FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 31. Mai 2013 MÜNCHEN (Baader Bank). Es ist soweit: Austerität ist offiziell zum Unwort der EU erklärt worden. In Brüssel hat man bemerkt, dass Sparen die Verschuldung in den Euro-Ländern nicht senkt, sondern steigen lässt, weil das Wachstum abgewürgt wird. Man hätte schon früher darauf kommen können, weiß doch eigentlich jeder, dass Pflanzen nicht wachsen, wenn sie nicht bewässert werden und der Dünger durch Unkraut-Ex ersetzt wird. Aber auch ein Blick in die Geschichtsbücher hätte genügt, um festzustellen, dass das Kaputtsparen von Hungerkanzler Brüning die deutsche Volkswirtschaft ab 1929 ruinierte.
So werden Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich die Entzugsklinik verlassen und die Schenke 'Zum fröhlichen Schuldner' wieder zur Stammkneipe machen. Allerdings hat die Sache zwei Haken. Zunächst ist historisch belegbar, dass ein Pfund, ein Dollar, ein Yen, eine Schwedenkrone, eine DM oder auch ein Euro neue Staatsschulden - im Gegensatz zu Privatinvestitionen - die Wirtschaft nur in Pennies, US-Cents, Sens, Ören, Pfennigen oder Euro-Cents wachsen lässt. Außerdem werden sich zum Schluss über die Bedienung der Staatsschulden wie immer nur die Fixkosten der Volkswirtschaft - wie bei einer Mietpreissteigerung - erhöht haben.
Dennoch wird die Brüsseler Gesundbetungsmaschinerie alles daran setzen, um diesen Rückfall in die Klamottenkiste der Verschuldung in das richtige Licht zu rücken. Warum Skrupel haben? Schließlich sollen doch nur 'gute' Schulden gemacht werden, sollen doch lediglich Strukturreformen auf Pump finanziert werden. Und die düngen dann den Boden, die Infrastruktur für zukünftig ordentliches Wachstum.
Tatsächlich stellen sich bei ernst gemeinten Reformen Wachstumserfolge ein. Leider brauchen sie viel Zeit, bis sie wirken. Und bevor sie die Wirtschaft heilen, tun sie zunächst weh. Die deutsche Agenda 2010 hat nicht über Nacht Wirkung gezeigt, aber der damaligen Regierung in der Zwischenzeit viel Ärger und sogar die Abwahl eingebracht. Auch in den anderen Euro-Ländern wollen die Menschen keine Reformschmerzen erleiden. So hat sich bei den italienischen Wahllokalen eindeutig gezeigt, was man dort von Reformatoren wie Mario Monti hält: Nichts! Welcher Politiker wird nach diesen Erfahrungen ein weiteres Mal an die heiße Herdplatte fassen? Wenn aber der Reform-Geist nicht einmal willig ist, wie will dann erst das Reform-Fleisch seine Schwäche ablegen. Und welchen Sinn machen dann schuldenfinanzierte Reformprojekte außer Zeitgewinn?
Neue Arbeitsplätze für Euro-Kraten
Überhaupt, wäre da nicht eine weitere, Brüssel untergeordnete, den Euro-Ländern übergeordnete Expertenkommission angebracht, die kontrolliert, ob gute Schulden für Investitionen oder schlechte zur Aufrechterhaltung der Mangelwirtschaft gemacht werden? Immerhin hätte diese Kommission den angenehmen Nebeneffekt, den auf nationaler Ebene in Ungnade gefallenen Politikern eine zweite, wahrscheinlich besser bezahlte Ersatzbeschäftigung zu bieten. Für Schuldensünder müssten sie zudem Sanktionen aussprechen. Glauben Sie, dass sich Euro-systemrelevante Länder wie La Grande Nation das gefallen lassen werden? Eher treten Frösche freiwillig zum Trockenlegen ihrer Sümpfe an. Greift man dann zum äußersten Mittel und verweigert den Regierungschefs schuldensündiger Länder beim nächsten EU-Gipfel den Nachtisch?
