Von Geoffrey Smith
Investing.com -- Der britische Zentralbankgouverneur Andrew Bailey hat am Mittwoch die künftige Premierministerin Liz Truss vor einer Beendigung der Unabhängigkeit der Zentralbank gewarnt. Die gegenwärtig hohe Teuerung sei kein Beleg dafür, dass die Bank in ihrer Funktionsweise versagt habe, sagte er.
Truss, die Anfang der Woche als britische Premierministerin bestätigt wurde, nachdem sie die Wahl zur Vorsitzenden der Konservativen Partei gewonnen hatte, hatte während ihres Wahlkampfes vorgeschlagen, die britische Zentralbank stärker unter die Kontrolle der Regierung zu stellen. Ihr zufolge hatte die enorme Geldschöpfung der BoE in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Inflation aus dem Ruder gelaufen ist.
In Kürze will sie eine Überprüfung der Zuständigkeiten der Zentralbank in Angriff nehmen. Dies birgt nach Ansicht von Ökonomen die Gefahr, dass die Festlegung der Leitzinsen politisiert wird, wie es in den 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.
Bailey sagte, er werde sich einer Überprüfung des Mandats nicht in den Weg stellen und wies darauf hin, dass solche Überprüfungen auf der ganzen Welt üblich seien. In seiner Aussage vor dem Treasury Select Committee wies er die Kritik von Truss jedoch entschieden zurück und erklärte, dass externe Faktoren - insbesondere die Rolle der Energiepreise - dafür verantwortlich seien.
"Ich glaube nicht, dass man die Geldmenge als direkten Indikator für die Inflation heranziehen kann", sagte Bailey und erklärte, dass die Beziehung zwischen den beiden Größen in den letzten Jahren zu häufig nicht gegeben war, als dass man sie als zuverlässig ansehen könnte.
"Es ist der mit Abstand größte Schock", so Bailey, den die Bank in den 25 Jahren seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Zentralbank über die Geldpolitik unter der Regierung von Tony Blair erlebt hat. "Aber das bedeutet nicht, dass das System gescheitert ist. Vielmehr muss die Bank jetzt ihre Hausaufgaben machen, um mit diesem Schock fertig zu werden."
Mit 10,1 % ist die Jahresteuerung im Vereinigten Königreich so hoch wie seit über 40 Jahren nicht mehr und liegt mehr als fünfmal so hoch wie die Zielvorgabe der Bank von 2 %. Für die kommenden Monate prognostiziert die BoE einen Anstieg der Inflation auf über 13 %. Grund hierfür sind die verzögerten Auswirkungen der Turbulenzen auf den Energiemärkten, die sich allmählich auf die Gesamtwirtschaft auswirken.
Zu dieser Entwicklung trug unter anderem die Schwäche des Pfund Sterling bei, das sich auf dem niedrigsten Stand der letzten fünf Jahrzehnte befindet. Der Wechselkurs verlor am Mittwoch erneut an Wert und notierte zuletzt bei etwa 1,1480 Dollar.
Bailey argumentierte, dass ein Großteil der Talfahrt des Pfund Sterling "eine Dollar-Story" sei. Immerhin habe die US-Notenbank die Zinssätze viel stärker anheben können, ohne dabei den gleichen Druck durch die Energiepreise zu verspüren, der dem Vereinigten Königreich und der Eurozone schade.
"Die USA arbeiten nicht mit den gleichen Trade-offs bei Inflation und Aktivität", sagte Bailey.
Er räumte jedoch auch ein, dass Großbritannien mit anderen, längerfristigen Problemen konfrontiert sei und verwies vor allem auf das geringe Produktivitätswachstum über einen Zeitraum von "mindestens 15 Jahren".