Extreme Volatilität in einem hoch verschuldeten Finanzsystem führt fast zwangsläufig zu Liquiditätsengpässen. Die jüngsten Turbulenzen deuten immer stärker darauf hin, dass genau das passiert: Liquidität wird knapper. Besonders deutlich zeigt sich das im kräftigen Anstieg der risikofreien Renditen von Staatsanleihen in der vergangenen Woche. Schon vor diesem Anstieg gab es erste Warnzeichen – allerdings eher an den Rändern des Marktes, etwa bei Treasury-Basis-Trades oder in den Spreads von Zinsswaps.
Wie wir aus früheren Phasen wissen, schreitet die Fed meist mit umfangreichen Notfallmaßnahmen ein, sobald sich Liquiditätsprobleme abzeichnen. Zwar liegt ihr offizieller Auftrag im Bereich Preisstabilität und Beschäftigung, doch wenn es hart auf hart kommt, steht der Schutz des Bankensystems an erster Stelle.
Deshalb lohnt sich ein genauer Blick auf jene Marktsegmente, die frühzeitig Hinweise auf drohende Engpässe liefern. Wer diese Signale richtig deutet, kann nicht nur besser abschätzen, wie die Fed reagieren wird – sondern auch das eigene Portfolio in unruhigen Zeiten gezielter steuern.
Wir starten mit einem kurzen Überblick zu Treasury-Basis-Trades. Danach werfen wir einen Blick auf Zinsswaps und erklären, was negative Spreads über die aktuelle Marktlage verraten.
Treasury-Basis-Trades
Futures-Kontrakte geben Händlern die Möglichkeit, einen Vermögenswert zu einem vorher festgelegten Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu kaufen oder zu verkaufen. Am Kassamarkt – der im Alltag meist bevorzugt wird – findet der Handel dagegen mit sofortiger oder sehr kurzfristiger Abwicklung statt, in der Regel am selben oder nächsten Tag.
Die Differenz zwischen dem Preis am Kassamarkt und dem Preis des entsprechenden Futures nennt man „Basis“. Sie ergibt sich in der Regel aus den Finanzierungskosten und den Kupons bzw. Dividenden, die mit dem Kassapapier verbunden sind – also mit dem Vermögenswert, der am günstigsten geliefert werden kann.
Weicht die Basis von dem ab, was sich rein rechnerisch aus diesen Faktoren ergeben müsste, entsteht eine Arbitragemöglichkeit. Denn die Preisdifferenz wird spätestens bei Fälligkeit des Kontrakts verschwinden – wenn nicht sogar schon deutlich früher.
In einem funktionierenden, liquiden Marktumfeld würden solche Ungleichgewichte schnell ausgeglichen: Arbitrageure greifen ein, und die Basis normalisiert sich. Doch aktuell ist das nicht der Fall. Warum das so ist, lässt sich gut an einem einfachen Beispiel zeigen.
Angenommen, der Preis der günstigsten Kassaanleihe liegt – nach Berücksichtigung von Fremdkapitalkosten und Kupons – um einen Basispunkt (also 0,01 %) unter dem entsprechenden Futures-Preis. Hedgefonds, die solche Abweichungen erkennen, könnten diese Anleihe kaufen und gleichzeitig den passenden Futures-Kontrakt verkaufen. Weil die Preisdifferenz sehr klein ist, arbeiten sie dabei mit hohem Hebel – teilweise mit dem 20- bis 50-fachen des Eigenkapitals. Das steigert die potenziellen Gewinne, erhöht aber natürlich auch das Risiko.
Jetzt stellen wir uns vor, die Basis – also die Differenz zwischen Anleihe und Futures – weitet sich am nächsten Tag auf fünf Basispunkte aus. Für den Hedgefonds bedeutet das einen Verlust. Sein Kreditgeber, meist eine große Bank, fordert nun zusätzliche Sicherheiten, um sich gegen weitere Verluste abzusichern. Der Fonds hat dann zwei Möglichkeiten: Er kann Barmittel oder andere Sicherheiten nachschießen – oder, wenn das nicht möglich ist, muss er seine Position ganz oder teilweise auflösen.