Etikettenschwindel als Lösung der Euro-Schuldenkrise
Grundsätzlich ist es eine ausgemachte Frechheit, wie der euroländischen Bevölkerung die Wiedergeburt der Schuldenpolitik und das Umschiffen der Schuldenregeln verkauft werden soll: Auf Pump finanzierte öffentliche Strukturmaßnahmen sollen zukünftig nicht mehr als Schulden - dann gehen sie auch nicht mehr in die Defizitberechnung ein - sondern als Investitionen definiert werden. Wunderbar, dann kann demnächst auch jeder Landwirt seine Nebelfelder als Bauerwartungsland deklarieren und sich jede Knackwurstbude Feinschmeckerlokal nennen.
Was würden Sie als Finanzminister tun? Also ich würde zukünftig kräftig neue Schulden machen, diese als Investitionen erklären und dennoch mühelos das Maastricht-Defizitkriterium schaffen. Halleluja!
Wie tief ist die einst als stolze Stabilitätsunion gestartete EU gesunken, dass kreative Buchführung hoffähig wird, um Schulden zu verstecken? Wer hat Europa kürzlich als 'Sanierungsfall' beschrieben, das 'Gutmenschentum' zelebriert und gesagt, dass 'viele in Europa noch immer glauben, alles werde gut'? Es war nicht irgendwer, es war Herr Oettinger, einer der EU-Kommissare. Eigentlich sind sie im Fell gefärbte Euro-Enthusiasten. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Auf den Mikrokosmos kommt es an
Aus Euroland flüchten brauchen wir dennoch nicht, zumal ja auch anderenorts der Stabilitätsansatz das Schicksal der Dinosaurier teilt. Machen wir aus dem negativen Makrokosmos das Beste für unseren Mikrokosmos. Immerhin hat die euroländische Verständnis-Politik positive Nebenwirkungen für unsere Finanzmärkte: Die Heiligsprechung neuer, konjunkturstützender Schulden, die durch viel und billiges Geld der EZB die Absolution erhalten, sind ein festes Glaubensbekenntnis für Aktien.
In Zeiten wie diesen muss man auch für die kleinen Kartoffeln dankbar sein. Die sollen ja am besten schmecken.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
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© 31. Mai 2013/Baader Bank AG
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
So werden Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich die Entzugsklinik verlassen und die Schenke 'Zum fröhlichen Schuldner' wieder zur Stammkneipe machen. Allerdings hat die Sache zwei Haken. Zunächst ist historisch belegbar, dass ein Pfund, ein Dollar, ein Yen, eine Schwedenkrone, eine DM oder auch ein Euro neue Staatsschulden - im Gegensatz zu Privatinvestitionen - die Wirtschaft nur in Pennies, US-Cents, Sens, Ören, Pfennigen oder Euro-Cents wachsen lässt. Außerdem werden sich zum Schluss über die Bedienung der Staatsschulden wie immer nur die Fixkosten der Volkswirtschaft - wie bei einer Mietpreissteigerung - erhöht haben.
Dennoch wird die Brüsseler Gesundbetungsmaschinerie alles daran setzen, um diesen Rückfall in die Klamottenkiste der Verschuldung in das richtige Licht zu rücken. Warum Skrupel haben? Schließlich sollen doch nur 'gute' Schulden gemacht werden, sollen doch lediglich Strukturreformen auf Pump finanziert werden. Und die düngen dann den Boden, die Infrastruktur für zukünftig ordentliches Wachstum.
