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Börse Frankfurt-News: 'Hartz IV in Italien?' (Hüfners Wochenkommentar)

Veröffentlicht am 03.05.2012, 16:33
Aktualisiert 03.05.2012, 16:36
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 3. Mai 2012. Martin Hüfner befasst sich diesmal mit den erfolgreichen Reformen Deutschlands in 2004 und ob diese Maßnahmen auch Italien aus der Misere helfen könnten.

In Deutschland war 2004 der Wendepunkt der wirt­schaftlichen Entwicklung. Bis dahin litt die Bundes­re­pub­lik unter hohen öffentlichen Defiziten, steigender Arbeits­losigkeit und unzureichendem Wachstum. Die Unter­nehmen mussten sich an die veränderten Bedin­gungen nach der Wiedervereinigung, der Euro-Einfüh­rung und der Globalisierung anpassen. Dann kam die Agenda 2010 mit einer Flexibilisierung des Arbeits­marktes und einer Begrenzung der Sozialausgaben und alles wurde anders. Das Wachstum beschleunigte sich, die Arbeits­losigkeit ging zurück. Die Aktienkurse haben sich von 2004 bis Mitte 2007 fast verdoppelt.

Entscheidend dafür waren nicht nur die direkten Effekte von Hartz IV. Wichtiger war die Signalwirkung auf die gesamte Wirtschaft. Mit einem Mal war jedem klar, dass es so, wie es war, nicht weitergehen konnte. Dazu pass­te, dass sogar der Bundeskanzler zurücktrat und Neu­wahlen nötig wurden.

Hier nun ein ketzerischer Gedanke. Könnte es sein, dass sich Ähnliches heute in Italien vollzieht? Das Land befindet sich derzeit in einer nicht viel anderen Position als damals Deutschland. Das bisherige Wachstumsmo­dell funktioniert nicht mehr. Unternehmen haben Positio­nen auf den internationalen Märkten verloren. Der nord­italienische Maschinenbau, einst eine 'Perle' und einer der Hauptkonkurrenten des Maschinenbaus in Baden-Württemberg, ist verfallen. Die öffentliche Verschuldung ist hoch. Die Arbeitslosigkeit steigt. Es gibt Rezession.

Die Grafik zeigt die Entwicklung der realen Wirtschafts­leistung in Italien und Deutschland. Bis 2006 wuchs die Wirtschaft auf dem Appenin stärker als die deutsche. Dann haben sich die Verhältnisse dramatisch umge­kehrt. In Deutschland ging es schneller bergauf, Italien fiel zurück.

Als Reaktion auf die verschlechterten Verhältnisse tut Italien im Augenblick Ähnliches wie Deutschland vor acht Jahren. Die öffentlichen Defizite werden reduziert. Mit dem Programm 'Save Italy' wird der Arbeitsmarkt flexibilisiert. Die Wettbewerbsbedingungen im Dienstleis­tungssektor werden verbessert. Die Corporate Gover­nance wird modernisiert. Sicher wird nicht alles so rea­lisiert, wie wir uns das wünschten. Aber der Push ist im­mens. Ich kenne - außer den anderen Ländern in der südeuropäischen Peripherie, die zum Teil ebenfalls 'aufräumen' - keinen Staat der Welt, der in kurzer Zeit so dramatische Reformen durchführt. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sich das nicht eines Tages in mehr Wachstum auszahlt.

Nun gibt es dagegen erhebliche Gegenargumente. Ita­lien ist nicht Deutschland. Es ist weniger diszipliniert. Es ist nicht so stabilitätsorientiert. Es brauchte in der Ver­gangenheit regelmäßig Wechselkursabwertungen. Die Regierung Monti hat kein demokratisches Mandat. Bei den nächsten Wahlen kann wieder ein Politiker wie Berlusconi an die Macht kommen und alles wäre für die Katz. Deutschland hatte Glück, dass auf Schröder Kanz­lerin Merkel folgte, die heilfroh war, dass ihr Vorgänger die unpopulären Reformen durchgesetzt hatte. Sie tat alles, um einen Rückschritt zu vermeiden.

Noch ein Problem: Es dauert lange, bis sich die Refor­men in höheren Wachstumsraten auswirken. Es könnte sein, dass der Euro inzwischen in größere Schwierig­kei­ten gerät und alle Bemühungen zunichte macht. Das

Land könnte unter den Rettungsschirm des Euros ge­zwungen werden. Es könnte sein, dass ihm dabei der Reformeifer und die Zuversicht des Erfolges genommen werden (wie das derzeit in Griechenland der Fall ist).

All diese Bedenken sind gerechtfertigt. Andererseits funktioniert Italien nach anderen Regeln. Ich habe in der Nachkriegszeit nie verstanden, warum die dortige Wirt­schaft angesichts des ordnungspolitischen Chaos schneller wuchs als Deutschland. Zudem ist Italien, wenn es wirklich darauf ankommt, zu erheblichen An­strengungen in der Lage. Als Anfang der 90er-Jahre die Maastricht-Kriterien festgelegt wurden, unternahm Rom große Anstrengungen, um diese Kriterien zu erfüllen. Die Inflation ging in den Jahren 1992 bis 1998 von 6 auf 2 Prozent zurück, die Leistungsbilanzdefizite von 34 auf 23 Milliarden USD, die öffentlichen Defizite von 10 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (wobei hier freilich auch die im Vorfeld des Euro gesunkenen Zinsen eine Rolle spiel­ten).

Der frühere deutsche Finanzminister Theo Waigel, einer der Väter des Euros, wunderte sich in den 90er-Jahren, dass die Italiener damals sogar dem Stabilitätspakt zu­stimmten. Das Argument des damaligen Ministerprä­si­denten Amato - so Waigel - war: Nur so lässt sich si­cherstellen, dass das Land die Stabilitätskriterien auch nach der Einführung des Euro einhält.

Aus meiner Sicht erscheint es durchaus möglich, dass Italien den 'großen Sprung' schafft, der Deutschland durch die Hartz-IV-Gesetze gelang. Der frühere Chef­volkswirt des IWF, Raghuram Rajan, sagte dieser Tage: 'In Europa werden gerade sehr viele Probleme ange­gangen, ... es wird mit etwas Glück der Grundstein für eine bessere Zukunft gelegt. ... Europa wird aus der Krise gestärkt hervorgehen, stärker möglicherweise als die USA.'

Für den Anleger

Die meisten denken bei Investments in den Peripherie­ländern in erster Linie an die hohen Zinsen für Staatsan­leihen. Der Schuldenschnitt in Griechenland hat gezeigt, auf welch brüchigem Terrain sich die Investoren dort be­wegen. Sie können den Versprechungen der Politiker nicht trauen und sie finanzieren die Fehler der Vergan­genheit. Mein Plädoyer: Schauen Sie auch einmal auf die Aktien in den Peripherieländern. Es gibt in diesen Staaten gute Unternehmen. Der Investor profitiert von Reformen für eine bessere Zukunft. Freilich besteht zu solchen Investments keine Eile.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 3. Mai 2012 /Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. 'Europa Die Macht von Morgen' und 'Comeback für Deutschland'

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

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