Frankfurt (Reuters) - Politiker und Banker in Deutschland stellen sich wegen des Brexit-Votums auf den Zuzug von Unternehmen aus Großbritannien ein.
Das Bundesfinanzministerium bekommt nach eigenen Angaben vermehrt Anfragen von Firmen, die ihren Sitz oder Geschäft verlagern wollen. "Wir sind sehr sehr offen für solche Gespräche", betonte Finanzstaatssekretär Thomas Steffen am Montag bei einer Bankenkonferenz in Frankfurt. Bei vielen Unternehmen würden die Umzugspläne konkreter. "Wir gehen alle davon aus, dass wir im Frühjahr 2017 vermehrt konkrete Entscheidungen sehen werden." Aus Sicht von Bankern hat die Mainmetropole im Wettbewerb mit anderen europäischen Städten wie Dublin und Paris gute Karten. "Ich glaube, dass Frankfurt von den Standorten derjenige ist, der klar am besten positioniert ist", sagte Deutsche-Bank-Finanzchef Marcus Schenck.
Für Frankfurt spricht aus Sicht von Experten vor allem, dass Deutschland die größte Volkswirtschaft Europa ist und dass am Main bereits die europäische Banken- und Versicherungsaufsicht beheimatet sind. Wenn Frankfurt Banken und Arbeitsplätze aus London anlocken wolle, müsse die Stadt allerdings noch etwas mehr tun, sagte Schenck. Hilfreich wären aus seiner Sicht beispielsweise flexiblere Regeln im deutschen Arbeitsrecht, das viele britische Banken abschreckt. "Darüber wird man sich Gedanken machen müssen." Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer hat angeregt, den Kündigungsschutz für Banker zu lockern, die mehr als 300.000 Euro im Jahr verdienen.
"LIEBE AUF DEN ZWEITEN BLICK"
Die deutsche Finanzaufsicht BaFin arbeite bereits intensiv daran, "englischsprachige Kunden noch besser bedienen zu können", sagte Staatssekretär Steffen. Er sprach sich auch dafür aus, die bisher in London beheimatete EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA in Frankfurt anzusiedeln. Da die Mainmetropole international nicht als sonderlich attraktiv gilt, müsse die Stadt jedoch noch Überzeugungsarbeit leisten, forderte Steffen. "Frankfurt ist eine Liebe auf den zweiten Blick."
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier ist diese Woche in New York, um bei US-Großbanken für den Finanzplatz Frankfurt zu werben. Einige Banken und Finanzdienstleister müssten London verlassen, wenn Großbritannien nach dem Brexit keinen uneingeschränkten Zugang mehr zum EU- Binnenmarkt habe, hatte Bouffier vor dem Beginn seiner Reise erklärt. "Zahlreiche Unternehmen beschäftigen sich schon sehr konkret damit." Finanzkreisen zufolge erwägt unter anderem die Investmentbank Goldman Sachs (NYSE:GS), Geschäfte nach Frankfurt zu verlegen und sich von der EZB beaufsichtigen zu lassen.
Deutsche-Bank-Vorstand Schenck warnte jedoch vor zu viel Euphorie. "Der Mikrokosmos London ist über drei, vier Dekaden entstanden. Es wäre naiv zu glauben, dass man den morgen irgendwo nach Kontinentaleuropa verpflanzt." London werde wohl auch nach dem Brexit der größte Umschlagplatz für Kapital welweit bleiben, sagte Deutsche-Börse-Vorstandschef Carsten Kengeter. "Und wenn er es nicht bleibt, dann wird es wieder New York." Es sei im Interesse Frankfurts, dass London die Nase vorne behalte - und dass es eine enge Verbindung mit Frankfurt gebe. Die Deutsche Börse ist gerade dabei, mit der London Stock Exchange (LON:LSE) zu fusionieren.