Am Freitag wurde der monatliche US-Arbeitsmarktbericht veröffentlicht. Er fiel mit 142.000 neuen Stellen deutlich unter den Erwartungen der Märkte (rund 200.000) aus. In der Vergangenheit hätte dies zu steigenden Kursen geführt, weil damit die angekündigte Leitzinsanhebung der US-Notenbank in die Ferne rückt und den Märkten die billige Liquidität eventuell länger erhalten bleibt. Doch dieses Mal kam es in einer ersten Reaktion zu heftigen Rücksetzern an den Aktienmärkten. Die Anleger fürchten inzwischen offenbar nicht mehr die erste Leitzinserhöhung seit vielen Jahren, sondern eine sich mehr und mehr abzeichnende Schwäche der US-Wirtschaft.
Reaktionen der Märkte sind stets stimmungsabhängig
Damit haben wir in dieser Woche ein weiteres Beispiel dafür gesehen, dass die Reaktionen der Märkte auf bestimmte Ereignisse stark stimmungsabhängig sind. Zuvor konnte man dies im Laufe dieser Woche schon am VW-Skandal, dem Budgetstreit in den USA und dem Ergebnis der Regionalwahlen in Spanien feststellen. Und vor einer Woche lautete eine Überschrift im kostenlosen Börsennewsletter Geldanlage-Brief „Wahl in Griechenland ließ die Märkte kalt“.
Budgetstreit der USA und Griechenland lösen keine Kursturbulenzen mehr aus
Es ist nicht allzu lange her, dass fast ausschließlich Meldungen über das schuldengeplagte Land zu größeren Kursbewegungen führten. Inzwischen ist das Thema aus den Medien und den Köpfen der Anleger verschwunden. Heftige Marktreaktionen bleiben aus. Und sagt Ihnen „Government Shutdown“ etwas? Wenn nicht, wundert es mich nicht.
Im Oktober beginnt in den USA das neue Finanzjahr des Staates. In schöner Regelmäßigkeit wird der Staatshaushalt mit großem politischem Geplänkel erst auf den letzten Drücker verabschiedet. Im Jahr 2011 stritten sich die Regierungsparteien um die Anhebung der Schuldenobergrenze, in 2012 kursierte der Begriff der „Fiskalklippe“ und im Jahr 2013 kam es sogar zu einer vorübergehenden Zahlungsunfähigkeit der US-Regierung – dem „Government Shutdown“, der damals gut zwei Wochen andauerte.
Die jeweiligen Marktreaktionen können Sie dem folgenden Chart des S&P500 entnehmen. 2013 blieb die Kursreaktion mit -4,8 % recht unauffällig (rechtes Rechteck im Chart), während die Kurse 2012 (gelbes Rechteck) innerhalb einiger Monate nach und nach um rund 11 % und in 2011 (nach der Bonitätsabstufung der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor’s) innerhalb von drei Wochen um mehr als 18 % nachgaben (linkes Rechteck).
Im laufenden Jahr schaffte es der Budgetstreit kaum in die Medien. Unbeobachtet von den Anlegern ist es den Politikern gelungen, eine neuerliche Lähmung der Regierung vorerst zu verhindern. Mit einem bis Anfang Dezember geltenden Haushalt schloss der Kongress am Mittwoch die drohende Finanzierungslücke – allerdings eben nur bis zum 11. Dezember.
Der S&P500 tendierte im laufenden Jahr lange Zeit seitwärts, rutschte im August plötzlich ab und schwenkte wieder in eine Seitwärtsbewegung ein (siehe folgender Chart). Will man einen Zusammenhang mit dem Budgetstreit herstellen, dann kann dazu lediglich die jüngste Abwärtsbewegung dienen. Allerdings kommt man wohl eher zu dem Ergebnis, dass der VW-Skandal für die Kursverluste verantwortlich war und alles andere überschattet hat.
Separatisten gewinnen Wahl in Katalonien – Na und?
