Die Fed hat auf ihrer Sitzung in dieser Woche alles beim Alten belassen. Völlig überraschend für die Märkte und fast alle Beobachter gab es doch keine Reduzierung der Anleihekäufe. Will man diese Überraschung in eine Zahl fassen, dann lautet diese: 71. Eine einhellige Fehleinschätzung, denn 71 Prozent betrug in der vergangenen Woche der Anteil derjenigen Analysten, die in einer seit Juni regelmäßig durchgeführten Umfrage von Reuters die Erwartung äußerten, dass die Fed auf ihrer jüngsten Sitzung den Ausstieg beginnt.
Eine derart einhellige Meinung ist unter Finanzexperten sehr selten. Und so ist es kein Wunder, dass die Märkte nach Verkündung dieser Entscheidung jubelnd auf neue Hochs ausbrachen. Dazu der Intraday-Chart des S&P 500 von gestern:
Sie als Leser des Steffens Daily waren aber auf diese Überraschung vorbereitet. Denn faktisch zeitgleich mit der jüngsten Veröffentlichung der erwähnten Reuters-Umfrage wiesen wir in unserem Beitrag vom 9. September 2013 auf die Knackpunkte hin, welche die Fed bewegen könnten, den Start ihres Ausstiegsprogramms zu verschieben: die schwache Wirtschaftsentwicklung und insbesondere die neuerliche Gefährdung des Immobilienmarkts durch den Renditeanstieg an den Märkten seit Juni.
Frühzeitiger Hinweis auf Fed-Überraschung im Steffens Daily
Und bemerkenswerterweise waren genau dies die Hauptargumente, die auch die Fed anführte, um ihre Entscheidung zu begründen. Zwar betonte die Fed in ihrem Statement, dass „unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Kürzungen im Bundeshaushalts [= Fiskalklippe] das Komitee Verbesserungen der wirtschaftlichen Aktivität und der Arbeitsmarktbedingungen“ sieht. Aber gleichzeitig reduziert die Fed in ihrem parallel veröffentlichten Wirtschaftsausblick die Wachstumsaussichten für die USA für 2013 von 2,3 bis 2,6 % auf 2,0 bis 2,3 % und für 2014 von 3,0 bis 3,5 % auf 2,9 bis 3,1 %. Folglich will die Fed erst „weitere Belege abwarten, dass die Erholung nachhaltig ist, bevor der Umfang ihrer [Anleihe-]Käufe angepasst wird.“
Genau genommen offenbart die Fed damit, dass sie mit der Konjunkturentwicklung keineswegs zufrieden ist, denn wenn sie ihre Wirtschaftsprognosen reduziert, fehlen ihr die Belege für eine Verbesserung völlig. Und die Fed sagt auch ganz klar, woran das liegen könnte: „Die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen, die in den vergangenen Monaten zu beobachten war, kann – wenn sie andauert – die Geschwindigkeit der Erholung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt verlangsamen.“
Die Fed weist hiermit insbesondere auf den Renditeanstieg bei lang laufenden Anleihen und Hypothekenkrediten seit Juni hin, der – wie im Steffens Daily vom 9. September 2013 gezeigt – durch die damalige Ankündigung des Ausstiegs seitens der Fed selbst ausgelöst wurde und insbesondere den Immobilienmarkt wieder unter Druck bringt. Macht sich die Fed von den Märkten abhängig?
Damit scheint es fast so, als begäbe sich die Fed in eine gefährliche Abhängigkeit von den Märkten. Denn auf den ersten Blick sieht es doch so aus: Nachdem die Fed im Juni erste Andeutungen machte, ihre Lockerungsmaßnahmen zu reduzieren, wurden ihre Absichten durch den starken Renditeanstieg durchkreuzt. Die aktuelle Verschiebung des Ausstiegs könnte daher als Rückzieher und damit als eine Art Kapitulation vor den Märkten gewertet werden.