Tatsächlich stellen sich bei ernst gemeinten Reformen Wachstumserfolge ein. Leider brauchen sie viel Zeit, bis sie wirken. Und bevor sie die Wirtschaft heilen, tun sie zunächst weh. Die deutsche Agenda 2010 hat nicht über Nacht Wirkung gezeigt, aber der damaligen Regierung in der Zwischenzeit viel Ärger und sogar die Abwahl eingebracht. Auch in den anderen Euro-Ländern wollen die Menschen keine Reformschmerzen erleiden. So hat sich bei den italienischen Wahllokalen eindeutig gezeigt, was man dort von Reformatoren wie Mario Monti hält: Nichts! Welcher Politiker wird nach diesen Erfahrungen ein weiteres Mal an die heiße Herdplatte fassen? Wenn aber der Reform-Geist nicht einmal willig ist, wie will dann erst das Reform-Fleisch seine Schwäche ablegen. Und welchen Sinn machen dann schuldenfinanzierte Reformprojekte außer Zeitgewinn?
Neue Arbeitsplätze für Euro-Kraten
Überhaupt, wäre da nicht eine weitere, Brüssel untergeordnete, den Euro-Ländern übergeordnete Expertenkommission angebracht, die kontrolliert, ob gute Schulden für Investitionen oder schlechte zur Aufrechterhaltung der Mangelwirtschaft gemacht werden? Immerhin hätte diese Kommission den angenehmen Nebeneffekt, den auf nationaler Ebene in Ungnade gefallenen Politikern eine zweite, wahrscheinlich besser bezahlte Ersatzbeschäftigung zu bieten. Für Schuldensünder müssten sie zudem Sanktionen aussprechen. Glauben Sie, dass sich Euro-systemrelevante Länder wie La Grande Nation das gefallen lassen werden? Eher treten Frösche freiwillig zum Trockenlegen ihrer Sümpfe an. Greift man dann zum äußersten Mittel und verweigert den Regierungschefs schuldensündiger Länder beim nächsten EU-Gipfel den Nachtisch?
Etikettenschwindel als Lösung der Euro-Schuldenkrise
Grundsätzlich ist es eine ausgemachte Frechheit, wie der euroländischen Bevölkerung die Wiedergeburt der Schuldenpolitik und das Umschiffen der Schuldenregeln verkauft werden soll: Auf Pump finanzierte öffentliche Strukturmaßnahmen sollen zukünftig nicht mehr als Schulden - dann gehen sie auch nicht mehr in die Defizitberechnung ein - sondern als Investitionen definiert werden. Wunderbar, dann kann demnächst auch jeder Landwirt seine Nebelfelder als Bauerwartungsland deklarieren und sich jede Knackwurstbude Feinschmeckerlokal nennen.
Was würden Sie als Finanzminister tun? Also ich würde zukünftig kräftig neue Schulden machen, diese als Investitionen erklären und dennoch mühelos das Maastricht-Defizitkriterium schaffen. Halleluja!
Wie tief ist die einst als stolze Stabilitätsunion gestartete EU gesunken, dass kreative Buchführung hoffähig wird, um Schulden zu verstecken? Wer hat Europa kürzlich als 'Sanierungsfall' beschrieben, das 'Gutmenschentum' zelebriert und gesagt, dass 'viele in Europa noch immer glauben, alles werde gut'? Es war nicht irgendwer, es war Herr Oettinger, einer der EU-Kommissare. Eigentlich sind sie im Fell gefärbte Euro-Enthusiasten. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Auf den Mikrokosmos kommt es an
Aus Euroland flüchten brauchen wir dennoch nicht, zumal ja auch anderenorts der Stabilitätsansatz das Schicksal der Dinosaurier teilt. Machen wir aus dem negativen Makrokosmos das Beste für unseren Mikrokosmos. Immerhin hat die euroländische Verständnis-Politik positive Nebenwirkungen für unsere Finanzmärkte: Die Heiligsprechung neuer, konjunkturstützender Schulden, die durch viel und billiges Geld der EZB die Absolution erhalten, sind ein festes Glaubensbekenntnis für Aktien.
In Zeiten wie diesen muss man auch für die kleinen Kartoffeln dankbar sein. Die sollen ja am besten schmecken.
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