So auch die Regionalwahl in Spanien vom vergangenen Sonntag. Als die europäische Schuldenkrise ihren Hochpunkt erreichte, stand Griechenland kurz vor einem Ausstieg aus dem Eurosystem. Man fürchtete, andere Länder könnten diesem Beispiel folgen. Daher blickte man auch mit großen Sorgen auf die Wahlen in Spanien und Portugal, weil man bei einem Sieg der Separatisten weitere potentielle Aussteiger sah. Jede Nachricht, die zu diesem Thema über die Ticker lief, führte damals zu scharfen Kursrücksetzern.
Nun hat die Regionalwahl in Katalonien am vergangenen Sonntag stattgefunden. Und wie ursprünglich befürchtet, gingen die Separatisten als Sieger hervor. Die Gefahr des Euro-Austritts eines Landes der EU ist also mit dem Ergebnis dieser Wahl durchaus wieder realistischer. Entsprechend wären Kurseinbrüche im Euro eine plausible Reaktion der Anleger gewesen.
Anleger sehen derzeit keine Gefahr mehr für den Euro
Doch stattdessen ging das Ereignis an der Gemeinschaftswährung spurlos vorüber. Der Euro konnte zu Wochenbeginn sogar zulegen. Und seit Monaten befindet er sich gegenüber dem US-Dollar in einer Seitwärtskonsolidierung (siehe blaues Rechteck im Chart) bzw. leichten Aufwärtsbewegung (grüne Linie).
Euro-Krise ist „out“, Abgasskandal ist „in“
Die Stimmung der Anleger ist aktuell halt eine andere als damals. Obwohl sich fundamental nur wenig verändert hat, ist die Euro-Krise spätestens seit der Wiederwahl von Alexis Tsipras aus den Köpfen der Anleger verschwunden und der Fokus derzeit auf die aktuellen Korrekturen an den Aktienmärkten gerichtet, die durch den Abgasskandal jüngst befeuert wurden.
Wenn Medien Angst und Schrecken verbreiten, übertreiben die Märkte
An diesen Beispielen wird bereits sehr deutlich, dass die Märkte zur Übertreibung neigen, wenn die Medien mit ihrer typischen Hau-drauf-Mentalität ein Thema ausschlachten. Nimmt die Berichterstattung ab, verschwindet die Angst und Verunsicherung der Anleger und panikartige Kursreaktionen bleiben aus. Auch wenn es ein Thema nicht auf die Titelseite schafft (z. B. US-Budgetstreit, Wahl in Katalonien), gehen die Börsen viel nüchterner und sachlicher damit um.
Von einer Übertreibung zur nächsten
Doch immer wieder wird irgendeine neue Sau durchs Dorf gejagt, die je nach Stimmungslage der Anleger zu Unsicherheiten und teilweisen Panikreaktionen führt. War es in der Vergangenheit die Furcht vor dem Euro-Austritt eines Landes, ist es nun die Angst, dass sich der VW-Skandal auf die gesamte deutsche Wirtschaft auswirkt.
Dabei dürfte diese Angst unbegründet sein. Laut Aussagen von BMW-Chef Harald Krüger zum Beispiel dürfte die VW-Abgaskrise die deutsche Industrie nicht nachhaltig beschädigen. Und Dirk Heilmann vom Handelsblatt Research Institute schreibt dazu, dass die Automobilindustrie zwar mit 368 Milliarden Euro Umsatz und 775.000 direkt Beschäftigten die größte deutsche Industriebranche ist und damit ein Klumpenrisiko für die Volkswirtschaft darstellt, der berechtigte Ärger der Verbraucher über die Manipulation von Abgaswerten bei mindestens elf Millionen VW-Dieselfahrzeugen aber sicher nicht dazu führen wird, dass sie dem Autokauf komplett abschwören. Und so beziffert er den negativen Effekt für das deutsche BIP nach einer plausibel klingenden Berechnung auf maximal 0,3 Prozent.