Liquidität und die Basis
Wenn sich die Basis weiter gegen den Hedgefonds entwickelt, wird der potenzielle Arbitragegewinn zwar attraktiver – zumindest theoretisch. Unter normalen Bedingungen würde genau das neue Akteure anziehen: Weitere Hedgefonds steigen in den Trade ein, nutzen die Preisdifferenz, und durch das zusätzliche Kapital normalisiert sich die Basis wieder.
Doch in Zeiten knapper Liquidität sieht das anders aus. Dann gibt es nur wenige Marktteilnehmer, die überhaupt bereit oder in der Lage sind, solche Arbitragegeschäfte einzugehen. Und wenn die Sicherheitenforderungen der Banken zunehmen, geraten viele Fonds unter Druck: Sie müssen Positionen verkleinern oder ganz auflösen – was die Basis weiter auseinandertreibt und den Druck im Markt noch verstärkt.
Systemimmanente Risiken von Basis Handel
Bei Treasury-Basis-Trades gibt es vor allem zwei Risiken, die dazu führen können, dass solche Strategien scheitern.
Erstens: Viele Basis-Händler – also diejenigen, die gezielt solche Preisdifferenzen ausnutzen – sind stark fremdfinanzierte Hedgefonds. Einige davon sind sehr groß. Ein Beispiel ist Citadel, einer der bekanntesten Basis-Trader mit einem verwalteten Vermögen von rund 65 Mrd. USD.
Schätzungen zufolge arbeitet Citadel mit einer impliziten Hebelung, die beim rund Neunfachen dieses Betrags liegt. Sollte ein solcher Akteur in Schwierigkeiten geraten, hätte das weitreichende Folgen – auch für große Investoren wie Pensionsfonds, Stiftungen oder Staatsfonds, die dort investiert sind.
Das zweite Risiko betrifft die Banken, die den Hedgefonds Kredite zur Verfügung stellen. Bei Hebelwirkungen von 20-fach oder mehr kann schon ein Verlust von nur 5 % dazu führen, dass ein Trade vollständig ausradiert wird – und damit auch das eingesetzte Eigenkapital. Banken, die diese Positionen finanzieren, tragen also ein erhebliches indirektes Risiko mit.
Wenn ein Hedgefonds durch Basis-Trades in Schieflage gerät, sind die Auswirkungen oft nicht auf diese eine Position begrenzt. In einem solchen Fall müssten unter Stress auch andere, zunächst völlig unabhängige Positionen zwangsweise glattgestellt werden – oft mit zusätzlichen Verlusten. Und wenn der betroffene Fonds groß genug ist, kann das eine Kettenreaktion auslösen – mit Systemrisiken, wie wir sie zuletzt in der Finanzkrise gesehen haben.
Klingt dramatisch? Ist es auch – und es ist nicht ohne Beispiel. 1998 musste der große Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM) gerettet werden. Der Auslöser war ein sehr ähnliches Szenario, das schließlich eine von der Fed koordinierte Rettungsaktion notwendig machte, um größere Schäden im Bankensystem zu verhindern.
In unserem Artikel Von LTCM bis 1966 heißt es dazu:
LTCM war auf Anleihe-Arbitrage spezialisiert – also darauf, Preisanomalien zwischen zwei Wertpapieren zu nutzen, deren Kurse sich normalerweise sehr ähnlich verhalten. Die Strategie ging davon aus, dass diese Abweichungen über kurz oder lang wieder konvergieren – was historisch gesehen fast garantiert war.
