LONDON (dpa-AFX) - Die britische Wirtschaft scheint zielsicher auf die erste Zinsanhebung nach der Finanz- und Bankenkrise zuzusteuern. Notenbankchef Mark Carney gab am Mittwoch in London deutliche Hinweise darauf. "Im Laufe der Zeit und einer nachhaltigen Erholung hat sich die Wirtschaft dem Punkt genähert, an dem der Leitzins schrittweise steigen muss", sagte Carney anlässlich der Vorstellung des neuen Inflationsberichts. Damit könnte die Bank of England die erste große Notenbank sein, die eine Zinserhöhung nach der Krise wagt - möglicherweise noch vor der US-Notenbank Fed.
Die britische Wirtschaft wächst zurzeit so stark wie die kaum eines anderen Industrielandes der Welt. Dies hat den Druck auf die Bank of England erhöht, ihre sehr lockere Geldpolitik zu straffen. Der genaue Zeitpunkt ist unter Beobachtern strittig, eine Mehrheit von Analysten rechnet mit einem ersten Zinsschritt im Frühjahr 2015. Einige Experten halten eine Straffung sogar noch in diesem Jahr für möglich. Carney schränkte allerdings ein, dass die Leitzinsen auch dann niedrig und deutlich unter dem Niveau vor der Krise bleiben werden. Der wichtigste Zinssatz Großbritanniens liegt bereits seit fünf Jahren auf einem Rekordtief von 0,5 Prozent.
STARKES PFUND - ROBUSTER ARBEITSMARKT
Vor allem das britische Pfund hatte in den vergangenen Monaten stark von den Zinsspekulationen und der robusten Konjunktur auf der Insel profitiert. Carney sagte nun, dass eine anhaltende Stärke des Pfund Auswirkungen auf den Kurs der Notenbank haben könnte. Ein hoher Wechselkurs verteuert Exporte und dämpft damit die Konjunktur. Zugleich sorgen günstigere Importe dafür, dass der Preisauftrieb im Inland abnimmt. Wie auch in vielen anderen großen Industrienationen ist die Inflation im Vereinten Königreich zurzeit schwach.
Dass sich daran bald etwas ändert, erscheint angesichts neuer Zahlen vom Arbeitsmarkt nicht sehr wahrscheinlich. Nach Daten des Statistikamts ONS vom Mittwoch bleibt der Lohn- und Gehaltsauftrieb trotz fallender Arbeitslosigkeit moderat. Ohne Bonuszahlungen schwächte sich das Wachstum im April sogar ab. Die Arbeitslosenquote fiel unterdessen mit 6,8 Prozent auf den tiefsten Stand seit mehr als fünf Jahren. Auch die Anzahl der Leistungsbezieher von Arbeitslosenhilfe ist seit Monaten rückläufig.
NOTENBANK ZUVERSICHTLICH
Die britische Notenbank zeigt sich in ihrem neuen Inflationsbericht ebenfalls zuversichtlicher für den Jobmarkt. Sie geht nun davon aus, dass die Arbeitslosigkeit deutlich schneller fallen wird, als noch im letzten Inflationsbericht vom Februar erwartet. Zudem senkte sie das Niveau der Arbeitslosigkeit, bis zu dem kein nennenswerter Inflationsschub zu erwarten ist (Nairu). Das deutet darauf hin, dass die Notenbank ihre Geldpolitik langsam und in moderaten Schritten straffen wird.
Bislang hatte die Notenbank eine "gleichgewichtige", also inflationsneutrale Arbeitslosenquote in einer Spanne von 6,0 bis 6,5 Prozent angenommen. Nun sieht sie die Rate zwischen 5,25 und 5,75 Prozent. Nach neuen Prognosen zum Arbeitsmarkt dürfte das obere Ende der Spanne nicht innerhalb der nächsten drei Jahren erreicht werden, was gegen starken Inflationsdruck seitens der Lohn- und Gehaltsentwicklung spricht. Entsprechend gering dürfte der Druck auf die Notenbank bleiben, ihre Zinspolitik schnell oder in großen Schritten zu straffen.
HOHE UNTERAUSLASTUNG
Zudem geht der geldpolitische Ausschuss MPC nach wie vor von einer deutlichen Unterauslastung der Wirtschaft aus. Wie im Inflationsbericht vor drei Monaten wird eine Outputlücke von 1,0 bis 1,5 Prozent genannt. Allerdings heißt es in dem Bericht auch, dass die Ungewissheit über die tatsächliche Unterauslastung hoch sei. Dennoch dürfte die Inflation gemäß den neuen Prognosen in den nächsten drei Jahren nicht über das Notenbankziel von zwei Prozent steigen. Derzeit liegt die Teuerung bei 1,6 Prozent.