Berlin/Düsseldorf (Reuters) - Im Fall des abgeschobenen Islamisten Sami A. steigt nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster der Druck auf Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.
Seehofer habe bis heute nicht die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geforderte Verbalnote beigebracht, in der von tunesischer Seite Folter ausgeschlossen werde und mit der es jetzt eine ganz andere rechtliche Situation gäbe, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Der nordrhein-westfälische SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty warf NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) im Deutschlandfunk vor, er habe versucht, das Gericht zu täuschen. Dies sei "ein großer Vertrauensbruch in unseren Rechtsstaat". Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) müsse nun genau prüfen, ob er Stamp noch für geeignet halte.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hatte entschieden, dass der mutmaßliche Ex-Leibwächter von Osama bin Laden nach Deutschland zurückgeholt werden muss. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen habe die Stadt Bochum zurecht dazu verpflichtet. Sami A. war am 13. Juli von Düsseldorf aus in sein Heimatland Tunesien abgeschoben worden, obwohl das Verwaltungsgericht dies wegen der möglichen Gefahr von Folter untersagt hatte. Der Beschluss war den Behörden aber erst zugegangen, als A. sich schon auf dem Flug in das nordafrikanische Land befand. Das OVG stufte die Abschiebung als "offensichtlich rechtswidrig" ein und kritisierte, dass diese an jenem 13. Juli nicht abgebrochen worden sei. Zugleich monierte es, dass das Verwaltungsgericht von den Behörden und von Stamps Ministerium über den genauen Abschiebetermin im Unklaren gelassen worden sei.
Laschet sagte im Deutschlandfunk, nach seiner Auffassung habe Stamp nach Recht und Gesetz entschieden. Der FDP-Politiker selbst lehnte einen Rücktritt ab. "Den Vorwurf, ich hätte das Gericht getäuscht, weise ich entschieden zurück", sagte er in Düsseldorf. Er sehe keinen Anlass, Rücktrittsforderungen nachzukommen. Es seien in dem Fall aber "Informationsdefizite" zu beklagen, räumte er ein. Er wolle sich nun für eine Verbesserung der "Kommunikationskultur" zwischen Behörden und Justiz einsetzen. Stamp räumte dennoch einen Fehler ein. Er hätte sich am Morgen der Abschiebung am 13. Juli rückversichern müssen, ob seine Annahme zutreffe, dass es gegen internationales Recht verstoße, das Flugzeug mit Sami A. an Bord aus Tunesien nach Deutschland zurückzuholen. "Mit dem Wissen von heute bedauere ich dies."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, nannte es extrem ärgerlich, dass die diplomatische Note zum Ausschluss von Folter nicht beschafft worden sei. Außenminister Heiko Maas und Seehofer müssten hier endlich handeln, sagte er Reuters. "Es ist ein starkes Versagen von Horst Seehofer", sagte auch Kubicki. Der CSU-Politiker sei schnell mit "starken Sprüchen" unterwegs, wenn es jedoch um die Umsetzung gehe, befinde er sich auf der "Versagerstraße".
Kubicki griff auch den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul (CDU) an, der das OVG-Urteil kritisiert und erklärt hatte, Entscheidungen müssten auch dem "Rechtsempfinden" der Bevölkerung entsprechen. Wenn Urteile statt nach Recht und Gesetz nach Volksempfinden erlassen würden, sei dies der Weg in den Willkürstaat, warnte Kubicki. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Jens Gnisa, mahnte in der "Rheinischen Post", zu einer funktionierenden Demokratie gehöre eine unabhängige Justiz.
Die Stadt Bochum will auf weitere Rechtsmittel verzichten. Tunesien hat aber erklärt, den inzwischen aus der Haft entlassenen A. nicht an Deutschland zurück zu überstellen.