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RÜCKBLICK 2011: Der Atomvertrag, Fukushima und die Kehrtwende

Veröffentlicht am 31.12.2011, 12:05
BERLIN (dpa-AFX) - Der ganze Schlamassel fing an mit dem Atomvertrag, der am 9. September 2010 publik wurde. Zuvor hatte RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz bei einem Branchentreff offenherzig mitgeteilt, dass eine Vereinbarung am 5. September um 5.23 Uhr paraphiert worden sei. In jener Nacht hatten Union und FDP im Kanzleramt für die deutschen Atomkraftwerke eine Laufzeitverlängerung um im Schnitt zwölf Jahre beschlossen. Der letzte Meiler wäre nicht vor 2036 vom Netz gegangen.

Opposition und Umweltverbände schäumten. Hunderttausende Menschen demonstrierten. Die Kontroverse bereitete den Boden dafür, dass die Kehrtwende ein paar Monate später zu einem der wichtigsten Themen des Jahres 2011 wurde, in jedem Fall aber wohl zur überraschendsten politischen Entscheidung.

In dem umstrittenen Atomvertrag wurden die Kosten für eine Sicherheitsnachrüstung auf 500 Millionen Euro pro Meiler begrenzt. Bei einer späteren Verkürzung der Laufzeiten oder höheren Nachrüstkosten sollten RWE, Eon , Vattenfall und EnBW entsprechend weniger in einen Milliardenfonds zum Ökoenergie-Ausbau einzahlen müssen. SPD,. Grüne und Linke sprachen von einem Deal 'Geld gegen Sicherheit'. Schwarz-Gelb musste sich wieder den Vorwurf einer Klientelpolitik anhören.

Diese Vorgeschichte ist wichtig, um nachzuvollziehen, warum Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Koalitionäre nach dem 11. März 2011 eine der atemberaubendsten Kehrtwenden der deutschen Politik hinlegten. Als nachmittags an jenem Freitag die Eilmeldungen kommen, dass mehrere Blöcke im japanischen AKW Fukushima nur noch batteriegekühlt sind, ist klar, dass eine Kernschmelze droht. Als es wenig später eine schwere Explosion gibt, wird die Frage nach der Laufzeitverlängerung und der Sicherheit der deutschen AKW laut.

'Die Kernenergie ist ein Auslaufmodell', sagt Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) rasch. Er hatte bei der Laufzeitverlängerung ohnehin gebremst und ist nun die treibende Kraft einer Kehrtwende. Noch am Sonntagabend, den 13. März, deutet bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU), nichts auf ein Aus für die über Monate hart erkämpfte Laufzeitverlängerung hin. 'Die deutschen Kernkraftwerke sind nach Maßgabe dessen, was wir wissen, sicher', betont sie.

Doch schon wenige Strunden später ist am Montag, dem 14. März, alles anders. Bei RWE etwa reagiert man verdutzt auf erste Gerüchte: Von einem Aussetzen der Laufzeitverlängerung wisse man nichts. Es ist dann der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle, der vorprescht und den Begriff des Moratoriums ins Spiel bringt. Einen Tag später trifft Merkel die fünf Ministerpräsidenten mit Atomkraftwerken im Land.

Turbulent geht es zu. Wo erst nur ein Meiler zur Disposition steht, kommt es fast zu einem Überbietungswettbewerb. Am Ende werden 8 der 17 Meiler für die Dauer des dreimonatigen Moratoriums stillgelegt: alle, die vor 1980 ans Netz gegangen sind, und der schlesig-holsteinische Problemreaktor Krümmel. Ihr endgültiges Aus ist damit schon damals faktisch besiegelt. Dennoch verliert Schwarz-Gelb Ende März die Baden-Württemberg-Wahl. Winfried Kretschmann wird Deutschlands erster grüner Ministerpräsident.

Die Atomindustrie wird bei dem Ausstieg nun erst gar nicht gefragt. Merkel will nicht mehr mit den Bossen gesehen werden. Über 'zugeschweißte Briefkästen im Kanzleramt', klagt ein Energiemanager. Zwei Kommissionen werden eingesetzt. Zähneknirschend stimmen auch die Grünen, die ganz schnell auf die Atomenergie verzichten wollen, dem stufenweisen Ausstieg bis 2022 zu. Ihr Wahlkampfthema ist nun zwar weg, dafür gibt es einen Konsens bei diesem Kampfthema. Und damit Planungssicherheit für die Energiewende mit einem Ausbau des Ökostrom-Anteils bis 2020 auf mindestens 35 Prozent.

Aber: Der Weg zur grünen Energie birgt Stolperfallen, etwa wegen fehlender Netze. Gerade der Winter birgt Risiken, es gibt Warnungen vor größeren Stromausfällen. Seit den Beschlüssen zur Energiewende sei zur Umsetzung fast nichts passiert, klagt BDI-Präsident Hans-Peter Keitel. Und die Kosten der Wende sind die Achillesferse.

Als Kollateralschaden des Atomausstiegs bleiben Klagen auf Schadensersatz in Milliardenhöhe, die die Atomkonzerne anstrengen. Eon hat bereits Verfassungsklage in Karlsruhe eingereicht, Vattenfall könnte vor einem Gericht in den USA klagen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass hierin ein zentraler Unterschied zwischen rot-grünem und schwarz-gelbem Ausstieg liegt. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte durch einen Konsens mit den Konzernen Klagen einen Riegel vorgeschoben.

Röttgen sagte jüngst im Bundestag an die Adresse von SPD und Grünen: 'Sie haben den Ausstieg (...) durch Verträge mit den Energieversorgungsunternehmen beschlossen.' Die Energiewende von Union und FDP hingegen sei 'hier im Parlament durchgesetzt und beschlossen worden'. Das auch Union und FDP noch 2010 einen Vertrag mit den Atomkonzernen vereinbart hatten, bevor das Parlament das Laufzeitplus absegnete, sagte Röttgen nicht./ir/DP/zb

--- Von Georg Ismar, dpa ---

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