Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
mit dem Ausbruch des S&P 500 auf ein neues Jahres- bzw. Allzeithoch (siehe Steffens Daily vom 07.11.2014) stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit dieses Ausbruchs. Dabei spielen sowohl die Stimmungsanalyse als auch die fundamentale Bewertung eine Rolle. Stimmung: Sehr bullish, aber noch nicht extrem
Bei der Stimmungsanalyse zeigt sich in verschiedenen Daten ein spürbarer bullisher Sentimentschub nach dem Ausbruch der Vorwoche. In den vielbeachteten Daten der American Association of Individual Investors (AAII), die seit 1987 in den Kategorien „bullish“, „bearish“ und „neutral“ abgefragt werden, stieg der Anteil bullisher Investoren (52,69 %) auf den höchsten Stand des Jahres.
Gleichzeitig fiel die Zahl der Bären (15,05 %) nicht nur auf den tiefsten Stand des Jahres, sondern auch auf den tiefsten Stand seit Juli 2005. Der sogenannte Bull-Bear-Spread, also die Differenz zwischen der Anzahl der Bullen und Bären, stieg dadurch auf 37,64 %. Auch das ist nicht nur ein neues Jahreshoch, sondern außerdem der höchste Wert seit Ende 2010 und damit der zweithöchste Wert in dem seit 2009 laufenden Bullenmarkt.
Ähnliche Werte bzw. Konstellationen lassen sich auch in anderen Sentimentdaten finden. All das sind noch keine historischen Extremwerte, aber zumindest wichtige Achtungssignale. Wichtig ist nun, dass sich diese gute Stimmung auch in entsprechenden Handlungen der Anleger niederschlägt – dass es also zu den so wichtigen Anschlusskäufen kommt. Dann kann die Stimmung auch längere Zeit auf diesem hohen Niveau verharren, ohne dass es zu einem Einbruch an den Märkten kommt. Haben die Langfristanleger einen Kaufgrund?
Ob es zu diesen Anschlusskäufen kommt, hängt häufig auch von der fundamentalen Bewertung ab. Vor allem langfristige Investoren greifen bekanntlich lieber zu günstig bewerteten Aktien. Da diese Investorengruppe dann allerdings diese Aktien auch längere Zeit und selbst in schwierigen Phasen hält, wird der Verkaufsdruck in der Regel nicht so hoch, wenn es doch noch einmal zu einem Einbruch kommen sollte.
Leider haben fundamental orientierte Investoren derzeit wenig Veranlassung, stärker zu investieren. Die zu Ende gehende Quartalsberichtssaison (ca. 89 % aller S&P500-Unternehmen haben ihre Ergebnisse bereits vorgelegt) ist eher durchschnittlich ausgefallen. Zwar haben knapp 75 % aller Unternehmen des S&P 500 die Prognosen übertroffen. Das sind deutlich mehr als die knapp 66 %, die das im zweiten Quartal bzw. im Durchschnitt der vergangenen vier Quartale schafften (der historische Mittelwert liegt bei etwas mehr als 66 %).
Allerdings wurden die Prognosen vor und während der Berichtssaison immer wieder reduziert. Insofern lag die Messlatte relativ niedrig. Das zeigt sich auch beim Vergleich der relevanten Wachstumskennziffern. So lag der Gewinnzuwachs mit +6,7 % im Vergleich zum Vorquartal nur unwesentlich über dem Durchschnitt der vergangenen vier Quartale (+6,6 %). Das Umsatzwachstum fiel mit +4,0 % scheinbar deutlich stärker als dieser Durchschnitt (+3,3 %) aus. Eine eher durchschnittliche Berichtssaison
Allerdings waren – bedingt durch den extrem kalten Winter in den USA – sowohl das vierte Quartal 2013 als auch das erste Quartal 2014 eher unterdurchschnittlich. Das verzerrt diesen Vergleich ein wenig. Im Vergleich zu den vergangenen zwölf Quartalen (+3,9 %) fällt dieser Umsatzanstieg kaum noch aus dem Rahmen. Immerhin ist aber seit Jahresanfang eine gewisse steigende Tendenz bei den Umsätzen zu erkennen, die optimistisch stimmen kann.
Dennoch bleibt es auch bei einer negativen Tendenz, und zwar der anhaltenden Abwärtskorrektur der Gewinnschätzungen für die Folgequartale. So erwarteten die Analysten vor dem Start der Berichtssaison zum dritten Quartal für das vierte Quartal einen Gewinnanstieg um 9,6 %. Inzwischen reduzierten sie ihre Erwartung auf nur noch +4,4 %.
Diese negative Tendenz setzt sich leider auch in den weiteren Quartalsschätzungen durch. Dadurch sinken auch die Erwartungen für das Jahr 2015, auf das die Anleger inzwischen ihre volle Aufmerksamkeit richten. Hier schrumpften die Werte scheinbar nur moderat – von einem erwarteten Anstieg um 14,6 % (vor der Berichtssaison) auf +13,8 % (aktuell). Da jedoch gleichzeitig die Aktienkurse stiegen, gingen die Bewertungen deutlich stärker nach oben:
Quelle: Standard & Poor‘s
Wann Aktien nicht mehr „alternativlos“ sind
Das absolute Niveau – ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15 – erscheint vergleichsweise moderat. Aber aufgrund der fortgesetzten Abwärtskorrekturen bei den Gewinnschätzungen stellt sich für die Anleger mehr und mehr die Frage, ob dieses Niveau nicht trotzdem zu hoch gegriffen ist.
Vorerst zieht noch das Argument, dass es zu Aktien keine Alternative gibt, weil sie unter all den anderen, völlig überteuerten Anlageklassen relativ die billigsten sind. Allerdings blendet der Begriff „alternativlos“ bewusst die vorhandenen restlichen Risiken aus. Und alles, was gestern noch „relativ“ billig erscheint, kann irgendwann „absolut“ zu teuer sein. Bei dieser Einschätzung spielt eben die Stimmung eine wichtige Rolle.
Damit ist klar: Je ambitionierter die Bewertungen werden, desto näher rückt ein möglicher Stimmungsumschwung. Und je länger die positive Stimmung anhält, desto heftiger dürfte dieser Stimmungsumschwung ausfallen. Nur die Anleger selbst können derartige Zweifel zerstreuen – und zwar, indem sie nach dem Ausbruch der Vorwoche beherzt bei Aktien zugreifen. Die Charts werden uns zeigen, ob sie das tun. Und genau diesen Signalen sollten Sie dann folgen.
Eine erfolgreiche Woche!