterländer und des europäischen Corpsgeistes werden Fed und EZB die Weginflationierung von Verschuldung – die Preissteigerung liegt oberhalb der Schuldzinsen – betreiben. Das heißt, keine Leitzinserhöhungen. Daneben kaufen die Notenbanken weiter massiv Schulden auf und lagern sie in ihren Kellern wie Wein. Dass er später wie Essig schmeckt, muss man heute ja noch nicht mitteilen. Die verbalerotischen Stabilitäts-Apelle der Notenbanker mögen an die Strenge eines Kompaniefeldwebels erinnern. Praktisch jedoch sind sie Zins-Pazifisten. Ja, die Geldpolitik von Christine Lagarde erinnert an ein Mariengebet: Patronin voller Güte, uns alle Zeit behüte.
Wenn Zinssteigerungen von der Inflation nicht nur ein-, sondern sogar überholt werden, ist Inflationsschutz über Zinspapiere nicht möglich. Gold bleibt also der Inflationsretter.
Grafik 4: Renditen 10-jähriger US- und deutscher Staatsanleihen nach Inflation und Goldpreis
Übrigens hat die Fed kein Interesse daran, dass steigende US-Zinsen den Dollar nachhaltig festigen und damit den Export behindern. Amerika gönnt Europa keinen schwachen Euro. Powell muss also besonders zins-pazifistisch sein, denn nur so ist er markanter Währungsabwertungskrieger.
Gold kann sich anderen Anlageformen durchaus erwehrent
Ohne Zweifel sind Aktien attraktive Anlageformen. Da es aber dank weiterer geldpolitischer Üppigkeit keine Liquiditätsknappheit gibt, kann man das eine (Aktien kaufen) tun ohne das andere (Erwerb von Edelmetallen) zu lassen.
Und bei allem Respekt vor Bitcoin: Das klassische Finanzsystem betrachtet ihn mit viel Argwohn. Würden Kryptos zu einer echten Alternativwährung, verlöre die bislang so geschmeidige Staatsfinanzierung über Gelddruckerei ihr Gewaltmonopol. Wenn nötig wird man den Kryptos jede Menge regulatorische Knüppel zwischen die Beine werfen. Es kann eben nur einen Hahn im Hühnerhof der Finanzwelt geben.
Daneben sorgen anonyme Besitzer gigantischer Bitcoin-Vermögen immer wieder für hoch volatile, nicht transparente Kursbewegungen, die bei Aktien sofort von den Behörden untersucht würden.
Grafik 5: Wertentwicklung von Bitcoin und Gold
Regulierungsgefahren und massive Volatilität machen den Bitcoin aber weder zu einem akzeptierten Vermögensspeicher noch – mit Blick auf die unsichere geopolitische Großwetterlage und die Wiederbelebung sozialistischer Ammenmärchen – zu einem stabilen Anlagehafen. Diese Funktionen erfüllt weiter mustergültig Gold, das im Volatilitätsvergleich ein braver Klosterschüler ist. Bitcoin hat eher einen spekulativen Charakter.
Die Gold-Front mag wackeln, aber sie fällt nicht
Ja, Gold wird momentan von vielen Seiten angegriffen. Vor allem die Zinsangst hält sich hartnäckig wie Zigarettengestank im Mantel. Doch auch dieser Geruch verschwindet früher oder später. Gold wird erfolgreich gegen die Zinsangst anstinken.
Und wenn alle Stricke reißen, hat Gold starke Waffenbrüder. Es sind dieselben, die mit Geldschwemme draußen an der Schulden-Front kämpfen. Seit der Finanzkrise 2008 haben die Notenbanken die Goldbestände immer weiter aufgerüstet. Selbst sie suchen nach Sicherheit an der Heimatfront. Und was der Geldpolitik recht ist, sollte Goldanlegern billig teuer sein.