Das Problem: LTCM arbeitete mit enormem Hebel – teilweise mit dem 25-fachen des Eigenkapitals. Ein Verlust von nur 4 % reichte aus, um das komplette Eigenkapital zu vernichten. Genau das geschah, als Russland 1998 überraschend seine Schulden nicht bediente. Es kam zu einer massiven Flucht in sichere US-Staatsanleihen – genau die Position, gegen die LTCM gewettet hatte. Die Märkte wurden illiquide, die Differenzen weiteten sich aus, und die Verluste explodierten.
Weiter heißt es im Artikel:
Laut Wikipedia: Long-Term Capital Management handelte mit fast allen großen Playern der Wall Street. Ein Großteil des Kapitals stammte von denselben Akteuren, mit denen das Unternehmen auch Geschäfte machte. Als LTCM zu kippen drohte, wuchs die Sorge, dass ein Dominoeffekt das gesamte Finanzsystem erfassen könnte.
Am Ende sprang die Fed ein und organisierte eine Rettung im Volumen von 3,63 Mrd. USD – und konnte so verhindern, dass die Situation in eine umfassende Finanzkrise mündete.
Zinsswaps
Bevor wir uns mit den Zinsswap-Spreads im Detail beschäftigen, ist es sinnvoll, zunächst einen Schritt zurückzutreten und den größeren Zusammenhang zu betrachten. Denn dieser Markt bildet in vielerlei Hinsicht das Fundament für das gesamte Finanzsystem.
Die folgende Grafik – bereitgestellt mit freundlicher Genehmigung der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) – macht das deutlich: Zinsswaps sind mit Abstand die dominierende Form von OTC-Derivaten. Ihr geschätzter Nominalwert liegt bei rund 575 Billionen USD.
Um die Größenordnung einordnen zu können: Die gesamte Marktkapitalisierung des US-Aktienmarkts liegt bei etwa 50 Billionen USD. Weltweit – inklusive der USA – kommt der Aktienmarkt auf ungefähr das Doppelte.
Zum Vergleich: Der globale Anleihemarkt ist noch deutlich größer und umfasst rund 133 Billionen USD.
Die folgenden Grafiken – mit freundlicher Genehmigung von Visual Capitalist – geben einen genaueren Einblick in beide Märkte und helfen, die Dimensionen besser zu erfassen.
Der fiktive Wert aller ausstehenden Zinsswaps ist etwa doppelt so groß wie der Wert der weltweiten Anleihe- und Aktienmärkte zusammen!
Deshalb hören wir zu, wenn der Swap-Markt spricht!
Was sind Zinsswaps?
Ein Zinsswap ist ein sogenanntes Derivat – das heißt, sein Wert leitet sich von einem anderen Vermögenswert ab. Konkret handelt es sich dabei um einen Vertrag, in dem zwei Parteien vereinbaren, über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu festgelegten Zeitpunkten Zahlungsströme auszutauschen.
Die gebräuchlichste Form eines Swaps sieht so aus: Eine Partei verpflichtet sich, regelmäßig einen festen Zinssatz zu zahlen, und erhält im Gegenzug Zahlungen, die sich an einem variablen Zinssatz orientieren. Die andere Partei übernimmt den entgegengesetzten Part – sie zahlt den variablen Zinssatz und bekommt den festen.
Diese Art von Swaps – häufig als „Plain Vanilla Swaps“ oder „Fixed-to-Floating Swaps“ bezeichnet – steht im Mittelpunkt unserer weiteren Betrachtung.
