Berlin, 21. Apr (Reuters) - Aus der Wirtschaft kommt scharfe Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz. "Die Corona-Notbremse geht in wesentlichen Bereichen am Ziel vorbei", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth, am Mittwoch. "Eine Schließung der Geschäfte bringt uns im Kampf gegen die Pandemie nicht weiter, damit bleibt es weiterhin bei Symbolpolitik." Der Bundestag hatte zuvor dem Gesetz zugestimmt, das nun noch im Bundesrat verabschiedet werden muss. Es sieht beispielsweise vor, dass der Einzelhandel bis zu einer Inzidenz von 150 mit dem "Click & Meet"-Verfahren und einer Testpflicht geöffnet bleiben darf.
Der Deutsche Tourismusverband meldete verfassungsrechtliche Bedenken an. "Das undifferenzierte touristische Beherbergungsverbot im Infektionsschutzgesetz ist nicht verhältnismäßig", sagte Geschäftsführer Norbert Kunz. "Es formuliert im Rahmen der Pandemiebekämpfung einen Generalverdacht gegenüber touristischen Übernachtungen, ohne weitere, nachvollziehbare Begründungen zu liefern."
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga kritisierte, dass keine Entschädigungs- oder Kompensationsregelung für die Unternehmen verankert worden sei, deren Geschäftsbetrieb untersagt wird, während die übrige Wirtschaft weiterlaufe. "Wenn dem Gastgewerbe ein Sonderopfer abverlangt wird, damit andere Wirtschaftszweige geöffnet bleiben können, müssen die finanziellen Ausfälle entschädigt werden – und zwar zeitnah, unbürokratisch und voll umfänglich", forderte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges.
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sieht in dem Gesetz einen Schritt in die richtige Richtung. "Schädlich für die Wirtschaft ist zurzeit vor allem dieser lange Halb-Lockdown und die damit verbundene Unsicherheit", sagte der Wissenschaftliche Direktor Sebastian Dullien. "Das Infektionsschutzgesetz trägt dazu bei, dass die Lage klarer wird. Von ihm geht das Signal aus, dass die Politik die Inzidenzen drücken will." Das sei sinnvoll und wichtig und schaffe eine größere Verlässlichkeit.
"Für die Dienstleistungen geht damit das Ab und Auf der vergangenen Monate weiter", erwartet der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claus Michelsen. "Die Erholung wird damit weiter nach hinten geschoben, bis die Impfkampagne ihre Erfolge zeigt. Für die Wirtschaft sind dies keine guten Nachrichten." Eine deutlichere Reduktion der Fallzahlen und danach eine kontrollierte Öffnung mit vielen systematischen Tests und entsprechend guter Nachverfolgung des Infektionsgeschehens wäre die wirtschaftlich bessere Alternative gewesen, als jetzt wieder in einen weitreichenden Lockdown zurückzukehren.
Einen Konjunktureinbruch erwarten die Experten aber nicht. "Die Industrie und das gute Geschäft nach Übersee und nach Fernost bleiben nach wie vor die Zugpferde der Konjunktur und dürften einen drastischen Einbruch der Wirtschaft wie vor einem Jahr noch verhindern", sagte Michelsen. Das sieht das IMK ähnlich. "Im Frühjahr werden wir aber schon wieder ein kräftiges Wachstum sehen", sagte Dulien. "Im Gesamtjahr halten wir einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von mehr als vier Prozent für möglich. Die Industrie läuft bereits super." Wenn dann tatsächlich gelockert werden könne, kämen Handel und Dienstleister dazu.