Eine diesbezügliche Frage auf der Pressekonferenz nach der Fed-Sitzung wies Ben Bernanke natürlich zurück. Er erklärte dazu, dass sich die Fed „die Geldpolitik nicht von den Erwartungen der Märkte diktieren“ lasse. Dennoch könnte man meinen, die Fed begibt sich mit ihrer Entscheidung in eine erpresserischere Abhängigkeit von den Märkten. Schließlich bräuchten diese ja nur beim nächsten kleinen Anzeichen einer geldpolitischen Straffung die Marktzinsen erneut kräftig nach oben zu treiben, um die Fed abermals zum Rückzug zu zwingen.
Aber dazu wird es nicht kommen. Und zwar nicht nur aufgrund des ungeschriebenen Gesetzes „Never fight the Fed!“ (Kämpfe niemals gegen die Fed), sondern auch deshalb, weil die Fed mit ihrer gestrigen Entscheidung ihren im Juni definierten Kurs eigentlich unbeirrt fortsetzt und damit den Märkten letztlich den Wind aus den Segeln nimmt.
Man muss der Fed nur zuhören, um sie zu verstehen
Um zu verstehen, wie dieser Kurs aussieht und welche Chancen und Risiken sich daraus für die Börsen ergeben, hier nochmals die wichtigsten Eckpunkte der Fed-Strategie für den Ausstieg, wie sie seit Juni von Ben Bernanke mehrfach dargelegt wurden:
- Die Fed will den Ausstieg.
- Sie hat aber dafür keinen festen Zeitplan. (Der im Juni von Bernanke genannte Zeitrahmen – Beginn des Ausstiegs bis Ende 2013 und Abschluss der Anleihekäufe bis Mitte 2014 – war ein Beispiel, falls alle anderen Randbedingungen stimmen.)
- Die Fed wird ihre Entscheidungen von den wirtschaftlichen Rahmendaten abhängig machen, insbesondere von einer hinreichend positiven Entwicklung des Arbeitsmarkts.
- Als Kriterium dafür betrachtet die Fed eine zügige Annäherung der Arbeitslosenquote an den von ihr genannten Richtwert von 6,5 % (aktuell: 7,3 %).
- Diese Marke, ebenso wie alle anderen genannten Eckwerte bewirken keinen Automatismus – weder bei der Reduzierung der Anleihekaufprogramme noch bei der späteren Erhöhung der Leitzinsen.
Insbesondere der letzte Punkt ist überaus wichtig, denn damit hält sich die Fed quasi alle Optionen offen. Und auch im gestrigen Statement sowie bei Bernankes Äußerungen vor der Presse wurde dieser Aspekt immer wieder besonders bekräftigt. Damit wird er zum Schlüssel für das Verständnis des weiteren Vorgehens der Fed. Wie wir hier im Steffens Daily schon mehrfach betonten: Man muss der Fed nur zuhören, um zu wissen, was sie tun oder lassen wird!
So sieht die weitere Fed-Strategie aus
Unter Berücksichtigung des alles entscheidenden fünften Punktes und der gestrigen Erklärungen seitens der Fed halten wir daher die folgende Vorgehensweise für wahrscheinlich:
- Die Fed erwartet nun ein etwas schwächeres Wachstum in den USA als noch im Juni (siehe oben). Das gilt insbesondere auch für 2014. (Die Abwärtskorrektur der Prognosen für 2014 fiel stärker aus als für 2013.)
- Die Fed will aber den Ausstieg erst dann beginnen, wenn sie klare Signale eines stabilen Wachstums sieht. Die Abwärtskorrektur der Prognosen sowie der nun verschobene Ausstieg zeigen deutlich, dass die Fed bis Ende 2013 nicht mehr mit einer derartigen Konjunkturerholung rechnet.
- Daraus folgt, dass die Fed höchstwahrscheinlich auch nicht mehr in diesem Jahr mit dem Ausstieg beginnen wird (es sei denn, dass sich die Wirtschaftsdaten in den verbleibenden Wochen bis zum Jahresende unerwartet schnell und stark verbessern). Mit dieser Einschätzung stehen wir erneut klar im Gegensatz zu den meisten Analysten und Ökonomen, die nun mit einem Beginn des Ausstiegs im Oktober rechnen! Allerdings ist unsere Schlussfolgerung die einzige logische Konsequenz aus den Fed-Verlautbarungen.
