HANNOVER (dpa-AFX) - Der erste große Tarifabschluss des Jahres ist unter Dach und Fach: Die rund 550 000 Beschäftigten in der Chemie-Industrie erhalten 3,7 Prozent mehr Geld. Die Laufzeit des Kompromisses beträgt insgesamt 14 Monate und beinhaltet am Anfang einen sogenannten Leermonat, also eine Wartezeit ohne Erhöhung. Erst danach greifen die 3,7 Prozent Einkommensverbesserung. Das teilten die Gewerkschaft IG BCE und der Arbeitgeberverband BAVC am Mittwoch nach dem Ende ihrer bundesweiten Verhandlungen in Hannover mit.
Für Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gibt es bei der Lohnzahl ein Hintertürchen: Sie können laut BAVC die Tariferhöhung um bis zu zwei Monate nach hinten verschieben, 'wenn die wirtschaftliche Lage dies erfordert'. Die IG BCE sprach von 'gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten', die vorliegen müssten, damit ein Unternehmen ausscheren dürfe.
Die mögliche Verschiebung der Tariferhöhung um zwei Monate ist den Arbeitgebern zufolge klar an das Kriterium gebunden, dass sich das Unternehmen in der Verlustzone befinden müsse. Das sei bei einer Umfrage kurz vor der Tarifrunde bei etwa jedem zehnten der bundesweit rund 1900 Mitgliedsunternehmen der Fall gewesen.
Bereinigt um die Laufzeit dürfte der Abschluss in etwa auf dem Niveau der vorhergehenden Einigung liegen. Im Sommer 2012 hatten die Tarifparteien zwar Erhöhungen um 4,5 Prozent vereinbart - allerdings mit einer deutlich längeren Laufzeit von 19 Monaten. Die mittelfristige reale Belastung der Unternehmen liegt ohne Berücksichtigung der flexiblen Elemente bei etwa 3,2 Prozent pro Jahr.
'Wir haben einen Abschluss mit einer kurzen Laufzeit mit deutlich über drei Prozent', erklärte Reinhard Bispinck vom WSI-Tarifarchiv der gewerkschaftlichen Boeckler-Stiftung. 'Das ist eine erkennbar kräftige Tarifsteigerung.' Da die Erhöhung relativ früh im Jahr kommt, sei für 2014 mit einem jahresbezogenen Zuwachs in ähnlicher Höhe zu rechnen. 'Das bedeutet für die Beschäftigten bei einer Inflation von um die 1,4 Prozent deutliche reale Steigerungen ihrer Tarifgehälter.'
Der Chemie-Abschluss setzt eine zentrale Marke für das Tarifjahr 2014, zumal die wichtigste Industriebranche Metall und Elektro mit 3,7 Millionen Beschäftigten erst zum Jahreswechsel 2014/2015 wieder in ihre Verhandlungen einsteigt. Es folgen im Laufe des Jahres nur schwer vergleichbare Branchen wie der Öffentliche Dienst von Bund und Gemeinden, das Bauhauptgewerbe sowie die Eisen- und Stahlindustrie. Auch bei großen Unternehmen wie der Deutschen Bahn AG und der Deutschen Telekom AG werden die Tarife in diesem Jahr neu verhandelt.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer nannte den Abschluss vertretbar. 'Der Tarifabschluss beteiligt die Beschäftigten fair am wirtschaftlichen Erfolg der Branche.' Die flexiblen Elemente ermöglichten 'auch schwächeren Unternehmen, den Abschluss leichter zu verkraften.'
BAVC-Präsidentin Margret Suckale ließ erklären: 'Mit dem Abschluss beteiligen wir die Beschäftigten angemessen am Erfolg unserer Branche.' Die Erhöhung um 3,7 Prozent auf 14 Monate liegt wegen des Nullmonats und der über ein Jahr hinausreichenden Zeitspanne rechnerisch klar unter einem Plus von 3,7 Prozent für 12 Monate. Die IG BCE war ursprünglich mit der Forderung nach 5,5 Prozent mehr Geld für genau ein Jahr in die Verhandlungen gegangen.
IG-BCE-Verhandlungsführer Peter Hausmann sprach dennoch von einem angemessenen und tragfähigen Kompromiss. 'Wir haben eine spürbare Erhöhung der Entgelte erreicht. Zudem ist es gelungen, die Ausbildungs- und Übernahmeperspektiven der jungen Leute zu verbessern.' Wie beide Seiten erklärten, werden in den Jahren 2014 bis 2016 jeweils 9200 neue Ausbildungsplätze gewährleistet. In den Vorjahren seien es jeweils 9000 gewesen, es folgt also mehr Schub.
Die beiden Tarifparteien hatten auch um das Thema Azubi-Übernahme gestritten. Fest steht nun, dass für übernommenen Lehrlinge die unbefristete Einstellung zum Normalfall werden soll. Paritätische Kommissionen sollen dies überprüfen. Hausmann sagte dazu: 'Die Ära der Befristungen geht zu Ende, wir haben eine Trendwende eingeleitet.' Auch die Arbeitgeber werteten den Übernahmekompromiss als Erfolg. 'Die Entscheidung zur Übernahme bleibt weiterhin in der Verantwortung der Unternehmen', schrieb der BAVC. Man haben einen 'Übernahmezwang' verhindert, der die eigenständige Verantwortung der Unternehmen laut BAVC-Lesart über Gebühr beschnitten hätte.