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Börse Frankfurt-News: 'Wie schlimm ist Deflation?' (Hüfners Wochenkommentar)

Veröffentlicht am 16.01.2014, 14:02

FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 16. Januar 2014. Martin Hüfner analysiert das schlechte Image der Deflation und findet weder die konjunkturellen noch geldpolitischen Argumente ausreichend. Auch für die Aktienmärkte sei sie keine zwangsläufige Bremse.

Was haben wir eigentlich gegen Deflation? In den letzten zwei Jahren hat sich die Preissteigerung im Euroraum drastisch verringert. Ende 2011 lag sie noch bei 3 Prozent, inzwischen beträgt sie nur noch 0,8 Prozent. Wenn sich dies so fortsetzt, dann wären wir am Ende des Jahres in der Tat bei sinkenden Preisen. Das klingt für viele nach etwas ganz Schlimmem.

Eigentlich ist diese Einordnung überraschend. Inflation bedeutet, dass das Geld weniger wert wird. Die Menschen werden ärmer. Es ist klar, dass das nichts Gutes ist. Bei Deflation ist es aber genau umgekehrt: Das Geld wird mehr wert. Die Menschen werden reicher. Das kann doch an sich nichts Schlechtes sein.

Negativ ist, dass man Deflation immer mit einer ungünstigen Wirtschaftsentwicklung verbindet. Wenn die Preise sinken, stellen die Unternehmen mehr Güter her als nachgefragt werden. Das ist ein Signal, dass die Produktion künftig zurückgehen sollte. Das ist freilich nicht denknotwendig. Im Augenblick zieht die Konjunktur gerade wieder an. Trotzdem verringert sich die Inflation. Auch in der Wirtschaftsgeschichte gab es Zeiten, in denen das Wachstum hoch war, und die Preise gleichwohl zurückgingen. Das war zum Beispiel in der Zeit der Industrialisierung in den USA im 19. Jahrhundert der Fall. Da steigerten die Unternehmen ihre Produktion so stark, dass die Verbraucher mit dem Konsumieren gar nicht nachkamen. Was muss das für eine schöne Zeit gewesen sein!

Was man ferner mit Deflation verbindet, ist ein kumulativer Prozess der Wirtschaft nach unten. Wenn die Konsumenten erwarten, dass die Preise sinken, dann stellen sie Käufe zurück und warten, bis sie die Güter später günstiger bekommen. Damit fehlt es an Nachfrage und die Wirtschaft bewegt sich tatsächlich nach unten (mit entsprechend weiteren Preisrückgängen).

Auch dies ist freilich nicht zwangsläufig. In der Computerbranche haben sich sinkende Preise keineswegs immer negativ ausgewirkt. Wenn ein neues iPhone auf den Markt kam, standen die Leute Schlange, um es zu kaufen, obwohl jeder wusste, dass sie die Geräte ein paar Monate später billiger bekommen. Selbst in Japan gab es keine kumulativen Prozesse.

Von Seiten der Zentralbanken wird gegen Deflation eingewandt, dass sie schwerer zu bekämpfen sind. Gegen steigende Preise kann die Geldpolitik mit Restriktionsmaßnahmen vorgehen. Bei sinkenden Preisen gilt das alte Diktum: Man kann den Pferden zwar Wasser hinstellen (= Geldpolitik lockern), man kann sie aber nicht zum Saufen zwingen.

So richtig überzeugend sind all diese Argumente gegen Deflation nicht. Wenn es nur das ist, was man dagegen vorzubringen hat, dann sollte man nicht zu viel Angst vor sinkenden Preisen haben. Es gibt freilich einen Aspekt, der aus meiner Sicht Gewicht hat. Das sind die Verteilungswirkungen der Deflation. Wenn die Preise zurückgehen, dann profitieren Gläubiger und es leiden Schuldner. Gläubiger bekommen zwar einen niedrigen Zins, ihre Forderungen werden real jedoch mehr wert. Sie können damit mehr kaufen.

Umgekehrt die Schuldner: Sie müssen die Schulden mit einem höheren Realwert zurückzahlen. In den Unternehmen verlieren die Sachgüter auf der Aktivseite an Wert, die Passiva bleiben gleich. Da entsteht dann schnell eine Unterbilanz. Firmen gehen pleite, Hausbesitzer kommen in Schwierigkeiten.

An sich müsste man angesichts dieser Situation erwarten, dass Staaten, die näher an der Deflation sind und zeitweise sinkende Preise hatten, weniger Schulden machen. Das wäre dann für die Gesamtwirtschaft ein Vorteil. Das Gegenteil ist aber leider der Fall. Japan ist nach einer Studie von McKinsey das am höchsten verschuldete Land unter den zehn größten Industriestaaten. Seine Gesamtverschuldung (privat und öffentlich) betrug 2011 insgesamt 512 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Löwenanteil entfällt dabei auf die öffentliche Hand (226 Prozent). Aber auch bei der Verschuldung von privaten Haushalten, Unternehmen und Finanzinstituten liegt Japan in der Spitzengruppe. So schrecklich stark scheint der Druck der Deflation auf die Schuldner also nicht gewesen sein.

Für den Anleger

Nach dem, was in der Öffentlichkeit über Deflation geredet wird, müsste man eigentlich erwarten, dass sie Gift für die Aktienmärkte ist. Das gilt aber allenfalls für dauerhafte Deflationen.

Sie sind in der Geschichte freilich sehr selten. Selbst Japan hatte nicht dauerhaft sinkende Preise. Bei vorübergehenden Deflationen sieht das ganz anders aus. Sie waren in der Nachkriegszeit in den USA mit starken Kursaufschwüngen verbunden. Als die Preise in den Jahren 1949/50 zurückgingen, stiegen die Aktienkurse innerhalb von zwölf Monaten um 27 Prozent. In der Deflation 1954/55 gab es sogar Kurssteigerungen um 30 Prozent. Ein ähnliches Ergebnis gab es erst vor kurzem in der Krise 2009. Da gingen die Verbraucherpreise absolut zurück und die Aktien stiegen kräftig an.

Der Grund: Die Anleger sehen die sinkenden Preise nicht als dauerhaft an. Vielmehr erwarten sie, dass die Deflation ein Vorbote des Aufschwungs nach der Krise sein könnte und damit eine bessere Zukunft signalisiere.

Aber Vorsicht: Man kann diese Erfahrungen nicht verallgemeinern. In der Deflation 1986/87 stiegen die Aktienkurse in Deutschland nicht an, sondern gingen zurück. Schuld waren damals freilich die turbulenten Devisenmärkte. Japan hatte 20 Jahre lang sinkende Kurse.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

von Martin Hüfner, Assenagon

© 16. Januar 2014

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem 'Europa - Die Macht von Morgen' (2006), 'Comeback für Deutschland' (2007), 'Achtung: Geld in Gefahr' (2008) und 'Rettet den Euro!' (2011)

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

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