Es bleiben damit zwei wichtige Fragen: Erstens: Wie will die Fed die Märkte im Zaum halten, wenn sie letztlich doch den Ausstieg beginnt? Und zweitens: Was machen bis dahin die Börsen, insbesondere die Aktienmärkte?
Zur ersten Frage: Mit ihrer Strategie, auf eine wirtschaftliche Besserung zu warten, umgeht die Fed automatisch das Problem einer womöglich überzogenen Marktreaktion. Wenn nämlich ein deutlicher Aufschwung erkennbar ist, werden die Märkte die Liquidität der Fed auch nicht mehr benötigen. Und den daraus resultierenden Renditeanstieg an den Anleihe- und Hypothekenmärkten kann die Wirtschaft – im Gegensatz zur aktuell immer noch angespannten Konjunkturlage – dann ebenfalls problemlos wegstecken.
Auch aus diesem Grund ist nun also eine längere Beibehaltung der Anleihekaufprogramme unabdingbar. Denn bis Oktober wird sich die Wirtschaft noch nicht genug erholt haben, um die Märkte von einer Überreaktion abzuhalten und einen weiteren Zinsanstieg ohne Blessuren zu überstehen. Wenn die Fed tatsächlich im Oktober mit dem Ausstieg beginnt, stünde sie schnell vor dem gleichen Dilemma wie nach ihrer Ankündigung im Juni. Was machen jetzt die Märkte?
Die zweite Frage nach der weiteren Richtung der Märkte ist schwieriger zu beantworten. Natürlich feiern die Anleger nun erst einmal ihren vermeintlichen „Sieg“ über die Fed. Kurzfristig sind also durchaus weitere Kursanstiege zu erwarten, zumal die großen Indizes nun auf neue Allzeithochs ausgebrochen sind.
Die fundamentalen Probleme einer anhaltend schwächelnden US-Konjunktur bleiben jedoch bestehen. Sie haben sich sogar eher noch verschärft. Denn mit den jetzt reduzierten Prognosen der Fed haben es die Investoren nun faktisch schriftlich, dass die bislang erwartete Konjunkturbelebung für 2013, aber womöglich auch für 2014, eine Fata Morgana war.
Das passt auch zu den schwachen Ausblicken, welche die Unternehmen bei der Vorlage ihrer Zahlen zum zweiten Quartal gaben. Unbefriedigende Konjunkturaussichten und verhaltene Unternehmensprognosen sind aber ganz und gar nicht der Stoff, der weitere Aktienkursgewinne erwarten lässt!
Ende der Rally oder gefährliche Übertreibung
Wir rechnen daher damit, dass die Rally bald wieder ausläuft. Die Anleger werden sich dann auf die Berichtssaison zum dritten Quartal konzentrieren (ab Anfang Oktober). Werden dabei die schwachen Ergebnisse des zweiten Quartals bestätigt und bleiben insbesondere die Ausblicke weiter zurückhaltend, dann dürften die Börsianer sehr schnell die aufgelaufenen Gewinne mitnehmen. Danach könnte dann eine zähe Seitwärtsbewegung folgen, während der die Anleger auf die Konjunkturerholung warten. Das ist unser Basisszenario, bei dem die Investoren die Fed-Politik verstehen und rational umsetzen.
Die Alternative dazu ist eine überschwängliche Hausse. Dabei würden allerdings die Anleger die fundamentalen Belastungen völlig ignorieren, was zu einer drastischen Überbewertung von Aktien führt.
Dementsprechend hoch wäre später das Crash-Potenzial. Wie immer bei derartigen Übertreibungen lässt sich dann jedoch kaum abschätzen, bis zu welchen Kursniveaus diese geht und wie lange sie anhält. Klar ist nur, dass der folgende Absturz tief und schmerzhaft sein würde.
Hoffen wir also, dass die Anleger die Fed diesmal verstehen...
Jochen Steffens
Stockstreet GmbH