Börsen-Zeitung: Geplatzte Illusionen, Marktkommentar von Christopher
Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Mit dem Beginn des zweiten Quartals hat sich an
den Finanzmärkten Ernüchterung bereit gemacht. Risiko-Assets erleben
nach der prächtigen Auftakt-Rally scharfe Rückschläge. Das ist zum
Teil als eine normale Korrekturbewegung nach den deutlichen
Wertzuwächsen der ersten drei Monate zu verstehen, aber auch mit
einer Eintrübung im fundamentalen Umfeld zu erklären. So sind die
Konjunkturindikationen nach einer langen Serie positiver
Überraschungen zuletzt dazu übergegangen, mit Enttäuschungen
aufzuwarten. Die Konjunkturholung ist spürbar weniger dynamisch, als
vor kurzem angenommen wurde, und es geht insbesondere die Sorge um,
dass sich in China, dem Zugpferd der Weltwirtschaft, eine
empfindliche konjunkturelle Abkühlung anbahnt.
Vor allem aber ist das zweite Standbein der Jahresauftaktrally
entfallen: der marktberuhigende Effekt der beiden zusammen rund 1
Bill. Euro schweren Dreijahrestender der Europäischen Zentralbank
(EZB), durch die die Refinanzierungskosten der großen
Peripherieländer Italien und Spanien deutlich gesunken sind. Sollte
der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, als er eine deutliche
Verfehlung des Defizitziels für dieses Jahr ankündigte, gehofft
haben, sich dank der Unterstützung durch die EZB nun einen weniger
rigiden Konsolidierungskurs erlauben zu können, hat er sich gründlich
getäuscht. Die Ankündigung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die
Schuldenkrise wieder aufgeflammt ist und die Zinsen, die die
Peripheriestaaten bei der Mittelaufnahme auf den Kapitalmärkten
bieten müssen, deutlich anziehen. Die Risikoprämie auf die spanische
Staatsschuld stieg am Freitag, gemessen an den CDS, erstmals über die
Schwelle von 500 Basispunkten.
Problem muss gelöst werden
Es ist und bleibt eine Illusion, dass die Schuldenkrise mit
Liquidität weggeschwemmt werden kann. Die Stützungmaßnahmen der EZB
verschaffen zwar einen Zeitgewinn. Sie ändern aber nichts an der
Tatsache, dass das Problem gelöst werden muss, d.h. die Staaten des
Euroraums ihre Finanzen in den Griff kriegen müssen. Erst wenn die
Investoren nachhaltig überzeugt sind, dass die Staaten in der Lage
sein werden, ihre Schulden auch zurückzuzahlen, endet die Krise. Dies
gilt umso mehr, als die Marktteilnehmer gerade erst den
Schuldenschnitt für Griechenland erlebt haben.
Den Märkten stehen somit weitere unruhige Wochen bevor. Zumal sich
die Lage durch die anstehenden Wahlen zusätzlich zu komplizieren
droht. Eine Niederlage Nicolas Sarkozys bei den französischen
Präsidentschaftswahlen könnte dazu führen, dass die in der Krise
unentbehrliche Kooperationsfähigkeit des Führungspersonals
Deutschlands und Frankreichs leidet. Die Landtagswahlen in
Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen könnten der FDP erneut
verheerende Niederlagen bescheren und damit die Regierungskoalition
in Berlin schwächen. Auch die im Mai anstehenden Wahlen in
Griechenland werden zur unruhigen Verfassung der Finanzmärkte
beitragen.
Aktienanleger brauchen in diesem Umfeld aber nicht schwarzzusehen.
Vielmehr ergeben sich bei weiteren Kursrückgängen wieder günstige
Einstiegsgelegenheiten, die genutzt werden sollten. Das
Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dax auf Basis der Prognosen für das Jahr
2012 ist bereits auf 10,2 gesunken und würde bei weiter sinkenden
Kursen bald den einstelligen Bereich erreichen. Zwar verschärft sich
die Schuldenkrise. Ein Auseinanderfallen der Währungsunion ist jedoch
angesichts der immensen Schäden, die dadurch entstünden,
unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass noch mehr
Liquidität in die Märkte gegeben und noch umfangreichere
Abschirmungsmechanismen aufgezogen werden. Extrem niedrige Zinsen und
überbordende Liquidität werden die Marktteilnehmer noch lange
begleiten und die Aktienmärkte stützen. Triple-A-Staatstitel sind bei
Renditen etwa zehnjähriger Bundestitel von mickrigen 1,75% keine
diskutable Alternative für Dividendentitel. Hinzu kommt, dass die
Umschichtungen institutioneller Investoren dazu geführt haben, das
Unternehmensanleihen im Investmentgradebereich mittlerweile
Bewertungen erreicht haben, die Experten als zu hoch empfinden. Auch
im Vergleich zu dieser Asset-Klasse sehen Aktien immer günstiger aus.
