Börsen-Zeitung: Problematisches Timing, Kommentar zu Siemens und
Alstom von Michael Flämig
Frankfurt (ots) - Eine klare Sache: Siemens-Vorstandsvorsitzender
Joe Kaeser muss die Gelegenheit beim Schopfe packen. Ein Poker um die
Energie-Sparte von Alstom ohne Beteiligung der Münchner ist
unvorstellbar. Jeder Zukauf in dieser Branche - und der Manager hat
ein weiteres milliardenschweres Ass im Ärmel - würde ein
Wachstumsfeld stärken. Außerdem ist es eine ungemütliche Vorstellung
für die Münchner, dass sich General Electric (GE) vor ihrer Haustür
breitmachen könnte. Der allgemeine Eindruck, das offensive Agieren
von Siemens sei ausschließlich eine Reaktion auf die GE-Offerte, ist
allerdings falsch. Die Münchner sind immer wieder bei Alstom
vorstellig geworden, zuletzt im Februar. Denn wer es schafft, auf
diesem Feld einen europäischen Champion zu formen, gewinnt
Preissetzungsmacht.
Dass nun GE und Siemens zeitgleich um Alstom werben, ist kein
Zufall. Erstens ist Alstom bekanntermaßen klamm. Der zweite Grund ist
noch wichtiger: In der Folge ist die Unternehmensbewertung
überproportional in die Knie gegangen. Zum Zeitpunkt des
Siemens-Antichambrierens im Februar war Alstom billiger als alle
anderen relevanten europäischen Investitionsgüterfirmen, wenn das
Verhältnis vom Aktienkurs zum geschätzten Gewinn 2015 zugrunde gelegt
wird. Nur noch das Neunfache wollten Investoren zahlen. Aus
finanzmathematischer Sicht stimmt also das Timing. Die Investoren
haben den Siemens-Aktienkurs nur deswegen leicht gedrückt, weil sie
befürchten, dass eine Übernahme den angekündigten Aktienrückkauf
mindestens verzögert.
Diese kurzfristige Sichtweise muss man nicht teilen. Dennoch gilt:
Sollten die Münchner erfolglos bleiben oder sich das
Alstom-Energiegeschäft "nur" mit GE aufteilen, darf sich die Trauer
in Grenzen halten. Denn ansonsten ist das Timing eben
hochproblematisch. Entscheidend hierfür sind nicht die üblichen und
durchaus relevanten Bedenken bei derartigen Transaktionen: Das
Kartellproblem ist beträchtlich, die Integration sehr schwierig und
die Konzentration auf Westeuropa ein Problem. Zudem: Wie soll eine
Kooperation mit einem Alstom-Chef funktionieren, der Siemens ablehnt?
Wichtiger aber ist: Kaeser müsste standortpolitische Zugeständnisse
an den französischen Staat genau dann machen, wenn er Siemens auf
eine effizientere Unternehmenskultur trimmen will.
Ein derartiger Spagat würde Siemens überfordern. Der Wandel der
Kultur - und die Notwendigkeit höherer Effizienz werden die
Halbjahreszahlen am 7. Mai eindrucksvoll unter Beweis stellen - droht
damit, Stückwerk zu bleiben. Das aber kann Siemens sich nicht
leisten.
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