- von Andreas Rinke und Jörn Poltz
München (Reuters) - Die EU soll sich für eine stärkere Rolle in der Welt wappnen. Das haben EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Außenminister Sigmar Gabriel und der französische Ministerpräsident Eduard Philippe am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert.
"Europa war bisher nicht weltpolitik-fähig", sagte Juncker. Dies müsse sich ändern. "Europa braucht auch eine gemeinsame Machtprojektion in der Welt", betonte Gabriel. Allerdings zeigten sich erhebliche Differenzen über die nötigen Reformen: Während Gabriel an der Selbstverpflichtung der Nato-Staaten zweifelte, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Sicherheit auszugeben und die Bedeutung zivile Ausgaben betonte, forderten die Regierungschefs von Frankreich und Polen ausdrücklich größere Rüstungsanstrengungen der EU-Partner ein.
GEGENMODELL ZU CHINAS SEIDENSTRASSE GEFORDERT
Der neue Anspruch an Europa prägte den zweiten Tag der Sicherheitskonferenz mit Dutzenden Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsministern. Zahlreiche Redner warnten, dass die EU ohne ein selbstbewussteres gemeinsames Auftreten immer weiter gegenüber China und den USA zurückzufallen drohe. Immer wieder wurde zudem auf eine gesunkene Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump verwiesen. "In der Welt des 21. Jahrhunderts kann Frieden in Europa nur durch gemeinsames Engagement für Frieden, Sicherheit, Stabilität nach außen gewonnen werden", warnte Gabriel. Anderenfalls drohe den Europäern im Wettbewerb vor allem mit China das gleiche Schicksal wie diesem Reich seit dem Beginn des Zeitalters der europäischen Entdeckungsreisen im 15. Jahrhundert. Damals sei eine Vorentscheidung über die nächsten Jahrhunderte gefallen.[nL8N1Q707V]
Gabriel wie auch Juncker und Philippe forderten eine europäische Antwort auf das chinesische Seidenstraßenkonzept, mit dem die Regierung in Peking Handelsrouten bis nach Europa und Afrika organisieren will. "Europa kann China nicht das gigantische Projekt der neuen Seidenstraße überlassen", warnte der französische Ministerpräsident. "Je nachdem, welche Regeln für dieses Vorhaben gelten, wird es ein Projekt der Zusammenarbeit oder der Herrschaft sein." Das Seidenstraßen-Konzept stehe "für den Versuch eines umfassenden Systems zur Prägung der Welt in Chinas Sinne", sagte auch Gabriel.
STREIT UM RÜSTUNGSAUSGABEN
Sowohl Philippe als auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mahnten verstärkte Verteidigungsausgaben der Europäer an. Morawiecki forderte von Ländern wie Deutschland eine klare Aussage, wie sie die Nato-Selbstverpflichtung zur Erhöhung der Militärausgaben erfüllen wollen. Ein solcher Zielkorridor sei wichtig, "damit die Trittbrettfahrer keine Chance mehr haben, sich auf die Pax Americana zu berufen", sagte er. Die Nato-Staaten haben vereinbart, die Verteidigungsausgaben bis 2024 Richtung zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu bringen. "Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger Denkfabriken. Von denen haben wir genug", sagte der polnische Politiker.
Frankreich will nach Angaben von Philippe sowohl seine Verteidigungs- als auch seine Entwicklungshilfeausgaben erheblich erhöhen. Es sei entschieden worden, gesetzlich festzulegen, die Verteidigungsausgaben bis 2025 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern. "Das ist besonders bedeutend, weil es im Umfeld starker öffentlicher Begrenzungen passiert", fügte der Regierungschef mit Blick auf den Haushalt und die Pläne hinzu, das französische Haushaltsdefizit unter drei Prozent zu drücken. Die Entwicklungshilfe soll bis 2022 auf 0,55 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen.
Beide Politiker vermieden direkte Kritik an Deutschland, dessen Verteidigungsausgaben bei rund 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Gabriel hatte sich zuvor von dem Nato-Ziel distanziert. Wenn etwa Deutschland tatsächlich jedes Jahr 70 Milliarden Euro für das Militär ausgäbe, wäre er nicht sicher, ob alle Nachbarn dies nach zehn Jahren noch gut fänden.
USA UND GROSSBRITANNIEN IM WINDSCHATTEN
Anders als in früheren Jahren spielte ein transatlantischer Schlagabtausch diesmal in München keine dominierende Rolle. US-Verteidigungsminister Jim Mattis verzichtete sogar auf eine Rede. Die britische Premierministerin Theresa May wiederum unterstrich den Wunsch ihres Landes, auch nach dem Brexit im kommenden Jahr eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der EU zu suchen. Sie forderte den möglichst schnellen Abschluss eines Sicherheitsabkommens mit der EU und bot an, dass Großbritannien sich an einigen EU-Programme auch nach dem Austritt aus der Union beteiligen könnte. Frankreichs Ministerpräsident sagte, dass man die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Großbritannien nach dem Brexit eher noch verstärken müsse.