Am Swap-Markt brodelt es
Um zu verstehen, welches Warnsignal derzeit von den Zinsswap-Märkten ausgeht, lohnt sich ein Blick in einen Bloomberg-Artikel mit dem Titel „Zölle beschleunigen den Einbruch der Lieblings-Spekulation der Hedgefonds“. Dort heißt es:
„In den letzten Tagen hat sich die Entwicklung jedoch abrupt beschleunigt, da der sich verschärfende Handelskrieg die Aussichten für Corporate America verdunkelte, was die Banken dazu veranlasste, Treasury-Bestände zu verkaufen, um den Liquiditätsbedarf ihrer Kunden zu decken, heißt es in Trader-Kreisen. Gleichzeitig haben die Kreditgeber Swap-Kontrakte abgeschlossen, um im Falle einer Anleiherallye an der Zinsentwicklung teilzunehmen. Dieser Trend hat dazu geführt, dass die Swaps die Staatsanleihen massiv outperformed haben und die Swapsätze weit unter die Renditen der Staatsanleihen gedrückt haben.“
Vereinfacht gesagt: Banken verkaufen Treasuries, um Liquidität zu schaffen – also kurzfristig Kapital zu beschaffen. Dabei entsteht eine Laufzeitinkongruenz zwischen ihren Vermögenswerten und ihren Verpflichtungen. Um das Zinsrisiko auszugleichen, sichern sie sich über Zinsswaps ab – konkret, indem sie die feste Seite des Swaps übernehmen, also auf steigende Zinsen setzen.
Da diese Seite aktuell stark nachgefragt ist, sinkt der Swap-Satz – also der Zinssatz für die festverzinsliche Komponente des Swaps. Inzwischen liegt er sogar unter dem Zinssatz vergleichbarer US-Staatsanleihen – das heißt, der sogenannte Swap-Spread ist negativ.
Das ist bemerkenswert, denn Staatsanleihen gelten als risikofrei. Wenn ein Derivat, das ein gewisses Gegenparteirisiko birgt, mit einer niedrigeren Rendite gehandelt wird als eine Staatsanleihe, ist das ein deutliches Warnsignal.
Die folgende Grafik zeigt, dass die Swap-Spreads derzeit sogar noch negativer sind als in den ersten Tagen der COVID-Krise oder im Jahr 2019, als die Fed die Zinsen senkte, um die Märkte mit Liquidität zu versorgen.
Die negativen Spreads deuten darauf hin, dass am Kassamarkt verstärkt Anleihen verkauft werden – meist, um kurzfristig Liquidität zu schaffen. Gleichzeitig schließen Marktteilnehmer Zinsswap-Vereinbarungen ab, um ihr Engagement in langfristigen Laufzeiten trotzdem aufrechtzuerhalten.
Banken und andere Akteure verkaufen also Anleihen mit höheren Renditen, um im Gegenzug Swap-Zahlungen mit niedrigeren Zinssätzen zu erhalten. Das ist kein besonders attraktiver Trade – es sei denn, es besteht akuter Bedarf an Liquidität oder es geht um Kapitalentlastung.
Angesichts der Komplexität von Zinsswaps und ihrer enormen Bedeutung für das Finanzsystem werden wir diesem Thema in einem der nächsten Artikel noch mehr Raum geben.
Fazit
Wie Sie sich erinnern, hat die Fed auf ihrer letzten Sitzung den monatlichen Betrag für das Quantitative Tightening (QT) bereits reduziert. Schon damals – also noch vor der jüngsten Volatilität rund um die Zölle – war klar, dass es an Liquidität mangeln könnte.
Wir gehen davon aus, dass die Fed den jüngsten Renditeanstieg bei Anleihen sowie die von uns besprochenen Basisgeschäfte und Swap-Spreads genau im Blick hat.
Und sie wird reagieren, wenn es nötig ist. Da es sich um ein Liquiditäts- und nicht vorrangig um ein wirtschaftliches Problem handelt, wäre ein denkbares Szenario, dass die Fed ein Programm aufsetzt, mit dem Händler ihre Basisgeschäfte direkt mit ihr verrechnen können – vergleichbar mit früheren Maßnahmen zur Bereitstellung von Liquidität.
Trotz der angespannten Lage glauben wir nicht, dass die Fed kurzfristig die Zinsen senkt – zumindest nicht ohne zwingenden Grund. Eine Beendigung des QT erscheint möglich, ein erneutes Quantitative Easing (QE) hingegen halten wir für eher unwahrscheinlich – es sei denn, die Lage verschärft sich deutlich.