Einen Preis wird die Liquiditätsschwemme jedoch letztlich haben.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Inflation anzieht. Das aber
ist ein Risiko, dass die Halter von Triple-A-Staatsanleihen, die seit
Monaten bereits negative Realrenditen aufweisen, bei weitem mehr
fürchten müssen als Aktienanleger.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Frankfurt (ots) - Mit dem Beginn des zweiten Quartals hat sich an
den Finanzmärkten Ernüchterung bereit gemacht. Risiko-Assets erleben
nach der prächtigen Auftakt-Rally scharfe Rückschläge. Das ist zum
Teil als eine normale Korrekturbewegung nach den deutlichen
Wertzuwächsen der ersten drei Monate zu verstehen, aber auch mit
einer Eintrübung im fundamentalen Umfeld zu erklären. So sind die
Konjunkturindikationen nach einer langen Serie positiver
Überraschungen zuletzt dazu übergegangen, mit Enttäuschungen
aufzuwarten. Die Konjunkturholung ist spürbar weniger dynamisch, als
vor kurzem angenommen wurde, und es geht insbesondere die Sorge um,
dass sich in China, dem Zugpferd der Weltwirtschaft, eine
empfindliche konjunkturelle Abkühlung anbahnt.
Vor allem aber ist das zweite Standbein der Jahresauftaktrally
entfallen: der marktberuhigende Effekt der beiden zusammen rund 1
Bill. Euro schweren Dreijahrestender der Europäischen Zentralbank
(EZB), durch die die Refinanzierungskosten der großen
Peripherieländer Italien und Spanien deutlich gesunken sind. Sollte
der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, als er eine deutliche
Verfehlung des Defizitziels für dieses Jahr ankündigte, gehofft
haben, sich dank der Unterstützung durch die EZB nun einen weniger
rigiden Konsolidierungskurs erlauben zu können, hat er sich gründlich
getäuscht. Die Ankündigung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die
Schuldenkrise wieder aufgeflammt ist und die Zinsen, die die
Peripheriestaaten bei der Mittelaufnahme auf den Kapitalmärkten
bieten müssen, deutlich anziehen. Die Risikoprämie auf die spanische
Staatsschuld stieg am Freitag, gemessen an den CDS, erstmals über die
Schwelle von 500 Basispunkten.
Problem muss gelöst werden
Es ist und bleibt eine Illusion, dass die Schuldenkrise mit
Liquidität weggeschwemmt werden kann. Die Stützungmaßnahmen der EZB
verschaffen zwar einen Zeitgewinn. Sie ändern aber nichts an der
Tatsache, dass das Problem gelöst werden muss, d.h. die Staaten des
Euroraums ihre Finanzen in den Griff kriegen müssen. Erst wenn die
Investoren nachhaltig überzeugt sind, dass die Staaten in der Lage
sein werden, ihre Schulden auch zurückzuzahlen, endet die Krise. Dies
gilt umso mehr, als die Marktteilnehmer gerade erst den
Schuldenschnitt für Griechenland erlebt haben.
Den Märkten stehen somit weitere unruhige Wochen bevor. Zumal sich
die Lage durch die anstehenden Wahlen zusätzlich zu komplizieren
droht. Eine Niederlage Nicolas Sarkozys bei den französischen
Präsidentschaftswahlen könnte dazu führen, dass die in der Krise
unentbehrliche Kooperationsfähigkeit des Führungspersonals
Deutschlands und Frankreichs leidet. Die Landtagswahlen in
Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen könnten der FDP erneut
verheerende Niederlagen bescheren und damit die Regierungskoalition
in Berlin schwächen. Auch die im Mai anstehenden Wahlen in
Griechenland werden zur unruhigen Verfassung der Finanzmärkte
beitragen.
Aktienanleger brauchen in diesem Umfeld aber nicht schwarzzusehen.
Vielmehr ergeben sich bei weiteren Kursrückgängen wieder günstige
Einstiegsgelegenheiten, die genutzt werden sollten. Das
Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dax auf Basis der Prognosen für das Jahr
2012 ist bereits auf 10,2 gesunken und würde bei weiter sinkenden
Kursen bald den einstelligen Bereich erreichen. Zwar verschärft sich
die Schuldenkrise. Ein Auseinanderfallen der Währungsunion ist jedoch
angesichts der immensen Schäden, die dadurch entstünden,
unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass noch mehr
Liquidität in die Märkte gegeben und noch umfangreichere
Abschirmungsmechanismen aufgezogen werden. Extrem niedrige Zinsen und
überbordende Liquidität werden die Marktteilnehmer noch lange
begleiten und die Aktienmärkte stützen. Triple-A-Staatstitel sind bei
Renditen etwa zehnjähriger Bundestitel von mickrigen 1,75% keine
diskutable Alternative für Dividendentitel. Hinzu kommt, dass die
Umschichtungen institutioneller Investoren dazu geführt haben, das
Unternehmensanleihen im Investmentgradebereich mittlerweile
Bewertungen erreicht haben, die Experten als zu hoch empfinden. Auch
im Vergleich zu dieser Asset-Klasse sehen Aktien immer günstiger aus.
Einen Preis wird die Liquiditätsschwemme jedoch letztlich haben.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Inflation anzieht. Das aber
ist ein Risiko, dass die Halter von Triple-A-Staatsanleihen, die seit
Monaten bereits negative Realrenditen aufweisen, bei weitem mehr
fürchten müssen als Aktienanleger.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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