Börsen-Zeitung: Lose-lose-Situation, Kommentar zur Ukraine von Detlef
Fechtner
Frankfurt (ots) - Es gibt einfachere Entscheidungen als jene, die
Europas Regierungschefs gestern über mögliche Sanktionen gegen
Russland treffen mussten. Denn die Frage ist heikel und vertrackt, ob
die EU auf die russischen Grenzüberschreitungen - im doppelten Sinne
des Worts - mit Sanktionen antworten muss. Und wenn ja, mit welchen.
Letztlich hatte der EU-Gipfel nur die Wahl zwischen zwei Optionen,
die beide nicht zufriedenstellend und riskant sind: eine klassische
Lose-lose-Situation. Egal was man beschließt, man steht in der Kritik
- und in Gefahr, den Konflikt dadurch noch brenzliger zu machen.
Wäre es nach Hardlinern wie Balten und Tschechen gegangen, hätte
die EU drakonische Sanktionen aussprechen müssen, schließlich ist der
Kreml ja inakzeptabel aggressiv aufgetreten. Einreiseverbote,
Kontosperrungen, gar Handelssanktionen - also Maßnahmen, die
Russlands politische und ökonomische Elite spürbar treffen - wären
nach dieser Auffassung die richtige Antwort, um Präsident Wladimir
Putin zu zeigen, dass er nicht ungestraft Grenzen verletzen dürfe.
Die Gefahren sind offensichtlich. Russland hätte Grund gehabt,
Verhandlungen zu blockieren. Das Risiko einer Zuspitzung des
Konflikts und einer Eigendynamik mit unabsehbaren Folgen wäre
gestiegen.
Nicht zuletzt deshalb haben sich die Verfechter eines moderateren
Vorgehens und einer Politik der offen gehaltenen Tür wie Niederländer
und Deutsche durchgesetzt. Harte Worte, aber zunächst keine harten
Sanktionen - nur die Aussetzung von Verhandlungen über
Visaerleichterungen und Grundsatzabkommen. Das Ganze als letzte
Warnung: Schließlich ist in zwei Wochen wieder ein EU-Gipfel, bei dem
man nachlegen kann.
Doch auch diese Variante birgt erhebliche Risiken. So könnte sich
Putin in der Einschätzung bestätigt sehen, dass ihm eine scheinbar
hasenfüßig auftretende EU gegenübersteht - warum sollte er sich da
bewegen oder gar beugen. Zudem läuft die Zeit gegen die EU. Gut
möglich, dass beim nächsten EU-Gipfel bereits über eine Krim
gesprochen wird, deren Bürger sich in einem - wenn auch zweifelhaften
- Referendum für einen Anschluss an Russland ausgesprochen haben.
Aus Sicht der Zaungäste an den Kapitalmärkten bleibt der Konflikt
deshalb virulent - und birgt noch erhebliche Risiken auch für
Wirtschaft und Börsenkurse. Die Mahnung von EZB-Chef Mario Draghi,
dass die Verwerfungen weit größer sein können, als es die Kennziffern
der Handelsbilanzen vermuten lassen, ist daher mehr als berechtigt.
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