BERLIN (dpa-AFX) - Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht Deutschland bei der Energiewende an der Grenze der Belastungsfähigkeit. Angesichts jährlicher Kosten für die Ökostromförderung von etwa 22 bis 24 Milliarden Euro 'sind wir an der Grenze angekommen, was wir unserer Volkswirtschaft zumuten können', sagte Gabriel am Dienstag bei einem Energiekongress des 'Handelsblatts' in Berlin. Auch die Unterstützung der Bevölkerung sei in Gefahr. 'Bei weiter steigenden Preisen werden wir sie verlieren.'
Für das mögliche Beihilfeverfahren gegen Deutschland wegen der Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie zeigte Gabriel wenig Verständnis. Es sei 'nicht vernünftig, was die EU da macht'. Die Bundesregierung versuche, über die Ausnahmen die dramatische Mehrbelastung der deutschen Industrie zu mindern, die andere Länder nicht hätten. Er sehe darin keine Beihilfen.
Europa profitiere insgesamt von der 'Lernkurve' Deutschlands mit der Energiewende, sagte der Bundeswirtschaftsminister. Voraussetzung für den großen Beitrag Deutschlands für Europa sei aber wirtschaftlicher Erfolg.
Die Rabatte haben ein Volumen von mehreren Milliarden Euro pro Jahr. Aus Sicht der Industrie könnten Einschränkungen und die Forderung nach Rückzahlung bereits gewährter Rabatte deutsche Unternehmen unmittelbar gefährden. Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die Stromrabatte europarechtlich absichern und dabei vor allem den innereuropäischen Wettbewerb berücksichtigen. Am Mittag wollte auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger per Internetübertragung zu den Kongress-Teilnehmern sprechen.
Wegen möglicher EU-Maßnahmen müsse die EEG-Reform schnell gehen, betonte Gabriel. Sonst könnte es Probleme mit der Genehmigung der EEG-Ausnahmeregelungen 2014 für 2015 geben. Bei der Reform der EEG- Fördersätze müsse sich die Bundesregierung auf die kostengünstigsten Technologien konzentrieren - Wind im Landesinneren und Photovoltaik. Biomasse sei dagegen die teuerste Form der erneuerbaren Energie.
Dass konventionelle Kraftwerke wegen der Energiewende vielfach rote Zahlen schreiben, und die Stromkonzerne dies ihren Aktionären auf Dauer nicht zumuten wollten, sei ihm klar, sagte Gabriel. Über einen sogenannten Kapazitätsmarkt für das Vorhalten konventioneller Energie werde er Gespräche mit der Industrie im ersten Halbjahr beginnen. Zunächst stehe aber die EEG-Reform auf der Tagesordnung. Und er sehe einen umfassenden Kapazitätsmechanismus wegen der hohen Kosten 'sehr zurückhaltend', sagte Gabriel. Er denke eher an regionale Lösungen.
Der SPD-Politiker will die durchschnittliche Vergütung für neue Ökoenergie-Anlagen von derzeit 17 auf 12 Cent je Kilowattstunde verringern. Außerdem sollen EEG-Ausnahmeregelungen beim sogenannten Eigenstrom der Industrieanlagen abgebaut werden. Ausschreibungen und mehr Wettbewerb für die Höhe der Öko-Förderungen - vergleichbar mit den Auktionen für Telekommunikationslizenzen - werde es voraussichtlich erst 2017 geben. Die Bundesregierung wolle erst Erfahrungen damit sammeln. Es werde zunächst Modelle bei Photovoltaikanlagen auf Freiflächen geben, sagte Gabriel.
Die Förderkosten für die Energiewende zahlen die Bürger per Umlage über den Strompreis, ein Durchschnittshaushalt zahlt derzeit etwa 220 Euro im Jahr. Sinken können die Strompreise nicht. Denn alle bisher zugesagten und auf 20 Jahre garantierten Vergütungen - etwa 23,5 Milliarden Euro in diesem Jahr - werden noch jahrelang auf die Strompreise umgelegt. Nachträgliche Einschnitte sind aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Bereits zum 1. August soll die Reform in Kraft treten. Gabriel will auch auf der Kabinettsklausur der Bundesregierung in Meseberg seine Eckpunkte zur EEG-Reform vorstellen./rs/tb/DP/stb