APA ots news: 'Die Presse' Leitartikel: Europas hilfloser Versuch, seine Probleme wegzuregulieren, von Jakob Zirm
Ausgabe vom 29.11.2012
Wien (APA-ots) - Mehr Verantwortung der Ratingagenturen für
falsche Bewertungen ist in Ordnung.
Die wahre Intention der EU-Politiker wird sich damit glücklicherweise
nicht erfüllen.
Nun haben sie es endlich geschafft. In der Nacht auf Mittwoch
einigten sich die EU-Staaten mit dem europäischen Parlament auf eine
strengere Regulierung für die verhassten Ratingagenturen. Damit
sollen diesen unkontrollierten Kassandras endlich jene Fesseln
angelegt werden, die notwendig sind, damit die Finanzmärkte nicht
mehr 'verrücktspielen', wie Europas Politiker gern sagen, wenn
Investoren für ihr verliehenes Geld wieder einmal höhere Zinsen
verlangen, weil ihr Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit der
staatlichen Schuldner erodiert.
Noch sind die neuen Regelungen, die im Frühjahr in Kraft treten
sollen, sehr vage. Neben fraglichen Punkten, wie Einschränkungen bei
den Zeitpunkten, zu denen unbestellte Ratings erstellt werden dürfen,
finden sich darunter zwar auch sinnvolle Maßnahmen. Etwa die
Vorschrift, dass Ratings außerhalb der Börsenöffnungszeiten
veröffentlicht werden sollen. Eine Regel, die bei wichtigen
Informationen zu börsenotierten Firmen bereits Usus ist. Die wahre
Intention der EU-Regulierer geht aber in eine andere Richtung - und
dürfte sich glücklicherweise nicht erfüllen.
Im Mittelpunkt der Regulierung steht nämlich die größere
Verantwortung der Agenturen für ihre Bewertungen. Ein Thema, mit dem
sich zuletzt auch australische und amerikanische Gerichte
auseinandersetzen. So ist es wirklich ein Skandal, dass noch in den
Tagen vor dem Ausbruch der Finanzkrise Ramschpapiere mit Topratings
versehen wurden und Investoren dabei viel Geld verloren. Bei
'Fehlverhalten' sollen Ratingagenturen daher künftig leichter klagbar
sein.
Den EU-Politikern dürfte es bei ihren jetzigen Überlegungen aber
weniger um geschädigte Anleger als vielmehr um die Bewertung ihrer
eigenen Schuldenpolitik gehen. Denn zwischen Lissabon und Helsinki
standen zuletzt vor allem die Länderratings im Mittelpunkt der
Diskussion. Und auch wenn die Aufregung sich über den Sommer etwas
gelegt hat, ist die jetzige Regulierung noch eine Nachwehe des
Aufschreis vom Jahresanfang, als sich Standard & Poor's erdreistet
hat, neun europäische Länder herabzustufen. Auch Österreich verlor an
diesem Freitag, dem 13. Jänner, sein AAA.
Die damalige Reaktion war zuerst allgemeines Unverständnis. Doch
schon bald folgten 'kreative' Ideen, wie man solche aus Sicht der
Politik 'falschen' Ratings vermeiden könnte. Etwa der Vorschlag, dass
Länder unter dem Rettungsschirm gar nicht mehr bewertet werden
dürften, oder dass die Beweislast umgekehrt werden solle -
Ratingagenturen hätten dann nachweisen müssen, dass sie keine Fehler
gemacht haben. In Italien ging man überhaupt so weit, dass die
Staatsanwaltschaft gegen Analysten der Agenturen Strafverfahren
eröffnete.
Bei Europas Bevölkerung kam dieses harte Auftreten gegenüber den
US-dominierten Agenturen gut an. Die Mär vom 'Wirtschaftskrieg' gegen
den Euro, bei dem die Ratingagenturen sozusagen die Frontsoldaten der
USA seien, fiel vielerorts auf fruchtbaren Boden. Dass die Ratings in
den europäischen Büros von europäischen Mitarbeitern erstellt wurden,
wurde da geflissentlich ignoriert (auch die österreichische Abwertung
wurde maßgeblich von einem Oberösterreicher verantwortet).
In Wirklichkeit gibt es zwei ganz rationale Gründe für die
Herabstufungen. Erstens ist die Entwicklung der langfristigen
Verschuldungssituation der betroffenen Staaten negativ. Das sagen
nicht nur Moody's & Co. Auch der heimische Rechnungshof kritisiert
regelmäßig die explodierenden Kosten im Gesundheits- oder
Pensionsbereich und schlägt konkrete Maßnahmen vor. Umgesetzt wird
davon aber nichts.
Das führt bereits zum zweiten Kritikpunkt der Ratingagenturen: der
fehlenden politischen Perspektive. Seit Ausbruch der Schuldenkrise
werden die Probleme mittels Milliardenspritzen ständig um Wochen oder
Monate weitergeschoben. Oft geht es nur darum, einen wichtigen
Wahltermin in einem Mitgliedsland - zurzeit ist es Deutschland - zu
überstehen. Eine langfristige Lösung ist damit nicht in Sicht. Und
daran wird auch die verstärkte Regulierung der Ratingagenturen nichts
ändern.
Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
www.diepresse.com
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/447/aom
*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***
OTS0279 2012-11-28/17:59
Ausgabe vom 29.11.2012
Wien (APA-ots) - Mehr Verantwortung der Ratingagenturen für
falsche Bewertungen ist in Ordnung.
Die wahre Intention der EU-Politiker wird sich damit glücklicherweise
nicht erfüllen.
Nun haben sie es endlich geschafft. In der Nacht auf Mittwoch
einigten sich die EU-Staaten mit dem europäischen Parlament auf eine
strengere Regulierung für die verhassten Ratingagenturen. Damit
sollen diesen unkontrollierten Kassandras endlich jene Fesseln
angelegt werden, die notwendig sind, damit die Finanzmärkte nicht
mehr 'verrücktspielen', wie Europas Politiker gern sagen, wenn
Investoren für ihr verliehenes Geld wieder einmal höhere Zinsen
verlangen, weil ihr Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit der
staatlichen Schuldner erodiert.
Noch sind die neuen Regelungen, die im Frühjahr in Kraft treten
sollen, sehr vage. Neben fraglichen Punkten, wie Einschränkungen bei
den Zeitpunkten, zu denen unbestellte Ratings erstellt werden dürfen,
finden sich darunter zwar auch sinnvolle Maßnahmen. Etwa die
Vorschrift, dass Ratings außerhalb der Börsenöffnungszeiten
veröffentlicht werden sollen. Eine Regel, die bei wichtigen
Informationen zu börsenotierten Firmen bereits Usus ist. Die wahre
Intention der EU-Regulierer geht aber in eine andere Richtung - und
dürfte sich glücklicherweise nicht erfüllen.
Im Mittelpunkt der Regulierung steht nämlich die größere
Verantwortung der Agenturen für ihre Bewertungen. Ein Thema, mit dem
sich zuletzt auch australische und amerikanische Gerichte
auseinandersetzen. So ist es wirklich ein Skandal, dass noch in den
Tagen vor dem Ausbruch der Finanzkrise Ramschpapiere mit Topratings
versehen wurden und Investoren dabei viel Geld verloren. Bei
'Fehlverhalten' sollen Ratingagenturen daher künftig leichter klagbar
sein.
Den EU-Politikern dürfte es bei ihren jetzigen Überlegungen aber
weniger um geschädigte Anleger als vielmehr um die Bewertung ihrer
eigenen Schuldenpolitik gehen. Denn zwischen Lissabon und Helsinki
standen zuletzt vor allem die Länderratings im Mittelpunkt der
Diskussion. Und auch wenn die Aufregung sich über den Sommer etwas
gelegt hat, ist die jetzige Regulierung noch eine Nachwehe des
Aufschreis vom Jahresanfang, als sich Standard & Poor's erdreistet
hat, neun europäische Länder herabzustufen. Auch Österreich verlor an
diesem Freitag, dem 13. Jänner, sein AAA.
Die damalige Reaktion war zuerst allgemeines Unverständnis. Doch
schon bald folgten 'kreative' Ideen, wie man solche aus Sicht der
Politik 'falschen' Ratings vermeiden könnte. Etwa der Vorschlag, dass
Länder unter dem Rettungsschirm gar nicht mehr bewertet werden
dürften, oder dass die Beweislast umgekehrt werden solle -
Ratingagenturen hätten dann nachweisen müssen, dass sie keine Fehler
gemacht haben. In Italien ging man überhaupt so weit, dass die
Staatsanwaltschaft gegen Analysten der Agenturen Strafverfahren
eröffnete.
Bei Europas Bevölkerung kam dieses harte Auftreten gegenüber den
US-dominierten Agenturen gut an. Die Mär vom 'Wirtschaftskrieg' gegen
den Euro, bei dem die Ratingagenturen sozusagen die Frontsoldaten der
USA seien, fiel vielerorts auf fruchtbaren Boden. Dass die Ratings in
den europäischen Büros von europäischen Mitarbeitern erstellt wurden,
wurde da geflissentlich ignoriert (auch die österreichische Abwertung
wurde maßgeblich von einem Oberösterreicher verantwortet).
In Wirklichkeit gibt es zwei ganz rationale Gründe für die
Herabstufungen. Erstens ist die Entwicklung der langfristigen
Verschuldungssituation der betroffenen Staaten negativ. Das sagen
nicht nur Moody's & Co. Auch der heimische Rechnungshof kritisiert
regelmäßig die explodierenden Kosten im Gesundheits- oder
Pensionsbereich und schlägt konkrete Maßnahmen vor. Umgesetzt wird
davon aber nichts.
Das führt bereits zum zweiten Kritikpunkt der Ratingagenturen: der
fehlenden politischen Perspektive. Seit Ausbruch der Schuldenkrise
werden die Probleme mittels Milliardenspritzen ständig um Wochen oder
Monate weitergeschoben. Oft geht es nur darum, einen wichtigen
Wahltermin in einem Mitgliedsland - zurzeit ist es Deutschland - zu
überstehen. Eine langfristige Lösung ist damit nicht in Sicht. Und
daran wird auch die verstärkte Regulierung der Ratingagenturen nichts
ändern.
Rückfragehinweis:
Die Presse
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Tel.: (01) 514 14-445
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Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/447/aom
*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
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