Auch beim Blick nur auf VW lassen sich Übertreibungen erkennen: Man spricht derzeit über mögliche Strafzahlungen von bis zu 18 Milliarden US-Dollat. Die VW-Aktie hat seit Bekanntwerden des Skandals ein Drittel ihres Wertes und das Unternehmen damit mehr als 26 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung verloren. 18 Milliarden US-Dollar Strafe stehen also 26 Milliarden Euro Marktwertverlust gegenüber.
Wobei man bei Volkswagen wegen geschönter Abgaswerte über eine Strafe in zweistelliger Milliardenhöhe spricht, während GM im Falle von defekten Zündschlössern, die zu 174 Toten führten, letztlich mit einer Strafe von 900 Millionen US-Dollar geahndet wurde. Für VW könnte es also deutlich weniger schlimm kommen als befürchtet. In diesem Fall dürften auf die derzeitigen Kursverluste entsprechende Kurserholungen folgen.
Hier können sich Chancen auftun
Nun muss man die Probleme von VW aber deutlich differenzierter betrachten. So können zu den Strafzahlungen in den USA noch Forderungen anderer Länder, zivilrechtliche Ansprüche, Kosten für Rückrufaktionen und vieles mehr hinzukommen. Entsprechend schwer fällt es, bei VW von einer Übertreibung zu sprechen. Doch wurde der gesamte Automobilsektor in Sippenhaft genommen. Und darin könnte man die Chancen sehen. – Zumal: Verbraucher sind vergesslich, genauso wie Anleger.
Negative Nachrichten zum VW-Skandal können die Kurse noch eine Weile drücken
Noch sollte man allerdings vorsichtig sein, weil sich die Aktienindizes in einer Seitwärtskonsolidierung befinden, die sich als trendbestätigend entpuppen könnte. Und wir hatten davor gewarnt, dass uns negative Nachrichten zu dem VW-Skandal noch einige Zeit beschäftigen werden und die Kurse damit noch eine Weile unter Druck bleiben könnten.
Von Auto- zu Elektronikherstellern
Inzwischen lässt man Manipulations-Vorwürfe gegen Elektronik-Hersteller wieder aufleben. Nach jüngsten Vorwürfen sollen Samsung-Fernseher in Tests extra einen niedrigeren Stromverbrauch gezeigt haben. Der Konzern reagierte und wies die Betrugsvorwürfe zurück.
Da sollte man die Kirche aber jetzt im Dorf lassen! Im Grunde hat doch eigentlich jeder längst gewusst, dass bestimmte Werte nur unter idealisierten Testbedingungen erreichbar sind. So merkt man doch zum Beispiel bei jedem Tankvorgang, dass auch die von den Autoherstellern angegebenen Verbrauchswerte beim Kraftstoff deutlich unter dem liegen, was uns die Anzeige an der Zapfsäule verrät.
Wo war diese Empörung, als uns die Banken abgezockt haben?!
Und wo war denn demgegenüber die Empörung, als bekannt wurde, dass uns die Banken mit Manipulationen der Zinsen und Wechselkurse abgezockt haben und Immobilienskandale einen hohen finanziellen Schaden bei deutlich mehr Verbrauchern angerichtet haben?! Dazu vergleicht der prominente Volkswirt Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo-Instituts, die Auto- mit der Bankenindustrie:
Laut seinen Aussagen programmieren Investment-Fonds ihre Produkte grundsätzlich so, dass sie bessere Bewertungen bekommen, als sie verdienen. „Im Testlauf der Rating-Agenturen bekommen sie ein 'sehr gut', doch im Alltagsbetrieb erweisen sie sich als Geldvernichtungsmaschinen.“ Wo seien denn die Sammelklagen, die die Hersteller der betrügerischen ABS-Papiere aus Amerika mit Forderungen von Dutzenden von Milliarden Euro überschütteten, fragt sich der Ökonom.
„Cui bono?“ – Wem nutzt es?
Mein Kollege Jochen Steffens hat schon Ende August ganz allgemein die Frage gestellt „Warum ausgerechnet jetzt?”. „Sie kennen sicherlich das geflügelte Wort „Cui bono?“ (=Wem zum Vorteil, also wem nutzt es?)”, schrieb er am 31. August. Nach seiner Ansicht sollte man sich an der Börse stets diese Frage stellen, wenn eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird.
