PEKING (dpa-AFX) - Es ist ein Novum für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt: Erstmals kann ein größeres chinesisches Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. An diesem Freitag ist es dem Solarunternehmen Shanghai Chaori Solar Energy nicht gelungen, fällige Zinszahlungen auf eine Unternehmensanleihe zu leisten. Chaori-Vizepräsident Liu Tielong sagte in Shanghai, das Unternehmen erwäge, Solaranlagen zu verkaufen, um Geld für Zinszahlungen zu beschaffen.
Wie Chaori bereits am Mittwoch mitgeteilt hatte, geht es um Kuponzahlungen in Höhe von insgesamt 89,8 Millionen Yuan (etwa 10,6 Millionen Euro). Davon stehen aber nur 4 Millionen Yuan - also knapp fünf Prozent der Gesamtsumme - zur Verfügung. Die notleidende Anleihe wurde im Jahr 2012 aufgelegt. Wegen absehbarer Schwierigkeiten ist sie bereits seit Mitte 2013 vom Handel ausgesetzt. Das Wertpapier hat ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Yuan (etwa 118 Millionen Euro). Bezogen auf den chinesischen Markt für Unternehmensanleihen, dessen Volumen von Volkswirten der Deutschen Bank auf rund 7,5 Billionen Yuan (etwa 890 Milliarden Euro) geschätzt wird, ist der Nominalwert der Anleihe klein. Doch der Fall hat große Signalwirkung.
Bislang ist es auf dem chinesischen Festland noch nie zu einem Zahlungsausfall einer Unternehmensanleihe gekommen. Zwar hatten im vergangenen Jahr zwei weitere Unternehmen aus der kriselnden Solarbranche Schwierigkeiten, ihren Schuldendienst zu leisten. Dabei handelte es sich jedoch um Anleihen, die nicht auf dem chinesischen Festland gehandelt wurden. Wichtiger noch: In anderen Fällen war bei Zahlungsschwierigkeiten entweder die Zentral- oder die jeweilige Lokalregierung eingesprungen. Damit sollten vor allem negative Auswirkungen auf das Finanzsystem verhindert werden.
Der Nachteil derartiger Rettungsaktionen: Investoren, die den Unternehmen Geld leihen, gehen von einer impliziten Staatsgarantie aus, wie die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) am Donnerstag warnte. Mit anderen Worten: Das Anlagerisiko wird unterschätzt, weil Investoren davon ausgehen, dass bei Problemen der Staat aushilft. Dass dies nun im Falle Chaoris nicht geschieht, werten Beobachter als Zeichen dafür, dass die neue Staatsführung ihrem Kurs treu bleibt und Marktkräften künftig mehr Spielraum einräumen will.
Analysten der Bank of America Merrill Lynch vermuten, die Regierung wolle den Finanzmärkten eine Lektion erteilen. Möglicherweise erlebe China nun seinen 'Bear-Stearns-Moment', so die US-Experten. Die ehemalige amerikanische Investmentbank Bear Stearns musste ein halbes Jahr vor der Pleite von Lehman Brothers - dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 - von einem Konkurrenten vor der Pleite gerettet werden. Die Deutsche Bank weist in einer Studie darauf hin, dass der Zahlungsausfall bei Chaori die Anleger zu einer Neubewertung der Risiken von Unternehmensanleihen bewegen dürfte. Bei S&P ist man sich sicher, dass Chinas Anleihemarkt Zahlungsausfälle schwächerer Emittenten durchaus verkraften könne.