Auf VW bezogen bedeutet dies: Warum geriet die Information über manipulierte Abgaswerte gerade jetzt offiziell an die Öffentlichkeit? Zumal inzwischen gemeldet wurde, dass die Differenz in den Messwerten schon seit Monaten bzw. Jahren bekannt ist. VW soll bereits 2011 intern auf mögliche Rechtsverstöße beim Einsatz der Software hingewiesen worden sein.
Auch wird in den Medien darauf hingewiesen, dass dieses Thema genau an dem Tag in den USA hochgekommen ist, als VW dort seinen neuen Passat vorstellte, der in den nächsten Jahren den Konkurrenten GM und Ford Angst und Bange machen sollte. – Cui bono? – Wem nutzt es?! Dass die Empörung über VW unter den Verbrauchern derzeit derart groß ist, wird den VW-Konkurrenten aus den USA sicher nicht ganz ungelegen kommen.
US-Nachfrage nach Neuwagen so hoch wie seit 10 Jahren nicht
Doch wir wollen uns gar nicht an Verschwörungstheorien beteiligen, sondern lediglich darauf hinweisen, dass wir die derzeitigen Reaktionen der Medien, Verbraucher und Anleger für übertrieben halten. Dazu passen auch aktuelle Zahlen von Freitag:
In den USA ist die Nachfrage nach Neuwagen so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr, wenn man die Schätzungen von General Motors (NYSE:GM) zu Grunde legt, nach denen branchenweit annualisiert 18,3 Millionen Fahrzeuge aus den USAutohäusern rollten. Dem Branchenblatt „Autonews“ zufolge legten die US-Autoverkäufe im September um satte 16 Prozent zum Vorjahr zu. Geht es in dem Tempo weiter, würde die Schwelle von 18 Millionen verkauften Fahrzeugen im Gesamtjahr 2015 geknackt und der beste Wert seit dem Jahr 2000 erzielt werden.
Zudem zeigen die mit Spannung erwarteten Absatzzahlen von Volkswagen trotz des am 18. September öffentlich gemachten Abgas-Skandals noch keine negativen Auswirkungen. Volkswagen schaffte sogar ein leichtes Absatzplus von 0,6 Prozent, nachdem es im Vormonat noch 8 Prozent abwärts ging. Und das, obwohl der Konzern unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals den Verkauf der betroffenen Modelle gestoppt hat.
Der VW-Tochter Audi gelang ein sattes Verkaufsplus von 16,2 Prozent auf 17.340 Fahrzeuge und damit der 57. Rekordmonat in Folge. Unter den deutschen Anbietern war aber Porsche (XETRA:PSHG_p) (ebenfalls VW-Tochter) mit plus 22,7 Prozent Spitzenreiter. Mercedes USA verkaufte sechs Prozent mehr Fahrzeuge, BMW etwa vier Prozent.
Fazit
Es ist immer das gleiche Schema an den Börsen: die Reaktionen der Anleger auf bestimmte Ereignisse sind stark stimmungsabhängig. Oft kommt es zu Übertreibungen, aus denen sich dann Chancen ergeben können. – Mit SHW haben wir kürzlich über einen Wert berichtet, mit dem man von der Chance im VW-Skandal profitieren könnte. Alternativ gibt es Zertifikate, die den gesamten Automobilsektor (Hersteller und Zulieferer) abdecken. Basiswert könnte zum Beispiel der „Stoxx Europe 600 Automobiles & Parts“-Index sein (ISIN EU0009658681), der von seinem Hoch bei 690 Punkten im März 2015 bis auf aktuell 464 Zähler rund ein Drittel verloren hat.
Mit einem Zertifikat auf diesen Index könnte man die derzeit hohen Risiken eines Einzelinvestments vermeiden.
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Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei der Geldanlage
Sven Weisenhaus
(Quelle: Geldanlage-Brief, Ausgabe vom 04.10.2015)
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